Gefährliche Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes vorerst gestoppt

Proteste von Presserat und Gewerkschaft

Die umstrittene Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes ist offenbar vorerst gestoppt. Nach heftigen Protesten des Deutschen Presserates, der Journalistengewerkschaften und der Verleger sah sich das Bundesinnenministerium zum Rückzug genötigt. Zumindest in seiner ursprünglichen Form sei der Entwurf „beerdigt“, erklärte in Berlin Rainer Lingenthal, Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Wie berichtet, sah der Gesetzentwurf vor, in sämtlichen Redaktionen mit mehr als vier Mitarbeitern einen Datenschutzbeauftragten zu installieren (M 11/99). Dieser an keinerlei Weisungen gebundene Beauftragte sollte die redaktionelle Arbeit auf die Einhaltung des Daten- und Persönlichkeitsschutzes abklopfen: von der Recherche über die redaktionelle Verarbeitung des Materials, die Archivierung bis hin zur Publikation. Flankiert werden sollte diese Regelung mit einen umfangreichen Sanktionspotential: mit weitreichenden Auskunfts- und Berichtigungsansprüchen potentiell Betroffener und einem Schadensersatzanspruch mit Beweislastumkehr.

Vor allem Verleger- und Journalistenverbände hatten nach Bekanntwerden des Gesetzesprojekts Alarm geschlagen. Auf seinem Jahreskongreß Ende Oktober in Berlin bezeichnete etwa der BDZV das Paragrafenwerk als eine mit Artikel 5 des Grundgesetzes unvereinbare Zumutung.

Noch härter ging zwei Wochen später der Deutsche Presserat mit dem Vorhaben aus dem Hause Schily ins Gericht. Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns qualifizierte das geplante Paragrafenwerk als „Zensur durch die Hintertür“, gar als „neuen Versuch eines Lauschangriffs auf die Medien“. An einem hypothetischen Beispiel illustrierte Tillmanns, was den Journalisten blühen könnte, falls der Entwurf Gesetzeskraft erlangte. Angenommen, der „Stern“ plane eine dreiteilige Serie über die Machenschaften der Scientologen in Deutschland. Schon nach dem ersten Beitrag würden dann möglicherweise künftig betroffene Repräsentanten der Scientology Church mit anwaltlicher Unterstützung einstweilige Verfügungen einlegen. „Die erkundigen sich nach den zugrunde liegenden Daten und stellen der Redaktion auch schon ihre Korrekturnachricht zu. Und wenn dann Auskunft erteilt werden muß, sind die Folgebeiträge selbstverständlich gefährdet.“ Die betroffene Redaktion könnte sich zwar stur stellen und mit Verweis auf den gebotenen Informanten- und Quellenschutz die geforderte Information und Korrektur verweigern. Dann aber könnte die andere Seite nach Publikation eines weiteren Serienteils das nächste Geschütz auffahren: Sie könnte wegen angeblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten Schadensersatzansprüche stellen. Nach Schilys Gesetzentwurf müßte die Redaktion sich in diesem Fall entlasten. Tillmanns sarkastisch: „Auf den Nachweis bin ich dann aber entspannt.“

Die Sammlung und Verarbeitung personenbezogener Daten, so argumentierte der Presserat, gehört zum Alltagsgeschäft der Journalisten. Schon aus diesem Grund sei die anvisierte Gängelung der Redaktionen absurd. Bei einer Kontrolle durch Datenschutzbeauftragte könnten Quellen- und Informantenschutz nicht mehr gewährleistet werden. Recherchen würden behindet, Journalisten unter Druck gesetzt. Zudem stehe der Inhalt des Gesetzentwufs in klarem Gegensatz zu der im Koalitionsvertrag vereinbarten Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechtes. Außer ständigen Ankündigungen sei hier aber nichts geschehen. Tillmanns erinnert daran, daß der Presserat gemeinsam mit allen wichtigen Presse- und Rundfunkverbänden bereits vor zwei Jahren einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt habe. Eine Beratung darüber habe aber nicht stattgefunden.

Resümee des Presserates: Der Gesetzesvorschlag zum Pressedatenschutz ist nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich. Es bestehe kein Grund, von den bewährten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle und Selbstregulierung abzuweichen. Die im Pressekodex enthaltenen Grundsätze und Empfehlungen an die Redaktionen reichten aus, um die Einhaltung des Datenschutzes betroffener Bürger zu gewährleisten.

„Sonderstellung der Medien“

Anfangs hatte das Bundesinnenministerium noch versucht, jede Kritik an dem Gesetzesvorhaben mit Hinweis auf die notwendige Anpassung deutschen Rechts an die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union abzubügeln. In einem Schreiben an den Deutschen Presserat hatte Schily barsch erklärt, die geplante Novelle sei nach den Vorgaben der EU-Richtlinie „ohne Rücksicht auf die Sonderstellung der Medien zwingend umzusetzen“. Nachdem der Presserat die Pläne publik machte, trat der Minister den geordneten Rückzug an. „Selbstverständlich“ werde die Bundesregierung „strikt drauf achten, daß im Rahmen der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes die vom Grundgesetz garantierte Pressefreiheit nicht beeinträchtigt wird“, hieß es nun konziliant. Und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin eskortierte: „Wenn es einen Konflikt mit Artikel 5 gibt, wird dieser zugunsten von Artikel 5 entschieden.“ Selbst Gerhard Schröder sah sich genötigt, eine Stellungnahme abzugeben: Bei der Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie soll, so der Kanzler, darauf geachtet werden, daß die Pressefreiheit nicht gefährdet wird.

Der Deutsche Presserat begrüßte den Meinungswandel des Innenministers. „Wenn unser Schritt in die Öffentlichkeit bewirkt hat, daß der Entwurf noch nicht am 1. Dezember vom Kabinett beschlossen wird, haben wir ein wesentliches Etappenziel erreicht“, sagte Presseratssprecherin Ursula Ernst-Flaskamp. Eine generelle Entwarnung gab sie jedoch nicht. Jetzt will Innenminister Schily Gespräche mit Journalisten- und Verlegerverbänden führen (siehe Kasten).

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