Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s gänzlich ungeniert. Anders lässt sich die Reaktion der ARD-Intendanten auf das Bekantwerden der sittenwidrigen Verträge mit Pedalritter Jan Ullrich wohl kaum interpretieren.
Da wurden seit 1999 aus Gebührengeldern üppige Honorare für „exklusive Berichterstattungsmöglichkeiten“ an Ullrich und andere gezahlt. Da werden solche Verträge verlängert, obgleich der Hauptbegünstigte längst bei den Dopingfahndern auffällig wurde. Da kommt ans Licht, dass die ARD sich faktisch dreifach für die Teilhabe an der Tour de France zur Kasse bitten ließ: für die Übertragungsrechte, als Sponsor des T-Mobile-Teams und als Gönner ihres gefallenen Hätschelkinds Ullrich. Und was passiert? Müssen die, die solche Ruf schädigenden, die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tangierenden Praktiken mitgetragen haben, gehen? In einem System, das Wert auf Selbstreinigung legt, wären die Hauptverantwortlichen achtkantig in die Wüste geschickt worden. Nicht so in der ARD. Dort gibt es zur Belohnung eine Vertragsverlängerung: Programmdirektor Günter Struve darf bis 2008 weiter amtieren, Sportkoordinator Hagen Boßdorf sollte gar bis 2012 auf seinem Posten bleiben.
Natürlich fehlt es nicht an halbgaren Schuldbekenntnissen. Formell wurde von Struve die Verantwortung übernommen. Garniert mit den üblichen Organisationsreflexen: einer Selbstverpflichtungserklärung, nach der künftig nicht mehr geschehen soll, was nie hätte passieren dürfen. Und der Einrichtung einer „Clearingstelle Sport“, die sämtliche Kontrakte prüft – eine Selbstverständlichkeit, zu der offenbar hoch bezahlte leitende Angestellte des Senderverbunds bislang nicht in der Lage waren.
Für die ARD ist dies nach dem Product-Placement-Skandal im vergangenen Jahr ein neuer Öffentlichkeits-GAU. Damals wurde mit der Entlassung des Bavaria-Chefs Thilo Kleine zumindest ein Bauernopfer gebracht. Vor personellen Konsequenzen auf höchster Ebene scheut die ARD jetzt abermals zurück. Pikantes Detail am Rande: der wegen seiner Stasi-Verstrickungen seit Jahren umstrittene Boßdorf durfte zwar nicht NDR-Sportchef werden, für den Arbeitgeber ARD sind solche Unappetitlichkeiten aber offenbar ebenso Petitessen wie die fragwürdigen einstigen geschäftlichen Verquickungen Boßdorfs mit dem Telekom-Ullrich-Clan. Erst nachdem am 11. Oktober ein weiterer Fall von Schleichwerbung in der ARD für das Produkt Becel entdeckt wurde, musste Boßdorf gehen. Er vermittelte das Agenturkonzept.
Und der Programmdirektor, von dem es heißt, für ein, zwei Prozentzehntel TV-Marktanteil würde er kalt lächelnd seine Großmutter verkaufen? Der Polit- und Kulturmagazine kürzen und durch Musikantenstadl und „frauenaffine“ Schmonzetten ersetzen lässt? „Günter Struve hat zum Erfolg unseres Gemeinschaftsprogramms maßgeblich beigetragen“, findet der scheidende ARD-Chef Thomas Gruber. Ach so.