Hate Speech: Mündiger Bürger gefragt

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Um die Bedrohung von Demokratie, Gesellschaft und Medienfreiheit durch Hate Speech und Desinformation ging es auf der Konferenz „MTM Extra“ am 31. März in der Thüringer Landesvertretung in Berlin. Auf Einladung der AG Medientage Mitteldeutschland diskutierten  Vertreter*innen aus  Medienpolitik und  Medienaufsicht, wie Politik, Zivilgesellschaft, Medienanstalten und Justiz angesichts der Zunahme von Hate Speech und Fake News reagieren sollten. 

„Wir benötigen mündige und offene Bürger*innen, die mit Medienaussagen kompetent umgehen können“, sagte Thüringens Medienstaatssekretär Malte Krückels zur Eröffnung. Daher werde Medienkompetenz an den Schulen des Freistaats bereits gefördert. Ein verdienstvolles Unterfangen, gemessen an den Fehlentwicklungen im Medien- und Informationsbereich, von denen im Folgenden die Rede war.  

„Speziell in den letzten drei, vier Jahren haben Verleumdungen, Beleidigungen und Einschüchterung gegen bestimmte Personengruppen in den sozialen Medien massiv zugenommen“, stellte die Antisemitismusbeauftragte und ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fest. Ihre Erkenntnisse hat sie in ihrem kürzlich gemeinsam mit der Schriftstellerin Gunna Wendt veröffentlichen Buch „Unsere gefährdete Demokratie. Wie wir mit Hass und Hetze gegen Politiker und Journalisten umgehen“ zusammengefasst. Gerichtet werde dieser Hass von Gruppen und Einzelpersonen vor allem auch auf gewählte Kommunalpolitiker. Gelegentlich entzünde sich der Unmut der Demokratiefeinde an marginalen Anlässen, etwa in der Auseinandersetzung um eine Windkraftanlage. Die Akteure seien heterogen und oft nicht eindeutig identifizierbar. Zunehmend fänden Attacken allerdings sogar nicht anonym, sondern mit Klarnamen der Urheber statt.

Wenn unter dem Druck der Straße gewählte Kommunal- oder Landespolitiker aus Angst um ihre Sicherheit aufgäben, „dann haben wir wirklich ein Problem für unsere repräsentative Demokratie“, urteilte Leutheusser-Schnarrenberger. Im novellierten Netzwerkdurchsetzungsgesetz seien zwar viele Strafbestimmungen noch einmal verschärft worden. Aber mit Repression, Staatsanwaltschaft und Justiz allein könnten Politikerinnen und Politiker nicht geschützt werden. Die Beleidigungen und Beschimpfungen der Grünen-Politikerin Renate Künast seien überwiegend von Einzelnen ausgegangen. Damit werde auch die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erschwert. Man dürfe nicht passiv erschrocken zuschauen bei dem, was im Netz abgehe, forderte die FDP-Politikerin. Ihr Appell: „Letztendlich müssen wir als Zivilgesellschaft  Politikerinnen und Politiker durch unsere Unterstützung und durch Nutzung sozialer Medien schützen.“ 

Frank Stauss von der Agentur für strategische Kommunikation Richel-Stauss sieht in der Verunsicherung und Verlustangst vieler Menschen den Nährboden für Populismus. Die seit einigen Jahrzehnten laufende industrielle, mediale und demografische Transformation habe weltweit, aber speziell in der ostdeutschen Gesellschaft Spuren hinterlassen. Die einstige Hoffnung, die Digitalisierung werde den „Citoyen, der im Vollbesitz seines Allwissens zur Wahlurne schreitet und eine rationale Entscheidung fällt“, hervorbringen, habe sich als Illusion erwiesen. Die Unsicherheit darüber, was wahr oder unwahr sei, nehme ständig zu. Unwissenheit und Uninformiert aber seien das „Einfallstor für Populisten“. 

