Gespräch mit Wille Bartz, für das Projekt connexx.av in Hamburg tätig
Warum gibt es das Projekt erst jetzt – 15 Jahre nach Start des Privaten Rundfunks? Kommt es nicht zu spät?
Bartz: Das kommt mit Sicherheit sehr spät, aber ich hoffe, daß es nicht so zu spät kommt, daß man gar nichts mehr machen kann. In dieser Form, wie es gedacht ist, gibt es natürlich eine Chance das wieder aufzuholen, was man in den letzten 15 Jahren versäumt hat. Ich habe schon damals im Vorstand der Fachgruppe Rundfunk Film Audiovisuelle Medien immer gefordert, daß wir speziell für den Privatfunkbereich Leute, Funktionäre freistellen, die allein diesen Bereich bearbeiten, weil er eben so kompliziert ist. Damals konnte ich mich damit leider nicht durchsetzen. Wenn es jetzt zu spät wäre, würde ich nicht mehr mitarbeiten, dann hätte es ja gar keinen Sinn mehr. Aber wir müssen sehr viel mehr Energie reingeben als wir vor 10 Jahren hätten tun müssen, davon bin ich überzeugt.
Hat die Gewerkschaft geschlafen ? Oder nicht die angemessenen Formen gefunden ?
Bartz: Die Bemühungen und die Formen haben einfach nicht aus-gereicht, wenn man eine Klientel vor sich hat, die eine ganz andere Sprache spricht als diejenigen, die als Funktionäre auf sie zukommen; wenn man eine Klientel hat, die selbst sich noch sozusagen im Pionierstadium dieses Medienbereichs wähnt und bewegt. Dann muß man da differenzierter hingucken, was für Bedürfnisse tatsächlich da sind bei den Mitgliedern oder den potentiellen Mitgliedern. Und derjenige, der sich damit beschäftigt, der die Kolleginnen und Kollegen unterstützen will bei den Problemen vor Ort, die es durchaus gibt, der muß die Materie kennen. Das geht los beim Sprachgebrauch und geht weiter bei der Kenntnis der Produktionsformen. Er oder sie muß die Probleme im einzelnen kennen, die zwischenmenschlichen Probleme und die, die dann auch in den Hierarchien auftauchen.
Die IG Medien hat lange Zeit doch ihre Energien – nachvollziehbar auch aus langer Tradition – mehr dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewidmet. Wahrscheinlich hat man das unterschätzt, welches Ausmaß der private Rundfunk mal annimmt.
Wenn das aber so eine besondere Klientel ist, mal die generelle Frage: Brauchen die Kolleginnen und Kollegen im Privaten Rundfunk überhaupt die Gewerkschaft? Und wenn ja: Warum?/Wofür?
Bartz: Also unbedingt, da bin ich von überzeugt und das hat auch meine Erfahrung gezeigt. Denn zum Beispiel mit einem starken Betriebsrat – und dieser Betriebsrat ist in der Regel mit den Kollegen verhaftet und er wird in der Regel auch gewerkschaftlich unterstützt – kann man auch eine Menge erreichen. Und dann entwickeln die Kollegen auch Vertrauen in den Betriebsrat und in die ihn unterstützende Organisation. Dieses Vertrauen kann man auch leicht verspielen, aber man kann da auch viel für die Kollegen erreichen
In welchen Bereichen brauchen sie denn vor allem Unterstützung?
Bartz: Erstmal in den klassischen Fragen, wie sie auch in den anderen Medienbetrieben anstehen, d.h. was ist mit der Arbeitszeit, was ist mit Arbeitszeitüberschreitung, was ist mit Dienstplandisposition, was ist – und da wird es sehr spezifisch für den Privatfunk, was ist mit dem ständigen Verschieben in unterschiedliche Arbeitsbereiche und damit nicht selten verbundenen Überforderungen. Da wird einer, der vorher Nachrichten gemacht hat und darin aufgegangen ist, plötzlich irgendwo anders hinversetzt, weil irgendwelche Probleme in der Personalbesetzung sind. Jemand muß plötzlich Veranstaltungstips machen, der vorher vielleicht moderiert hat. Da gibt es genug Beispiele. Dem sind natürlich die, die nicht „Frontfrauen/Frontmänner“ sind, viel stärker unterworfen. Und die sind dann mit der Arbeitszeitdisposition viel unzufriedener als die, die immer vorne sind und gefeiert werden. Die im Vordergrund können leichter 12-14 Stunden arbeiten als diejenigen, die die sogenannte kleine Arbeit im Hintergrund machen und gar nicht in den Genuß des Gefeiertwerdens kommen. Die haben dann auch schon eher ihre Probleme damit, daß von ihnen auch erwartet wird, genauso zu arbeiten wie die, die im Rampenlicht stehen.
Deswegen glaube ich auch, daß man für die, die im Hintergrund arbeiten, gewerkschaftliche Strukturen braucht, die ihnen eine Stärke gegenüber denen geben, die das Sagen haben.
