In die Falle gelockt

Filmeditorin Ursula Höf zur „Verhartzung“ in der Filmbranche

«M»: Filmschaffende bezeichnen ihre Arbeits- und Lebenssituation mitunter als vergleichbar mit denen der „Kohlegruben“ des 19. Jahrhunderts. Ist es wirklich so schrecklich „beim Film“ zu arbeiten?

URSULA HÖF: Nein, das ist überhaupt nicht schrecklich. Es ist immer noch spannend, hat immer noch das Flair der Traumfabrik. Allerdings muss man sich die sozialen Bedingungen leisten können. Wer in der Filmproduktion arbeitet, beim Drehen beispielsweise, der muss seinen Lebensstandart darauf einrichten, dass er nicht ununterbrochen etwas zu tun hat. Auch der Einstieg in die Branche ist mit viel Eigenleistung und wenig Geld verbunden. Bis jetzt war die Branche darauf ausgerichtet, dass wir uns zwischen zwei Anstellungen arbeitslos melden konnten. Während einer Produktionsphase sind wir als weisungsgebundene Arbeitnehmer befristet angestellt und zahlen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung ein. In Zukunft werden wir davon nicht mehr viel haben.

«M»: Das heißt, die so genannten Reformen Hartz III und IV machen sich auch bei den Film- und TV-Produktionen bemerkbar?

URSULA HÖF: Hartz III bedeutet die Verkürzung des Zeitraums, in dem Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben werden kann. Dafür mussten wir bisher innerhalb von drei Jahren 360 Tage beschäftigt gewesen sein. Künftig müssen wir das in zwei Jahren erreichen und das ist kaum machbar. Das Problem wird dadurch verschärft, dass es während der letzten Jahre weniger Fernsehaufträge gab. Es werden weniger Filme produziert als früher. Hier findet eine Verlagerung zu Talkshows, Doku-Soaps und anderen Formaten statt. Bis vor wenigen Jahren hatte ich sieben bis acht Monate im Jahr zu tun, heute kann ich froh sein, wenn ich per anno ein halbes Jahr mit Arbeit füllen kann und so wie mir geht es vielen Kolleginnen und Kollegen. Selbst wenn es einem Filmschaffenden gelingen sollte, die 360 Tage in zwei Jahren zu erreichen, bekommt er ein halbes Jahr Arbeitslosengeld – aber eben nur einmal und dann eine Weile nicht mehr. Und wenn dann jemand auf das Arbeitslosengeld II angewiesen ist – 345 /331 Euro plus Mietzuschuss – und dann noch gezwungen wird, irgendwelche anderen Jobs anzunehmen, dann hat der bald keine Zeit mehr, seinen Beruf auszuüben. Kolleginnen und Kollegen werden also in die Situation kommen, dass sie von ihrem erlernten Beruf nicht mehr leben können und die Branche verlassen.

«M»: Was heißt das für die Branche insgesamt?

URSULA HÖF: Die „Reservearmee Filmschaffende“ wird kleiner. Unsere Angst ist auch, dass eine Dequalifizierung einsetzt. Die Menschen, die bisher qualifizierte Filmschaffende waren, bekommen nicht mehr genug zu tun, gehen aus den Berufen raus und daran leidet die ganze Branche. Wobei ich um die jungen Menschen nicht so viel Angst habe. Auf welchen Wegen auch immer werden sie versuchen, Jobs zu ergattern. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von gut qualifizierten Kollegen, die aus unterschiedlichen Gründen – weil sie älter sind, Kinder haben oder welche haben wollen, oder beruflich noch nicht so anerkannt sind, aber nicht mehr jung genug, um von sehr wenig zu leben – und deshalb weg gehen. Das heißt, das Kontingent an erfahrenen Filmschaffenden wird sehr viel kleiner und die weniger qualifizierten rücken nach.

Dazu kommt, dass Filmemachen in Stoßzeiten stattfindet, meistens in den Zeiten von März bis Oktober. Oder wie es in jüngster Zeit oft passiert ist, im ersten Halbjahr läuft fast nichts und dann geht es von August bis November volle Kanne ab. In den Zeiten werden die Produktionsfirmen dann nicht mehr genügend qualifizierte Leute finden.

«M»: Wie geht ihr mit den neuen Problemen um?

URSULA HÖF: Leider gibt es keine Gegenwehr wie in Frankreich. Wäre das so – wunderbar! Wir versuchen, mit den Mitteln der Tarifpolitik einen Ausgleich zu schaffen. Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Film gedreht wird, haben wir oft sehr lange Arbeitstage, mitunter 14 oder 16 Stunden. Laut Tarifvertrag berechnet sich unsere Gage an zehn Stunden, darin sind zwei Überstunden enthalten. Wir möchten, dass die Mehrarbeit nicht mehr ausbezahlt, sondern auf einem Zeitkonto gutgeschrieben wird. Dieses Arbeitszeitkonto verlängert die Beschäftigungszeit und unter Umständen können so die Anwartschaftszeiten erreicht werden.

«M»: Von der Politik ist zu hören, es wird für euch keine Ausnahmeregelung geben. Ein Armutszeugnis in Richtung Kultur?

URSULA HÖF: Ich empfinde es als eine Ungeheuerlichkeit, wenn Abgeordnete über eine Branche urteilen, von der sie überhaupt keine Ahnung haben. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es klug ist, Sonderregelungen für Filmschaffende zu fordern. Was mich total ärgert ist die Tatsache, dass die Politik uns in die Zange nimmt. Sie verlangen einerseits von uns, dass wir eben nicht als Selbständige arbeiten – nur sehr wenige von uns können in die KSK – sondern dass wir als weisungsgebundene Arbeitnehmer in die Sozialversicherung und eben die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Dann werden uns die Wege blockiert, um aus der Arbeitslosenversicherung etwas zu bekommen. Sie haben uns in die Falle gelockt! Wir können uns nicht dagegen wehren, dass wir in die Arbeitslosenversicherung einbezahlen, sind darauf angewiesen, dass wir daraus etwas bekommen und möglicherweise wird uns das vorenthalten.

«M»: Bei jeder sich bietenden Gelegenheit fordern die Bosse der Medienindustrie branchengerechte politische Rahmenbedingungen. Wie es scheint, nimmt man euch den Rahmen weg.

URSULA HÖF: Ja, das ist so! Doch ich habe den Eindruck, dass die Bosse noch nicht ganz begriffen haben, dass ihnen hier das Gewerbe verhungert! Es ist gut möglich, dass sie das erst in drei oder fünf Jahren merken und dann ist es vielleicht zu spät. Leider ist die Filmbranche immer eine sehr kurzfristig denkende gewesen. Hier wird immer nur von Projekt zu Projekt gedacht und selten langfristig. Zudem können wir von Arbeitszeiten und sozialen Bedingungen wie in Industriebetrieben oder auch in anderen Branchen nur träumen. Irgendwann, wenn die sozialen Bedingungen immer schlechter werden, dann gibt es vielleicht keine Filmschaffenden mehr.

Das Interview führte: Günter Frech

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »