IFA ’99

Kritische Rückschau auf die Internationale Funkausstellung 1999

Katzenjammer bei den Organisatoren der Internationalen Funkausstellung. Von den schlechtesten Besucherzahlen seit der Wende ist die Rede, von Marktsättigung. Als Sündenböcke werden zum Teil die großen kommerziellen Fernsehsender ausgemacht, die in diesem Jahr der Glitzerschau unter dem Funkturm fernblieben. Dabei hatten die Marktschreier der Unterhaltungselektronikbranche und der Computerindustrie erneut mächtig die Trommel gerührt. Aber die digitale Revolution, die Konvergenz der Systeme, das angebliche Zusammenwachsen von Fernsehen und Internet locken die Verbraucher offenbar weniger denn je hinterm Ofen hervor.

Möglicherweise hängt das zusammen mit der Ahnung von der begrenzten Halbwertzeit manch einer sensationsträchtig angepriesenen technischen Neuerung. Beispiele für entsprechende Flops gibt es zuhauf. Vor zehn Jahren wurde das hochauflösende Fernsehen propagiert. Heute spricht davon kein Mensch mehr. Satellitenradio galt eine Zeitlang als die Zukunftstechnik, ehe es kürzlich über Nacht abgeschaltet wurde. Auch Breitbild-Fernsehen und Flachbildschirme gehören nach wie vor zu den Ladenhütern der Branche. Was womöglich damit zu tun hat, daß der kühnste technische Formatwechsel häufig nicht über die Armut der verbreiteten Inhalte hinwegzutrösten vermag.

Das am häufigsten gehörte Schlagwort dieser IFA war indes der Begriff Interaktivität, meist in Verbindung mit den Partizipationsmöglichkeiten, die die Digitalisierung der Medien für den bislang eher passiven Nutzer bereithalten soll. Eigentlich ist dies eine sympathische Vorstellung: Die träge couch potato verwandelt sich durch den technischen Segen in einen Kommunikator, in einen Menschen, der nicht nur empfängt, sondern auch selbst sendet. Eine Vision, die bereits Brecht in seiner Weimarer Utopie vom Rundfunk als Kommunikationsapparat vorschwebte. Doch die Begeisterung läßt schnell nach, wenn sieht, wie etwa die ARD am 4. September in der Live-Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ mit ihrer Klientel verfuhr.

„Faule“ Interaktivität

Das Programm war auf der IFA etwas reißerisch als weltweit erste interaktive Fernseh-Show angepriesen worden. Interaktiv sein bedeutet für den digital vernetzten Zuschauer hier, per Fernbedienung bestimmte Zusatzdaten zum Programm abzurufen und bei einer Preisfrage zu votieren. In der Sendung versetzte beispielsweise eine junge Dame, um deren Hals sich eine Schlange wand, ihre Mitreisenden in einem Fahrstuhl

in Angst und Schrecken. Der mit digitaler Settopbox ausgerüstete Zuschauer hatte nunmehr die Aufgabe, im multiple choice Verfahren per O.K.-Taste zu definieren, was genau die Panik im Lift auslöste. Im ARD-Info heißt es dazu: „Die Fernbedienung wird zur Spielkonsole, das Fernsehgerät zum Punkterichter, das Telefonnetz zur Arena, in der ein vergnüglicher Wettbewerb um die höchste Punktzahl stattfindet.“

Ehrlicherweise nennen die Verantwortlichen diese Form des Mitmachens „faule Interaktivität“. Und ist’s auch anspruchslos, so hat es doch Methode. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis ganz andere Interessenten sich diese Technik zunutze machen. Die Werbeindustrie jedenfalls scharrt schon mit den Hufen, um den selbstverständlich mündigen Zuschauer mit raffinierten Varianten von elektronischem Kommerz, Home-Shopping und interaktiven Werbespots zu konsum-orientiertem Mitmachen zu verleiten. Aber die Ernüchterung dürfte auch hier nicht ausbleiben: Von virtueller Pizza wird niemand satt, und die übers Internet oder Digital-TV bestellte Pizza kommt ebenso lauwarm ins Haus wie die telefonisch bestellte.