Also gibt es schon ganz spezifische Probleme? Andere als im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Bartz: Ja ganz bestimmt. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind – was oft auch als Nachteil beschrieben wird – die Strukturen sehr viel klarer. Das ist doch oft eher chaotisch in diesen Betrieben im Privatfunkbereich. Für den Filmbereich muß ich mir das erst aneignen, wie es da eigentlich zugeht, aber ich vermute, es läuft ähnlich im Bereich der Produktion, jedenfalls dort, wo die Betriebe neu aus dem Boden geschossen sind. Es wird schwieriger für die Leute zu erkennen, in welchen Abhängigkeiten sie arbeiten, und daß sie, auch wenn sie sich eigentlich für selbständig halten, in Wirklichkeit in absoluter Abhängigkeit arbeiten. Es wäre mein Wunsch, erst mal das Vertrauen dieser Leute zu gewinnen und dann auch zum zumindest minimalen gemeinsamen Handeln beim Durchsetzen ihrer Interessen zu kommen.
Das bedarf ja besonderer Herangehensweisen. Was habt Ihr Euch dafür ausgedacht?
Bartz: Wir werden versuchen, überhaupt erst mal zu erfassen, welche spezifische Probleme in den Betrieben existieren. Wir werden uns schlau machen, kompetent machen für diese Probleme, soweit sie neu für uns sind, und dann durch Zusammenarbeit mit Betriebsräten beziehungsweise durch Betriebsratsgründung dort, wo es möglich ist, in Kontakt überhaupt erst mal treten und versuchen, mit der Kompetenz, die wir meiner Meinung nach mitbringen, dort unterstützen und quasi eine Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wenn man erst mal genügend Leute kennengelernt hat, will ich zumindest sowas wie Stammtische für die unterschiedlichsten Bereiche anbieten. Das sollen aber dabei auch Veranstaltungen mit Inhalten sein, die erst mal gar nicht „gewerkschaftlicher“ Art sein müssen, sondern z.B. bekannte Comedy-Macher zu Comedy im Fernsehen und im Radio referieren zu lassen in einer lockeren Runde. Man kann sich Referenten holen, die den Leuten auch auf ganz anderen Ebenen helfen in ihrem Job, z.B. was die Inhalte angeht. Wir wollen bewußt an den beruflichen Interessen anknüpfen.
Dazu gibt es ja bestimmt schon Vorarbeiten? Ihr fangt ja nicht bei Null an?
Bartz: Die IG Medien hat bereits eine Erfassung durchgeführt, was für Betriebe wo existieren usw. Zum anderen gibt es natürlich die IG-Medien-Kolleginnen und Kollegen, die bisher diesen Bereich im Rahmen ihrer sonstigen Aufgaben betreut haben, und mit denen wollen und werden wir als erstes Kontakt aufnehmen und Informationen austauschen und an ihre Kontakte anknüpfen. So gibt es in allen vier Städten Ansprechpartner.
Da liegt ja ein ganz schöner Berg Arbeit vor Euch. Bist du optimistisch, was den Erfolg des Projekts angeht?
Bartz: Tendenziell ja, und zwar weil ich aus meiner eigenen Arbeit bei FFN mitbekommen habe: wenn man eins schafft, nämlich das Vertrauen der Leute zu gewinnen, dann hat das eine Chance. Und das erreicht man, wenn die Leute begreifen, daß man selbst gewisse Kompetenzen hat vor allem in Bezug auf ihre Arbeit. Optimistisch bin ich auch insofern, als hier erstmals und dann gleich vier Leute in vier Städten sich ausschließlich auf diese Arbeit und diese Klientel konzentrieren können.
Hast Du Dir persönlich bestimmte Ziele gestellt?
Bartz: Ich persönlich habe mir vorgenommen, daß ich nach diesen drei Jahren in Hamburg in den wichtigsten Betrieben das Vertrauen bei den Mitarbeitern gewonnen habe, egal ob sie nun IG-Medien-Mitglieder sind oder DAG-Mitglieder oder bereits in ver.di oder ob sie DJV-Mitglieder sind oder gar keine Mitglieder, aber daß man als kompetente Person akzeptiert ist. Dann kann man auch die Inhalte transportieren, die notwendig sind, um sich zusammenzutun und gemeinsam bestimmte Probleme anzupacken und zu lösen. Und natürlich habe ich mir auch als Ziel gesetzt, daß die Mitgliederzahlen der beiden Gewerkschaften am Ende dieser 3 Jahren gestiegen sind, d.h. daß ich unsere Bemühungen dann insgesamt deutlich an Zahlen ablesen kann. Man darf aber nicht zu hohe Erwartungen an die Mitgliederzahlen nach so einem kurzen Zeitraum stellen, denn drei Jahre sind sehr kurz für diese Arbeit und um da wirklich Fuß fassen zu können. Was man in zehn Jahren versäumt hat, kann man nicht in drei Jahren aufholen.
Im Sommer konnte man eine interessante Beschreibung der Arbeit und der workoholic-Arbeitstypen beim privaten Fernsehen im „Spiegel“ lesen. Hast du die Arbeit im Privaten Rundfunk so erlebt, wie sie im „Spiegel“ geschildert wurde?
