Hinkende Vergleiche und Werbung in eigener Sache

Jedes Jahr im Juni ist Köln Schauplatz des „Medienforums NRW“. Wie auf den „Münchner Medientagen“ oder anderen, meist kleineren Fachveranstaltungen geht es dabei nicht nur um fachlichen Austausch, sondern auch um Werbung in eigener Sache: Mit hinkenden Vergleichen und viel Selbstbeweihräucherung buhlen die deutschen Großstädte um die Ansiedlung von TV-Unternehmen.

Medienpolitik ist Teil von Wirtschaftspolitik geworden: Die häufig überschätzte, mit Glamour belegte Branche soll den Strukturwandel vorantreiben. Entsprechend heftig konkurrieren die selbsternannten Metropolen gegeneinander, versuchen sich den Rang streitig zu machen. Eine deutsche Medienhauptstadt nach dem Vorbild Hollywoods ist dabei nicht in Sicht.

Als die Fernsehproduktionsfirma Brainpool ankündigte, sie wolle auf einer Industriebrache im Kölner Stadtteil Mülheim ein größeres Grundstück erwerben und dort eigene Büros hochziehen, wurde diese Nachricht unter Kommunalpolitikern und Gewerkschaftern kontrovers diskutiert. Die einen bejubelten den neuesten Coup der regionalen Wirtschaftsförderer: Wieder einmal sei es gelungen, ein wichtiges, an der Börse notiertes Medienunternehmen an den Standort zu binden. Andere dagegen reagierten misslaunig: Anke Engelke, Stefan Raab oder andere Anteilseigner von Brainpool seien vielleicht gute Komödianten, eines aber hätten sie bestimmt nicht im Sinn: den abgewickelten Arbeitern von Felten & Guillaume, Klöckner-Humboldt-Deutz oder der Chemischen Fabrik Kalk eine neue Stelle anzubieten.

In der Tat: Der einst am Fließband angelernte, inzwischen für überflüssig erklärte Industriewerker fängt nicht beim Musikkanal Viva an – und wenn, dann höchstens als Hausmeister. Die Qualifikationen der alten Ökonomie taugen wenig in der Medien- und Kommunikationswirtschaft, die in Städten wie Köln oder München mittlerweile um die zehn Prozent der Beschäftigung abdeckt. Die boomenden Zentren von Film und Fernsehen haben in den letzten beiden Jahrzehnten einen enormen Sog auf junge, motivierte und bestens ausgebildete Arbeitskräfte entfaltet. Die strukturellen Probleme der kriselnden Industriestandorte blieben dabei weitgehend ungelöst. In vernachlässigten Arbeitervierteln und Hochhaus-Trabantenstädten konzentrieren sich Frührentner, Langzeitarbeitslose und ausländische Jugendliche ohne Perspektive – während nur wenige Kilometer entfernt Medienparks, Studiokomplexe oder Containerdörfer ihren zweifelhaften Glamour verströmen.

Die ökonomischen Folgen dieses Glamours sind auf jeden Fall hoch willkommen. Unterföhring bei München zum Beispiel ist stolz darauf, 120 Medienfirmen zu beherbergen und mittlerweile mehr TV-Jobs als Einwohner vorweisen zu können. Auch in Hürth bei Köln, spätestens seit „Big Brother“ ein Begriff, freuen sich die Gemeindeoberen über niedrige Arbeitslosenquoten und sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen. Babelsberg bei Berlin baut sein traditionsreiches Filmgelände aus und müht sich, an selige UFA-Zeiten anzuknüpfen – auch wenn der große Erfolg noch auf sich warten lässt. Hamburg, einst das unbestrittene Presse- und Nachrichtenzentrum der westdeutschen Teilrepublik, muss zur Zeit beim Standort-Benchmarking die meisten Federn lassen – SAT 1 ist nach Berlin und Premiere nach München verzogen.

Feilen am Image

In der zweiten Liga tummeln sich neben Düsseldorf mit seiner Hafenmeile, Mainz mit dem ZDF und Leipzig mit der frisch eingeweihten „Media City“ noch ein halbes Dutzend weitere Kommunen, die sich gern als Medienmetropole verkaufen. Der eigentliche und mit viel Angeberei verbundene Wettbewerb aber spielt sich zwischen den vier größten deutschen Städten ab. Besonders stark rivalisieren Bayern und Nordrhein-Westfalen, die den Löwenanteil des lukrativen Fernsehgeschäftes unter sich aufgeteilt haben: Lobt Ministerpräsident Wolfgang Clement beim Kölner „Medienforum“ den „Medienstandort Nummer eins in Deutschland“, hat sein Kollege Edmund Stoiber auf den „Münchner Medientagen“ mit Sicherheit eine hochwissenschaftliche Untersuchung parat, die seine Heimat vorn sieht.