Verwirrende Dekodervielfalt

Auf der IFA 1997 hatte der Streit zwischen Bertelsmann und Kirch um den Standard des digitalen Dekoders die Gemüter erregt. In diesem Jahr wurde der TV-Nutzer durch das Angebot einer Vielzahl unterschiedlicher Dekoder verwirrt. Die BetaResearch der Kirch-Gruppe stellte eine neue d-box-Generation vor, die Internet-Inhalte mit digitalen TV- und Radioprogrammen vereinen sollt. Die ARD hat mit dem Free Universe Network (FUN) eine eigene Initiative für einen Kirch-unabhängigen Dekoder gestartet. Er funktioniert nach dem Software-Betriebssystem von Open TV, hat eine offene Schnittstelle und kann alle digitalen Free-TV-Programme entschlüsseln, nicht aber die Pay-TV-Angebote von Kirch. Bislang wurden von diesem Universal-Dekoder nur etwa 35000 Stück verkauft. Hersteller sind Galaxis, Panasonic, Kathrein und EchoStar, allein Galaxis will ab Oktober mehr als eine Million solcher Boxen zum Preis von unter 1000 Mark auf den Markt bringen.

Die ARD unterstützt diese aggressive Marktstrategie – siehe oben – mit der Einführung erster interaktiver TV-Inhalte. Zwar sei die Schnittstelle der d-box inzwischen ebenfalls offengelegt. Doch, so argumentieren die ARD-Oberen, ihre Spezifik erlaube es nicht, den Elektronischen Programmführer (EPG) und die Online-Inhalte von ARD Digital abzubilden. Das ZDF, das den gleichen EPG verwendet, hält dagegen neuerdings die Anpassung seines Digitalbouqets ZDF-Vision an Kirchs d-box für möglich. RTL wiederum startete auf der IFA unter dem Namen RTL World seinen neuen EPG für die Programme RTL, RTL 2 und Super RTL auf Basis von Dekodern mit dem FUN-Standard. Verschiedene Ansätze, konkurrierende Technik, komplizierte Bedienung – wie es scheint, haben die Protagonisten des digitalen und interaktiven Zeitalters die Rechnung mal wieder ohne den Konsumenten gemacht. Denn der scheint nicht unbedingt für ein allzeit interaktives Leben gerüstet.

Freie Verfügbarkeit

In den Gesichtern vieler Messebesucher spiegelte sich jedenfalls Ratlosigkeit und Verwirrung. „Get yourself whatever you want and whenever you want“ – dieser Slogan eines britischen Digital-TV-Vermarkters will die totale Wahlfreiheit des Menschen in der digitalen Erlebnisgesellschaft“ suggerieren. Doch die proklamierte freie Verfügbarkeit aller denkbaren Zerstreuungen ist eine Schimäre. Sie scheitert an knappen Einkommen, an begrenzten Zeitbudgets. Oder an permanenter Überforderung des einzelnen.

Welche sozialen Folgen ein Dauersurfen in simulierten Lebenswelten haben kann, beschreibt eine unlängst publizierte B.A.T.-Studie über die sogenannte Computer-„Generation@“. Diese Generation drifte durch ihr Dasein, lebe temporär und komme kaum zur Ruhe. Sie haste von Kommunikation zu Kommunikation und knüpfe mehr Kontakte, als daß sie miteinander rede. Schon werden erste Selbsthilfegruppen von Online-Süchtigen gegründet, die sich bei der Jagd nach interaktiven Reizen in Bildschirm-Spielen, Chatgroups oder im Cyber-Sex verloren haben. Auf der diesjährigen Funkausstellung hatte der von der Messeseelsorge betreute Raum der Stille in Halle 5.2 dem Vernehmen nach weitaus mehr Zulauf als bei vergangenen Editionen.

