Deutsche Privatradioszene steht am Scheideweg
Die deutsche Radioszene wird derzeit von drei K‘ s gebeutelt: Krise, Konkurrenz und Konzentration. Sie sorgen nicht nur seit letztem Jahr für Bewegung am Hörfunkmarkt, sondern werden die Strukturen in noch ungeahntem Ausmaß umkrempeln.
Die Botschaft hätte nicht schmerzlicher sein können: Das dritte Jahr in Folge rechnen die rund 260 deutschen Radiostationen mit sinkenden Werbeeinnahmen. Statt 733 Millionen wie im Boomjahr 2000 werden es wohl nur noch 570 Millionen Euro in diesem Jahr sein. Und die renommierte Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers prognostiziert in ihrer neuesten Studie „German Entertainment and Media Outlook“ selbst bis 2007 nur eine moderate Erholung. Mit etwa 19 Euro Werbeumsatz pro Radiohaushalt werde auch in vier Jahren das Niveau von vor drei Jahren (21 Euro pro Haushalt) nicht wieder erreicht. Das steht im Widerspruch zu Reichweite und Hördauer: Mit 35 Millionen Radiohaushalten erreicht das Medium noch vor dem Fernsehen die größte Abdeckung (98,9 Prozent). Und auch die Hördauer ist in den letzten fünf Jahren von 172 Minuten pro Tag auf 202 gestiegen.
Zugleich konstatieren die PWC-Analysten lakonisch: 80,8 Prozent der Einnahmen der gesamten Radiobranche in Deutschland sind Gebühren – allein im letzten Jahr 2,5 Milliarden Euro für 60 Programme. Kein Wunder, dass sich die Debatte um die duale Rundfunkzukunft gerade im Hörfunk verschärft. So konstatiert Karlheinz Hörhammer von Antenne Bayern einen „gebührenfinanzierten Verdrängungswettbewerb“ der versparteten und kommerziell agierenden ARD-Wellen, der nichts mehr mit Grundversorgung zu tun habe. Ins gleiche Horn stößt Steffen Müller von der Ludwigshafener Rundfunkholding Moira: Die Ministerpräsidenten hätten bei den neuen Rundfunkverträgen „mehr zu regeln als nur die Gebührenhöhe“.
Auch die Forderungen nach Werbeverzicht der ARD-Wellen werden im Zuge der Gebührendebatte immer lauter. Erste Planspiele in einer Studie des Luxemburger Medienberaters Bernt von zur Mühlen zeigen allerdings: Ohne die ARD-Radios ist eine nationale Hörfunkwerbekampagne kaum effektiv umzusetzen. Selbst in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen würden nur mit Spots bei den Privaten allenfalls 50 Prozent erreicht – von einkommensstärkeren und höher gebildeten Hörern ganz abgesehen. Deutschlands „Radiokönig“ Jürgen Filla, nach dem Kauf der AVE-Hörfunkgruppe Herr über inzwischen 19 Stationen, hält von derlei Planspielen gar nichts. Nicht nur, weil er mit den RTL- Radios bei der ARD-Werbetochter AS&S mit im Boot sitzt, sondern weil er eher auf vermarkterübergreifende Radioangebote für Werbetreibende setzt. Dies funktioniere in Großbritannien sehr gut, und auch in anderen europäischen Ländern profitiere das Radio im Vergleich zu TV und Print davon.
Weniger Auflagen
Erleichterungen in der Krise und im dualen Wettbewerb erwarten die Privatradios nicht nur von der Medienpolitik, sondern auch von den Landesmedienanstalten. Die deutschlandweit 15 Behörden zur Lizenzierung und Überwachung kommerziellen Rundfunks sollten weniger Auflagen machen und mehr Kooperationsmöglichkeiten gestatten. Das meint zumindest der Vizechef des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), Hans-Jürgen Kratz. Unter Anspielung auf etwa ein halbes Dutzend Senderinsolvenzen droht der Chef von Antenne Thüringen: „Wenn sich die Wettbewerbsbedingungen nicht verändern, wird das Sendersterben weiter gehen“.
Krise und Konkurrenz befördern das dritte K, Konzentration. Dem Filla-Coup folgen nun neue Zusammenschlüsse. So zimmert der Leipziger PSR-Chef Erwin Linnenbach mit Rückendeckung des zuständigen Vorstands elektronische Medien bei der Axel Springer AG, Hubertus Meyer-Burkhardt, schon länger erfolgreich an einem Hörfunknetzwerk. Die neue Radioholding Regiocast reicht von der PSR-Gruppe in Sachsen über die Berlin-Brandenburger r.s.2-Senderfamilie bis zum RSH-Verbund in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Zu wenig Qualifizierte
Zwar meint Geschäftsführer Michael Tenbusch, für Burda Broadcast käme derzeit eine Radio-Kette nicht in Betracht, räumt aber ein, dass das Verlagshaus („Focus“, „SuperIllu“ u. a.) an „sinnvollen Kooperationsmöglichkeiten“ seiner Radiobeteiligungen arbeitet. Neuen Konzentrationswellen Vorschub leisten könnte auch ein drohender Ausstieg der WAZ aus 10 der 16 Radio-Betriebsgesellschaften in NRW. Und das neue Lokalfunk-Konzept in Bayern mit gemeinsamen Funkhäusern, reduzierter Lokalberichterstattung und steigendem Mantelanteil spielt dem Telefonbuchverleger Gunter Oschmann in die Hände. Den hatte schon vor zwei Jahren die Konzentrationskommission KEK als Radiomulti geoutet.
Für die Hörfunk-Beschäftigten haben die drei K‘ s verheerende Folgen, wie Michael Jacobsen vom ver.di-Projekt connexx-av feststellt. Gehälter stagnieren oder werden reduziert, nur eine Minderheit der Privatsender ist tarifgebunden, qualifizierte Festangestellte werden durch Volontäre und Praktikanten ersetzt. Doch es gibt auch Lichtblicke. So startete neben Hamburg, Regensburg und Köln nun auch an Deutschlands härtestem Radiomarkt Berlin eine IHK-Weiterbildung. Mit ihrer Hilfe sollen angelernte Werbezeitenverkäufer zu Mediaberatern jobbegleitend qualifiziert werden. Dafür stark gemacht hat sich u. a. die Chefin der Top-Radiovermarktung Maria Mpalaoura. Sie finanziert die zertifizierte Weiterbildung von 12 ihrer 15 Mitarbeiter mit einem klaren Anti-Krisen-Argument: „Wer ein Unternehmen langfristig erfolgreich machen will, muss selbstverständlich in die Mitarbeiter investieren“.