Das erbitterte Ranking hat seinen ökonomischen Grund: Denn gerade die Film- und Fernsehwirtschaft ist ein äußerst fragiles Gebilde, das sich neben den großen Sendern aus tausenden von Kleinfirmen zusammensetzt. Nichts scheint hier langfristig sicher; die Branche funktioniert als flexibles Netzwerk, das sich laufend umstrukturiert. Das permanente und meist vollmundige Feilen am Image gehört deshalb zum Kerngeschäft. Traditionelle Instrumente der Wirtschaftsförderung wie attraktive Grundstücke, Zugang zu Subventionen oder ein hohes Qualifikationsniveau haben dennoch ihr Gewicht. Vororte wie Hürth oder Unterföhring profitierten von den Vorteilen der großstädtischen Peripherie: Sie lockten mit kurzen Wegen zur Autobahn, mit viel Platz und niedrigen Mieten auf der grünen Wiese – während sich teure Prestigeprojekte wie der innerstädtische Kölner „MediaPark“ nur zäh vermarkten ließen.

Nordrhein-Westfalen, durch die Krise der Montanindustrie seit langem unter Handlungsdruck, hat die Schlüsselfunktion der Medienbranche für die neue Ökonomie früh erkannt und zur Chefsache erklärt: Zunächst als Wirtschaftsminister, seither als Ministerpräsident kümmert sich Wolfgang Clement persönlich um sein Lieblingsthema. Gebündelt werden die Aktivitäten in der „NRW-Medien GmbH“ und der „Landesinitiative media NRW“. Es bleibt nicht bei salbungsvollen Worten, für die umworbenen Firmen zählen letztlich die finanziellen Bonbons: Die Düsseldorfer Filmstiftung zum Beispiel vergibt großzügige Zuschüsse, die sie allerdings an Auflagen nach einem einfachen Muster knüpft: Für jede Mark Subvention muss das geförderte Unternehmen 1,50 Mark wieder im Land ausgeben.

Wand an Wand

Schon um diese Bedingung erfüllen zu können, haben viele kleine Produktionsfirmen ihren Sitz aus anderen Bundesländern nach NRW verlegt – oder hier zumindest eine Dependance gegründet. Der vielgerühmte Medienstandort Nordhein-Westfalen ist dabei in erster Linie der Standort Köln. Mit einigem Abstand folgt Düsseldorf; das Ruhrgebiet, die eigentliche Problemregion mit den höchsten Arbeitslosenzahlen, profitiert vom Mediengeschäft dagegen kaum. Sah es anfangs so aus, als könne Dortmund zumindest in der „zweiten Liga“ bestehen, so hat sich der Sog in den Süden des Landes in jüngster Zeit eher verstärkt: Zuletzt zog der Musiksender Onyx von der Ruhr an den Rhein.

Die Wirtschaftsförderer wissen, dass gerade in der Medienbranche Synergien und Kontakte eine große Rolle spielen – und dass diese eine gewisse räumliche Verdichtung erfordern. Beim anhaltenden Trend zum Outsourcing bevorzugen die Auftraggeber, Projekte in die Nähe ihrer eigenen Redaktionen zu vergeben. Sie wollen ständig Einfluss auf den Produktionsprozess ausüben. Der Dortmunder Medienforscher Horst Röper spricht vom „Wall-to-wall-Prinzip“: Auf der einen Seite der Wand steht das beauftragte Subunternehmen, auf der anderen Seite die Redaktion, die dennoch nicht das volle Risiko tragen muss.

Für den Westdeutschen Rundfunk bedeutet Wall-to-wall, dass weniger als früher bei der bayerischen Tochter Bavaria und mehr im eigenen Sendegebiet gedreht wird. Privatsender wie RTL, Vox und Viva profitieren von den gewachsenen Strukturen, die die größte ARD-Anstalt in den letzten fünfzig Jahren geschaffen hat. Clements massive Standortpolitik bescherte dem Kölner Raum vor allem in der ersten Hälfte der neunziger Jahre einen beispiellosen TV-Boom. Rekordverdächtige Zuwachsraten bei Unternehmensgründungen und Beschäftigtenzahl, eine Folge vor allem des Aufstiegs von RTL zum größten deutschen Privatkanal, schreckten die Konkurrenz auf. Mittlerweile ist der Überraschungseffekt weg, der schärfste Konkurrent Bayern hat reagiert und das eigene Fördermanagement verbessert. Wie Clement bündelte auch Edmund Stoiber die Medienkompetenzen in einer Hand und legte Zuschussprogramme für Film- und Fernsehprojekte auf. 1999 gelang mit der Ansiedlung des amerikanischen Disney-Konzerns (den auch Köln und Berlin unbedingt haben wollten) ein großer Coup, der in München als Wende interpretiert wurde.