Positive Privatfunk-Bilanz

Noch vor zwei Jahren nutzten die privaten Fernsehsender die Internationale Funkausstellung, um ihre Reizware in massenwirksamen „Screenings“ mit viel Ballyhoo und Starglamour feilzubieten. In diesem Jahr indes waren die drei Großen RTL, SAT.1 und Pro 7 nicht auf dem Messegelände vertreten. Zu teuer, zu ineffizient sei diese Veranstaltung – so begründeten die Kommerziellen ihre demonstrative Absage. Was sie andererseits nicht daran hinderte, den IFA-Termin für ihre ureigenen propagandistischen Zwecke zu nutzen. SAT.1 etwa weihte am 30. August mit großem Pomp sein 275 Millionen Mark teures Medienzentrum in Berlin-Mitte ein. Der Münchner Sender Kabel 1 fing die Messebesucher in unmittelbarer Nähe des Ausstellungsgeländes ab, um sie auf der „längsten Filmmeile der Hauptstadt“ mit Seriensternchen und anderer Prominenz zu animieren. Als spezielles Bonbon aber ludend SAT.1, Pro 7 und RTL zur sogenannte „Magic Media Night“. Das Motto „15 Jahre Privatfernsehen“ deutete an, worum es der kommerziellen Fernsehszene vor allem ging: sich selbst zu feiern. Aus Sicht eines renditeverliebten Privatfunkmanagers dürfte die Bilanz dieser anderthalb Dekaden des kommerziellen Fernsehens hemmungslos positiv ausfallen. Die anfängliche Frequenzknappheit ist beseitigt, durch die fast flächendeckende Verkabelung und die Entwicklung der Satellitentechnik kann sich die Reichweite der meisten Sender mit der von ARD und ZDF messen. Die Werbeeinnahmen der Privatsender sind explodiert und steigen weiter. Als „erfreulichstes Ereignis“ in 15 Jahren Privatfernsehen nannte SAT.1-Boß Jürgen Doetz denn auch unlängst „die Durchsetzung des Bruttoprinzips bei der Ausstrahlung von Werbung“. Was soviel bedeutet, daß bei der Berechnung der gesetzlich zulässigen Werbung von maximal 12 Minuten pro Stunde die Eigenwerbung der Sender, die sogenannten Promotionsspots, nicht mitgezählt wird. Über das Programm sprach der SAT.1-Mann bezeichnenderweise bei dieser Gelegenheit nicht.

Konsequente Unterhaltung

Das tat, wenn auch eher in allgemeinen Thesen, der US-amerikanische „Medienconsultant“ Michael J. Wolf von der New Yorker Unternehmensberatung Booz, Allen & Hamilton. In seinem Eröffnungsvortrag beim dreitägigen Internationalen Medienforum Berlin-Brandenburg diagnostizierte Wolf die ständig steigende Bedeutung des Elements „entertainment“ als wirtschaftlichem Wachstumsmotor. Schon heute investierten US-Konsumenten mehr Dollars in die Befriedigung ihrer Vergnügungssucht als in Kleidung und Gesundheit. Eine wenig aufregende Entdeckung, die spätestens seit

Erscheinen von Neil Postmans Populärtraktat „Wir amüsieren uns zu Tode“ auch hierzulande zu den gern zitierten Allgemeinplätzen zählt. Für deutsche Verhältnisse empirisch unterfüttert wurde diese Erkenntnis allerdings durch den zweiten Programmbericht, der auf der IFA von der AG der bundesdeutschen Landesmedienanstalten (ALM) präsentiert wurde. Auf der Basis der Untersuchung jeweils einer Programmwoche im April 1997 und 1999 analysiert dieser Bericht die Entwicklung der Programmleistungen von ARD/ZDF und der sechs wichtigsten Privatsender. Das zentrale Ergebnis, präsentiert von Professor Hans-Jürgen Weiss (FU Berlin): „Unterhaltungspublizistik statt Fernsehjournalismus scheint die Devise zu sein, die den Trend bestimmt.“ Festgestellt wird eine „generelle Ausdünnung der politischen Berichterstattung, Analyse und Kommentierung im Informationsangebot“. Zum anderen hebt der Bericht den „großen Stellenwert von Human Touch-Themen – personality, sex and crime – in den Magazinsendungen und Reportagen der privaten Fernsehvollprogramme“ hervor.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Schlaffe Tarifangebote bei der ARD

Programmeinschnitte, Sparmaßnahmen und minimale Tarifangebote der ARD. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kritisiert die Haltung der Sender und kündigt Proteste an. Im Rahmen der Tarifverhandlungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe es zwar erste Angebote vom Bayerischen Rundfunk (BR) und vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) gegeben. Die Angebote blieben aber laut ver.di weit hinter den berechtigten Forderungen der Mitglieder zurück. Sie liegen auch weit unter den Tarifabschlüssen anderer Branchen oder dem öffentlichen Dienst.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »