Informationsfreiheitsgesetz erneut in der Warteschleife

Akteneinsicht für mehr Transparenz in anderen Ländern bereits Alltag

Bürger können in deutschen Behörden keine Akten einsehen. Noch immer herrscht das Amtsgeheimnis vor dem Öffentlichkeitsprinzip. Die Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes wird seit fünf Jahren immer wieder verschoben. Zuletzt scheiterte der Bundesentwurf im Sommer 2002 am Widerstand einiger Ministerien sowie der Wirtschaft, die um die Preisgabe von Forschungs- und Betriebsgeheimnissen bangte. Ende Mai stellte das Bundesinnenministerium den Koalitionsfraktionen im Bundestag den Gesetzesentwurf erneut vor.

Derzeit beraten allein noch Luxemburg, Kroatien, Weißrussland und Jugoslawien über Informationsfreiheitsgesetze. In Schweden wurden diese Gesetze schon vor über 200 Jahren eingeführt. Australien, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Neuseeland, Norwegen, Kanada, Irland, Ungarn, die USA, Südafrika, die Schweiz und Italien bieten ihren Bürgern ebenfalls den raschen, kostenlosen und einfachen Zugang zu amtlichen Dokumenten. In Südafrika gilt das Informationsfreiheitsgesetz sogar gegenüber der Privatwirtschaft.

Alte Gegenargumente

Der nunmehr vorliegende deutsche Gesetzentwurf soll allerdings, so heißt es aus der SPD-Fraktion, unverändert dem Papier aus dem Vorjahr entsprechen: Die Beamten sollen die selben Gegenargumente wie bereits vor einem Jahr vorgetragen und zahlreiche Änderungswünsche der SPD und Bündnisgrünen ignoriert haben. Nun wollen die Abgeordneten in kleinen Gesprächsrunden mit den Referatsleitern aus verschiedenen Ministerien den Entwurf in den nächsten Wochen in allen Details beraten. Einiger Druck auf die Bürokratie scheint jedenfalls nötig zu sein. Manfred Redelfs von der Journalistenvereinigung netzwerk recherche wittert denn auch einen Interessenskonflikt: „Momentan arbeitet die Ministerialbürokratie daran, sich selber mehr Transparenz zu verordnen.“ Es sei deshalb naheliegend, dass „ein solches Projekt nicht gerade mit Herzblut vorangetrieben wird“.

Dabei hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss zunächst gehofft, vor allem die Bedenken der Wirtschaft widerlegen zu können. So hatte Bertelsmann im April in einer kleinen Studie darüber informiert, dass in den USA immerhin 80 Prozent der Anfragen von Wirtschaftsunternehmen ausgehen. In Kanada stellen Unternehmen mit 50 Prozent die größte Nutzergruppe. Das Informationsfreiheitsgesetz senke die Kosten von Unternehmen für die Informationsbeschaffung und erschließe mit der kommerziellen Nutzung des Gesetzes sogar ein neues Geschäftsfeld. Im Bereich der öffentliche Vergabe stärke es den Wettbewerb sowie das Vertrauen der Kunden.

„Ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft“, erkennt Reinold Thiel von Transparency International / Deutsches Chapter in der freien Akteneinsicht. Es sei deshalb an der Zeit, dass die Ankündigungen aus der Koalitionsvereinbarung endlich in die Tat umgesetzt werden. Es scheint höchste Zeit zu sein: Im Antikorruptionsregister ist Deutschland bereits auf Platz 18 abgerutscht. Auf internationale Firmen und Anleger wirkt dies wohl abschreckender als ein Informationsfreiheitsgesetz.

Gute Erfahrungen

In fast allen Industrieländern gibt es bereits solche Transparenzverpflichtungen. Mit einem bundesweit gültigen Informationsfreiheitsgesetz hätte jeder Bürger ein Akteneinsichtsrecht, unabhängig von seiner persönlichen Betroffenheit und ohne dass eine besondere Begründung erforderlich wäre. Inzwischen konnten mit Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auch vier deutsche Bundesländer mit dem Akteneinsichtsrecht gute Erfahrungen machen. Christoph Bruch vom Berliner Landesvorstand der Humanistischen Union geißelt die gegenwärtige „Beschränkung politischer Kontrollmöglichkeiten auf Mandatsträger“ denn auch als „antiquiertes Demokratieverständnis“.

Eigenen Gesetzentwurf ausarbeiten

Angesichts des drohenden Stillstands fordern nun netzwerk recherche, die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, und Transparency International, dass das im Koalitionsvertrag angekündigte Informationsfreiheitsgesetz auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Immerhin hatte sich Rot-Grün das Gesetz bereits im Koalitionsvertrag von 1998 auf die Fahnen geschrieben. Die drei Organisationen wollen sich jetzt untereinander auf Mindestanforderungen an ein allgemeines Akteneinsichtsrecht verständigen und einen eigenen Gesetzentwurf ausarbeiten. „Wenn die Verwaltung kein weitreichendes, modernes und für jeden Bürger verständliches Akteneinsichtsrecht zustande bringt, müssen wir ihr offenbar dabei helfen“, sagt Redelfs.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »