In Bremen Razzia in fünf Redaktionen

CDU mißbilligt Angriff auf Pressefreiheit, verhindert aber gerichtliche Überprüfung

Niemals zuvor ist wegen einer solchen Lappalie ein solcher staatlicher Aufwand getrieben worden.“ Weder „um Hochverrat noch um Mord und Totschlag“ ging es, sondern darum, daß einer Behörde „ein Papier verloren gegangen“ sei, so die Bremer CDU in einer Kritik der Razzia in fünf Redaktionen und drei Privatwohnungen von Journalisten am 20. August in der Hansestadt.

Die Durchsuchungen trafen die Redaktionen von „Weser-Kurier“, „Bremer Nachrichten“, der Lokalausgabe der „Tageszeitung“, des Anzeigenblatts „Weser Report“ und der Fernsehregionalsendung „Buten & binnen“. Eine halbe Hundertschaft von Kripo-Beamten hatte am 20. August zuammen mit vier Staatsanwälten die Kopien eines vertraulichen Berichtes des Landesrechnungshofes gesucht. In dem Papier hatten Prüfer dieser Behörde gegen den früheren Staatssekretär im Bildungsressort Reinhard Hoffmann (SPD) den Vorwurf der Verschwendung und Überschreitung der Haushaltsansätze in den Vorjahren um 15 Millionen untermauert. Diese Kritik an Hoffmann hatten auch vorher schon seine politischen Gegner öffentlich geäußert.

Trotzdem hatte der Präsident des Rechnungshofes Strafantrag wegen „Verletzung eines Dienstgeheimnisses“ (Paragraph 352 b des Strafgesetzbuches) gestellt, und die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln, weil sie die Voraussetzungen der Strafverfolgung als gegeben ansah, daß durch die „Verletzung eines Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“, so das Gesetz, „wichtige öffentliche Interessen gefährdet“ sein müssen. – Im vorliegenden Fall erscheint es überzeugender, daß gerade die Veröffentlichung die Gefahr für „wichtige öffentliche Interessen“ mindert. Ganz abgesehen davon, trug der weitergegebene Bericht keinen Geheimhaltungsvermerk; alle Behördeninterna für schützenswert zu halten, entspricht zwar ständiger Rechtsprechung, ist aber faktisch die Außerkraftsetzung demokratischer Grundsätze für die Verwaltung und eine Beschränkung der Pressefreiheit.

Chef des in Bremen in die Kritik geratenen Reinhard Hoffmann war früher der Bildungssenator Henning Scherf, und diese beiden Sozialdemokraten bilden heute als Präsident des Senats und Chef der Staatskanzlei das Tandem an der Spitze der Bremer Landesregierung. Die CDU ist der SPD zwar heute in einer Großen Koalition verbunden, doch schon in der vergangenen Monaten gab es wiederholt Knatsch im Bündnis, sodaß die Christdemokraten auch jetzt die Gelegenheit nutzten: Im Senat drückten sie eine Distanzierung von der Aktion von Polizei und Staatsanwaltschaft durch. Sie setzten sich allerdings nicht mit ihrem Ziel durch, auch den politisch Verantwortlichen zu kritisieren. Das nämlich ist Henning Scherf, der auch Justizsenator ist.

Die Durchsuchungen haben alle Bremer Parteien, einschließlich der SPD, kritisiert. Mißbilligung kam auch unter anderem von der IG Medien, dem DGB Niedersachsen-Bremen, Landespressekonferenz, Deutschem Presserat, DJV und dem Zeitungsverlegerverband. Der Hauptvorstand der IG Medien sprach von einem „massiven Eingriff in die Rundfunk- und Pressefreiheit“. Für die Bremer Fachgruppe Journalismus sagte Peter Schulz: „Die massiven Einschüchterungsversuche sollen nicht nur Journalistinnen und Journalisten treffen, sondern auch deren Informanten. Hieran läßt sich die dringende Notwendigkeit erkennen, das Zeugnisverweigerungsrecht wirkungsvoller als bisher gegen staatliche Eingriffe zu schützen.“

