Hessischer Rundfunk streicht „informative, erfrischend kritische“ Sendungen
Welcher Rundfunkintendant würde sich das nicht wünschen? Rund 2500 Unterschriften von Hörerinnen und Hörern und Spenden von über 7000 Euro für den Erhalt von Radiosendungen, sowie jede Menge positiver Hörerpost. Ein wahrlich berauschendes Echo haben die Hörfunksendungen „Der Tag“ und „Schwarzweiß – Musik in Farbe“.
Da heißt es etwa: Die Moderatoren von hr1 machten ein interessantes und einzigartiges Programm und scheuten sich nicht, ein heißes Eisen anzupacken und auf Schönfärberei zu verzichten. Oder auch zur Sendung „Der Tag“: „Nach einer informativen, erfrischend kritischen und unterhaltsamen Sendung die Freude auf den nächsten „Tag“ – das hat Lebensqualität!“ Selbst FAZ-Kritiker Michael Hahnfeld lobt beide Sendungen euphorisch: „Der Tag“ sei „das große politische Feuilleton“ und „Schwarz Weiß“, die Musiksendung, die wirklich jeden Tag „in Farbe“ komme, wie die Eigenwerbung verheiße.
Hörerpost waschkörbeweise, das Internet ist voll von aktiver Anteilnahme. Doch der Intendant des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze, freut sich gar nicht über soviel Hörer-Engagement. Er will reformieren. Und zwar gnadenlos, ohne Rücksicht auf Verluste. Mit Floskeln wie „Wir sind per Definition ein Massenmedium“ strebt der Intendant an, die beliebten geistreichen Sendungen, die als Renommierstücke des Senders gelten, abzuschaffen. An deren Stelle soll ein Programm aus der Taufe gehoben werden, dass „durchhörbar“ sein soll. Was wohl die Bezeichnung für jenes Dahindämmer- und Dauerberieselungs-Programm sein soll, das niemanden vom Hocker reißt, keinerlei Akzente setzt, und deshalb selbst im Vollrausch als akzeptabler Background wahrgenommen werden kann. Kurz – ein Quotenrenner, wie beim kommerziellen Funk en Vogue. Einschalten – dranbleiben – zum Bierholen kurz verschwinden. Durchmagazinieren nennt man das im Sprachjargon der neoliberalen Sparbrötchenfraktion.
Helmut Reitze hat allerdings keinen Grund zur Freude. Der Zuspruch für die Sendungen „Der Tag“ und „Schwarz Weiß“, der sich unter www.rettetdertag.de äußert, ist nämlich mittlerweile zur breiten Protestwelle angeschwollen. Prominente, Intellektuelle, aber auch einfach frustrierte Radioliebhaberinnen fragen sich, wozu sie eigentlich Rundfunkgebühren zahlen sollen; Sie wähnen sich bereits genötigt, künftig bei „süßlicher Chartmusik“ von Daniel Küblböck zu verblöden und erheben angesichts derart erschreckender Zukunftsvisionen zunehmend vehement ihre Stimmen. Die Folge ist, dass auch die Presse immer weniger vornehme Zurückhaltung übt. „Die Zeit“, epd-medien, die „Hessisch/Niedersächsische Allgemeine“ (HNA) – alle haben sich auf den Kampf gegen den Dudelfunk eingeschworen. Selbst das Stadtmagazin „Frankfurt Journal“, das sich selbst bisweilen gern populär und mainstreamig gibt, schimpft auf „Kult-Killer“ Reitze. „Unsere Internet-Initiative ist zum Selbstläufer geworden“, sagt Uli Franke (verdi-Bezirksvorstand, Fachbereich 8). „Die Leute wollen Aufkleber mit dem Symbol des untergehenden Radios bestellen, oder bieten an, ein Soli-Konzert mit zu organisieren. Alle wollen mithelfen, die Qualitätsstandards zu erhalten“.
So ist eine rege öffentliche Diskussion entstanden, die den Erhalt der politischen Kultur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einfordert. Viele Diskussionsbeiträge im Internet lesen sich wie Anliegen nach dem Motto „was ich schon immer mal sagen wollte“: „Die Quote ist ein demokratisches Instrument“ – dieser Satz ist falsch, da sich unsere Demokratie immer auch Minderheiten verschrieben hat“, schreibt etwa ein Hörer. Es klingt nicht danach, als sei es nur ein Sturm im Wasserglas.
Einzig im Sender selbst will die Debatte nicht so recht in Gang kommen. Wobei der Intendant selbst an diesem Missstand wohl nicht ganz unschuldig ist. Denn bei einer Personalversammlung am 27. April stellte er unmissverständlich klar, welche Position die Mitarbeiter einzunehmen hätten: „Wer sich solchen Initiativen als hr-Mitarbeiter anschließt oder sie gar mitinitiiert, der schadet dem hr“. Man dürfe jenen Kollegen, die das neue Programm entwerfen, keine „Knüppel zwischen die Beine werfen“, so bestimmte Reitze, in welche Richtung die Debatte zu laufen habe. Ist Kritik in der Bertramstraße unerwünscht? Der Landesbezirksvorstand des verdi-Fachbereichs 8, fordert angesichts solcher Anmaßung die Verantwortlichen im Hessischen Rundfunk auf, „ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag gerecht zu werden und innerbetrieblich ein Klima zu erhalten, in dem die offene und freie Diskussion möglich ist“.