Aktuell verlagere sich dieser Populismus aus dem Netz heraus auf die Straße, „vor die Häuser der Politiker und Gemeindevertreter“. Die 2015 verfolgte Strategie mancher Politiker, dem Populismus mit Populismus zu begegnen, sei logischerweise gescheitert. „Mit der Übernahme ihrer Agenda macht man Populisten groß“, resümierte Stauss. Gefordert seien vielmehr „wehrhafte Demokraten“, die eine Brandmauer gegen Populisten bauten, zumindest gegen solche, die noch erreichbar seien. Das Gebot der Meinungsfreiheit umfasse zudem nicht, jede Lüge auszuhalten. Hauptanfällig für rechte Propaganda und Verschwörungserzählungen seien Männer zwischen 35 und 55 Jahren, eine Gruppe „mit dem höchsten Stresslevel am Arbeitsplatz und hoher kultureller Verunsicherung, was etwa die Rolle der Frau angeht“. Genau aus dieser Gruppe rekrutiere die AfD ihr größtes Wählerpotential. 

Selbstversuch mit rechten Medien

Wie ergeht es einem, der sich fünf Monate lang freiwillig ausschließlich aus rechtsgerichteten Medien und Publikationen „informiert“? Der Nachrichtenmann Hans Demmel (BR, Sat.1, n-tv) hat sich dieser Prozedur ausgesetzt und darüber in seinem Buch „Anderswelt. Ein Selbstversuch mit rechten Medien“ (gemeinsam mit Friedrich Küppersbusch) berichtet. Er traf auf eine Welt, deren Aggressivität, Härte, Brutalität und Rücksichtslosigkeit“ ihm vor Start des Experiments nicht klar gewesen sei. Ihn habe interessiert, wieso „namhafte und früher zu Recht geschätzte Kollegen“ wie Roland Tichy, Matthias Matussek, Boris Reitschuster, Ken Jebsen und viele andere sich auf diese Weise radikalisiert hätten und jetzt ihre Bekanntheit nutzten, ein derart verzerrtes Bild der Gesellschaft zu zeichnen. Zum Einstieg habe er sich mit fünf Publikationen beschäftigt: „Tichys Einblick“, „Junge Freiheit“, das Wirtschafts- und Börsen-Portal „MMnews“, das mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtete „Compact“-Magazin sowie „KenFM“. 

Demmel weiß von rund 300 rechtsgerichteten Medienangeboten, im Druck, im Video und im Netz. Über die fünf genannten Publikationen hinaus habe er auch Angebote wie „Politically Incorrect“ und die „Epoch Times“ genutzt.  Einige der „Perlen“: ein Beitrag über „Saskia Esken, die Sektenführerin eines Dritte-Welt-Landes“ oder ein „bewundernswert unterwürfiges Interview“, das Beatrix von Storch mit Steve Bannon geführt hat. 

Nach einer 2020 kurz vor Corona veröffentlichten Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, zitiert Demmel, sind elf Prozent der Deutschen Anhänger von Verschwörungstheorien. Ein Drittel der Bürger gilt überdies als „anfällig“. Nicht immer handle es sich um „Hard-Core-Theorien“ wie QAnon oder Chemtrails. Häufig aber werde die „Politik am Gängelband dunkler, oft jüdischer Interessengruppen“ lokalisiert, mit Mark Zuckerberg, Bill Gates oder George Soros als Aspiranten auf die „Weltherrschaft“. 

Der in dieser rechten Publikationsszene vorgefundene Journalismus sei – bei aller nötigen Differenzierung – „grundsätzlich destruktiv und den demokratischen Staat ablehnend“. Diffamiert würden alle deutschen Spitzenpolitiker mit Ausnahme der „Widerstandsheroen“ der AfD. Es gebe klare Feindbilder: „Die Gutmenschen, die Linken, zu denen alles, was links der AfD ist, gezählt wird“, natürlich auch die Mainstream-Medien, die alle „linksgrün versifft“ daherkommen.