Industriefernsehen

An allen Standorten wird derzeit geklotzt statt gekleckert, schon warnen Experten angesichts der Menge und Größe der geplanten neuen Studios vor Überkapazitäten. Grob skizziert, zeichnet sich eine Art Arbeitsteilung zwischen den Wettbewerbern ab: Danach steht Köln neben dem WDR und der Bertelsmann-„Senderfamilie“ für Fernsehserien, Seifenopern und Talkshows, also für billiges Format-TV; München für anspruchsvolle Filmproduktion, aber auch für das Imperium des Leo Kirch; Berlin in Kooperation mit Hamburg für das (hauptstädtische) Nachrichtengeschäft. Medienberater halten diese Konstellation für problematisch. Lutz Hachmeister, Chef des Internationalen Fernseh- und Filmfestes „Cologne Conference & Screenings“, warnt seine rheinischen Auftraggeber: Man müsse aufpassen, dass „hier am Ende nicht nur massenhaftes Industriefernsehen übrig bleibt – während die Spitzenleistungen an anderen Standorten stattfinden“.

Der Konkurrenzkampf zwischen den deutschen Medienstandorten hat produktive und weniger produktive Seiten. Wenn ein Berliner Filmteam verzweifelt nach passenden Drehorten in Nordrhein-Westfalen sucht, um die an diese Bedingung geknüpften Gelder aus Düsseldorf zu erhalten, nimmt der Subventionswettlauf bisweilen absurde Züge an. Das US-Vorbild Hollywood, wo sich alles an einem Ort konzentriert, steht aber auch für eine gewisse Einförmigkeit der amerikanischen Medienindustrie, die bestenfalls von New Yorker Filmemachern gelegentlich durchbrochen wird. Vielfältigkeit in bester europäischer Manier kann durchaus eine Chance sein, wenn sie nicht in regionalpolitische Borniertheit ausartet – wofür sich in der deutschen Kultur- und Wirtschaftspolitik genügend Beispiele finden ließen.

  • Der Autor, Thomas Gesterkamp, ist freier Journalist in Köln.

Literaturhinweise

Tendenz, Heft 1/1999: Wer ist der Stärkste im Land? Standortwettbewerb um den Wirtschaftsfaktor Medien. Herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, PF 830151, 81701 München, Telefon 089/63808-318, Fax -340

Medien Standort Köln 2000: Die Branche im Überblick: Unternehmen, Infrastruktur, Ausbildung, Events. Herausgeber: IHK Köln und Stabstelle Medienwirtschaft beim Oberbürgermeister, Markmanngasse 7, 50667 Köln, Telefon 0221/221-24571, Fax -26406, medien@stadt-köln.de

Monatsbericht BAW Institut für Wirtschaftsforschung, Heft 5/2000: Medienwirtschaft in deutschen Großstädten. Entwicklungstendenzen und Beschäftigungspotentiale. Wilhelm-Herbst-Str. 5, 28359 Bremen, Telefon 0421/20699-30, Fax -99, baw@uni-bremen.de


Zahlenchaos

Die gegenseitige Vorrechnung von Beschäftigtenzahlen, Umsatzzuwächsen und produzierten Sendeminuten ist Teil des Standortwettbewerbs und von daher mit Vorsicht zu betrachten. Erschwerend kommt hinzu, daß der Begriff „Medien“ bei Branchenanalysen nicht geschützt, von verwandten Wirtschaftszweigen nicht eindeutig abgegrenzt und daher interessengeleitet interpretierbar ist.

Nach einer Studie des Medienwissenschaftlers Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut (im Auftrag der NRW-Staatskanzlei) wurden im Jahre 1998 in nordrhein-westfälischen Studios rund 172.000 Minuten Fernsehen produziert – das entspricht einem Marktanteil von 30 Prozent. Für Bayern zählte Röper gut 100.000 Sendeminuten. Der rein quantitative Vergleich sagt noch nichts über die Qualität oder Bedeutung des Ausgestrahlten aus. So entfällt fast ein Viertel der Kölner Produktion auf Seifenopern und Talkshows – TV-Magazinsendungen mit journalistischem Anspruch werden überwiegend in Hamburg oder Berlin hergestellt.

Die meisten Film- und Fernsehunternehmen sitzen nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (beauftragt von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien) in Berlin (770). Es folgen der Großraum München mit 700, Köln mit 590 und Hamburg mit 500 Firmen. Beim Jahresumsatz liegen München (989 Millionen Mark) und Köln (981) nach Angaben von Lutz Hachmeisters Beratungsfirma HMR International nahezu gleichauf. Es folgen Hamburg mit 681 und Berlin/Brandenburg mit 613 Millionen. Alle anderen Standorte können mit insgesamt 389 Millionen nur am Kuchen nagen. Der bundesweite Gesamtumsatz im Fernsehgeschäft lag 1999 bei 3,65 Milliarden Mark.

Nach Berechnungen der Düsseldorfer Landesregierung beschäftigt die nordrhein-westfälische Medienwirtschaft inzwischen über 200.000 Menschen und hat damit die bisher führende chemische Industrie überflügelt. Im Großraum München arbeiten nach Angaben der bayerischen Staatsregierung rund 120.000 Leute in der Medienbranche und stellen damit jeden achten Arbeitsplatz. Ein Bericht der Berliner Senatsverwaltung spricht von 70.000 Mitarbeitern der Medienindustrie, was einem Anteil von sieben Prozent an der Gesamtbeschäftigung entspricht. tg

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