Auf dem Papier sieht der Schutz ganz gut aus: Zur grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit gehört nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur rechtswidrigen Durchsuchung der „Spiegel“-Redaktion im Jahr 1962 auch der „Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten. Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, daß das ,Redaktionsgeheimnis‘ gewahrt bleibt.“

In Bremen verteidigen Justizsenator Scherf und Generalstaatsanwalt Hans Janknecht ihren Angriff auf die Pressefreiheit damit, diese finde ihre Schranken in anderen Gesetzen, nämlich der Aufgabe der Justiz, eine Straftat – „Verletzung eines Dienstgeheimnisses“ aufzuklären. Zudem sei der Durchsuchungsbeschluß durch Richterspruch abgesegnet; die Unabhängigkeit der Justiz dürfe niemand in Frage stellen.

Doch das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner „Spiegel“-Entscheidung den Wert des Schutzes der Medien sehr hoch angesetzt. Sinn seines Urteils sei es, die Pressefreiheit „vor einer Relativierung durch die allgemeinen Gesetze – und die sie anwendenden Gerichte – zu bewahren und durch den Zwang, die Auslegung der allgemeinen Gesetze stets an dem Grundwert der Pressefreiheit zu orientieren, ihr den angemessenen Raum zu sichern und jede Einengung der Pressefreiheit zu verhindern, die nicht von der Rücksicht auf mindestens gleichwertige Rechtsgüter unbedingt geboten ist.“

Radio Bremen, „Weser-Report“, und einer der betroffenen Redakteure wollten gegen die Durchsuchungen in Bremen gerichtlich vorgehen. Doch die Möglichkeit dazu wird ihnen von einem CDU-Politiker, dem Finanzsenator Ulrich Mölle, genommen. Der nämlich müßte laut Strafgesetzbuch, seine Zustimmung zu weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gebeten, nachdem eine kriminaltechnische Untersuchung der zwei bei Radio Bremen und „Weser-Report“ beschlagnahmten Exemplare des Rechnungshof-Berichts ergeben haben soll, daß die Kopien aus dem Finanzressort kamen; Gerüchte nennen einen Parteifreund Mölles aus der Spitze der Behörde als Hauptverdächtigen.

Doch Mölle verweigert mit Rückendeckung seiner Partei das Plazet: Da Landesregierung und -parlament die Durchsuchungen verurteilt haben, könne er konsequenterweise die durch unverhältnismäßiges Handeln der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen nicht weiter unterstützen. Gar nicht konsequent ist die CDU allerdings bei einem von den Oppositionsparteien eingebrachten Mißtrauensantrag gegen den SPD-Justizsenator: Den wollen die Christdemokraten trotz ihrer harten Kritik an Scherf in den vergangenen Wochen nicht unterstützen.

Daher erweckt die CDU den Eindruck, daß es ihr nicht nur um die Pressefreiheit geht, zumal eine Durchsuchung der auch jetzt wieder gefilzten Lokalredaktion der „Tageszeitung“ vor einem Jahr durch die Staatsanwaltschaft – die damals ein „Bekennerschreiben“ finden wollte – ohne Protest der Chistdemokraten über die Bühne ging. Die CDU hält es auch für überflüssig, wie ihr Landesvorsitzender Bernd Neumann erklärte, der auch medienpolitischer Sprecher der Bundespartei ist, eine gesetzliche Initiative zur Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts und eines sicheren Schutzes von Informanten zu unterstützen, die wiederum Henning Scherf zumindest angekündigt hat.

Der Senatspräsident seinerseits nahm bislang mit keinem Wort zu seiner politischen Verantwortung für die Razzia Stellung. Für seinen Generalstaatsanwalt Hans Janknecht forderte Scherf, auf „Vorverurteilungen“ zu verzichten. Als offiziellen Pressesprecher der Justizbehörden hat Scherf Janknecht „einstweilen“ abgelöst – nicht, weil dieser Fehler begangen hätte – seine Entscheidung, so Scherf, sei „keine Abstrafung“ – sondern weil der Generalstaatsanwalt „im Kreuzfeuer der Kritik“ steht.

 

 

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