Die Auflagen der selbsternannten „Alternativmedien“ seien im Aufwind. Das Anti-Gates-Video von Ken Jebsen registriere inzwischen eine Klickzahl von mehr als fünf Millionen. Das im rechten Kopp-Verlag erscheinende Jahrbuch des Autors Gerhard Wisnewski „Verheimlicht, vertuscht, vergessen“ belege regelmäßig einen vorderen Platz auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Darin würden die wichtigsten Ereignisse des zurückliegenden Jahres umgedeutet. Der Amoklauf von Hanau erscheine da perfiderweise als Ergebnis eines russischen Bandenkriegs.

Wieso finden solcherlei „Hirngespinste“ und „Raunen vom Untergang Deutschlands“ überhaupt Abnehmer? Demmel verweist auf die Psycho-Kategorie des „information bias“, des „Bestätigungsfehlers“: Jeder Mensch sei geneigt, Informationen, die in sein Denkschema passten, eher als richtig und der Wirklichkeit entsprechend zu sehen. Davor sei faktisch niemand gefeit. „Auch für mich gab es Momente einer Gefahr des Abgleitens“, räumt Demmel ein. „In diesen Momenten hat mir nur die Erfahrung, mein Urvertrauen in die Professionalität vieler Kollegen geholfen, das professionelle Gespür für die Plausibilität oder die Nicht-Plausibilität vieler dieser Erzählungen.“

Kreißig: „Verfolgungsdruck erhöhen“

Zwei folgende Panels drehten sich um „Meinungsfreiheit zwischen Kontrolle und Algorithmen“ sowie um Strategien zur Bekämpfung von „Fake News und Desinformation“. In Zeiten von Corona und Russlands Krieg gegen die Ukraine haben Fake News und Hassreden massiv zugenommen, sagte Marie-Teresa Weber, Public-Policy-Managerin von Meta (früher: Facebook). Das System der weltweit gültigen Gemeinschaftsstandards, auf die Meta diese Inhalte überprüfe, funktioniere gut. Nicht zuletzt mithilfe eines Teams von 40.000 Menschen, das sich um die Sicherheit kümmert. Noch vor vier Jahren habe man unter 25 Prozent der wegen Hassrede entfernten Inhalte „proaktiv“ durch den Einsatz künstlicher Intelligenz gefunden. Heute sei man bei „über 95 Prozent“. 

Was können die Medienanstalten gegen Hasskommentare tun? DLM-Vorsitzender Wolfgang Kreißig sagte, in der Zusammenarbeit der Anstalten mit den Staatsanwaltschaften gebe es durchaus vielerorts noch „Luft nach oben“. Es gelte das Gebot „verfolgen statt nur löschen“. Kreißig: „Wir müssen den Verfolgungsdruck erhöhen“, sonst sinke die Hemmschwelle für Hass und Hetze. Aber: Der Grat zwischen Meinungsfreiheit und Zensur sei schmal, wie sich schon am kontroversen Umgang der verschiedenen juristischen Instanzen im Fall Renate Künast gezeigt habe. 

Heike Raab, Medienstaatssekretärin von Rheinland-Pfalz, verwies auf Leitprinzipien wie den Pressekodex des Deutschen Presserates und die zentralen Grundrechtsartikel im Grundgesetz. In der Gesellschaft werde es „immer niederschwelliger“, Hass und Hetze zu verbreiten. Das Beispiel der Ermordung zweier Polizisten im pfälzischen Kusel zeige, dass inzwischen selbst posthum Beleidigungen und Diffamierungen im Netz erfolgten. Das Land Rheinland-Pfalz werde daher eine Überarbeitung des Strafgesetzbuches anregen mit dem Ziel, auch die Persönlichkeitsrechte von Verstorbenen zu schützen. 

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