Bartz: Teils, teils. Wenn man den Artikel genau liest, ist vor allen Dingen von den – ich habe ja vorhin schon den Begriff verwendet – „Frontfrauen/Frontmännern“ die Rede. Falls die wirklich vor der Kamera stehen (oder die dann auch mal eine Kamera führen, wobei ich das für schon wieder nicht so passend halte) oder vor den Mikros sitzen beim Hörfunk, für die stimmt das tendenziell. Was die meisten erst begreifen, wenn sie wieder draußen sind, ist die Hire-and-fire- Mentalität der Unternehmen. Für den technischen Bereich ist es anders, da sieht man auch bei uns – damit meine ich jetzt noch FFN – daß diejenigen, die am längsten bei uns tätig sind, im buchhalterischen Bereich und im technischen Bereich arbeiten. Im redaktionellen Bereich ist die Fluktuation wahnsinnig hoch, und die Leute, die aus unternehmensfremden oder journalistisch fremden Bereichen gekommen sind, machen das 3, 4, 5 Jahre, manchmal auch 6 Jahre, dann sind sie – bevor sie es gemerkt haben – schon wieder raus aus dem Metier und auch dem Medienbereich, weil sie eben nur für kurze Zeit in der speziellen Situation gebraucht wurden.
Aber Fragen der sozialen Absicherung der einzelnen Beschäftigten oder auch der Altersversorgung und Kündigungsschutz bzw. Kündigungsfristen – sind das im privaten Bereich keine Themen?
Bartz: Für den großen Teil der Leute ist es nach wie vor ein Thema. Auch wenn das jetzt die jüngeren sind – 34 als Durchschnittsalter stand wohl im „Spiegel“ – im Fernsehbereich muß man dazu sagen. Das dürfte sich auch nach oben hin verändern für den Bereich, der im Hintergrund arbeitet, und damit meine ich genau die im Buchhalterischen, die Technik usw. Im redaktionellen Bereich wird sich dieser Durchschnitt eher halten, aber nicht insgesamt auf die Betriebe gesehen. Vor fünf Jahren war bei FFN Durchschnitt unter 30. Im redaktionellen Bereich ist er nach wie vor irgendwo bei 30, aber insgesamt ist er gestiegen, weil die Leute in der Buchhaltung oder der Technik nun auch schon seit vielleicht 15 Jahren dabei sind. Die sind noch da, und die sind auch noch gut. In bestimmten Bereichen sind sie sicherlich besser und zwar aufgrund von Erfahrung. Ein Problem ist es dort, wo immer sehr intensiv gearbeitet werden muß, und dieses vor ausbeuterische oder selbstausbeuterische Verhalten funktioniert nur bis zu einem gewissen Alter.
Und wohin sind dann die verschwunden, die inzwischen älter geworden sind? Wo gehen die hin?
Bartz: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt zur Zeit noch sehr gern diese Leute, die etwas älter gewordenen Jüngeren. Meist haben die übrigens noch eine fundiertere journalistische Ausbildung, weil da am Anfang mehr Wert drauf gelegt wurde als heute.
Und die Öffentlich-Rechtlichen nehmen sehr gerne z.B. im Hörfunk Leute aus dem Bereich der Privatfunker, weil die nämlich zwei Dinge mitbringen: Sie sind in einem positiven Sinne flexibel, flexibler als die in den Strukturen der öffentlich-rechtlichen Aufgewachsenen, es geht los über andere Denkansätze bei Themen, es geht aber auch weiter in der Umsetzung der Themen, also mit sehr viel mehr Eigenanteilen in der auch rein handwerklichen Arbeit. Das alte Thema, schneidet man selbst oder läßt man durch den Techniker schneiden. Da gibt es inzwischen eine große Annäherung zwischen den Systemen.
Ist die Arbeitsweise im Privaten Rundfunk mit gewerkschaftlichen Ansätzen – Denk- und Organisationsansätzen – überhaupt vereinbar? Oder läßt sich gerade daraus ein besonderer gewerkschaftlicher Ansatz und eine Notwendigkeit neuer gewerkschaftlicher Arbeit ableiten?
Bartz: Man wird in diesem Medienbereich natürlich nicht mit Klassenkampfparolen irgendwas ausrichten können oder mit Allgemeinplätzen, also da hat man verloren, schon wenn man damit anfängt.
Mit modifizierten gewerkschaftlichen Ansätzen bestimmt. Was die modifizierten gewerkschaftlichen Ansätze sein können im Zusammenhang mit dieser Klientel, das gilt es nicht zuletzt auch durch die Projektgruppe herauszufinden, aber auch, wie man vielleicht neu gewerkschaftlich denken muß. Und eins kann ich mit Sicherheit sagen, man muß sich sehr viel mehr auch als Funktionär als Dienstleister begreifen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, mit den man gemeinsam was vorantreiben will, entwickeln will, Bewußtsein schaffen will.
- > Das Gespräch mit Wille Bartz führte Ulrike Maercks-Franzen