Ist auf die Bilder Verlaß?

Der Dokumentarfilm und die Geschichtsbilder – eine Tagung in Berlin

Filmbilder machen Geschichtsbilder. Gegenwärtig häufen sich im Milleniumsfieber die historischen Rückblicke. Das Fernsehen zeigt eine Fülle dokumentarischer Filme, die geschichtliche Ereignisse einordnen, bewerten und bebildern. Dabei ist der Umgang mit dem historischen Filmmaterial selbst ein Problem. In Kompilationsfilmen, die aus Archivmaterial gebaut sind, müssen Fragen gestellt werden: Wo kommen die Bilder her? Wer hat sie wofür benutzt? Ist auf sie Verlaß?

„Geschichte wird gemacht“, lautete der Titel einer Tagung, die das Haus des Dokumentarfilms in Zusammenarbeit mit Arte in Berlin veranstaltete. Untersucht werden sollte, welche Rolle Film und Fernsehen für die „Konstruktion nationaler Geschichtbilder“ spielen und welche Tabus, Feindbilder und Selbstwahrnehmungen von den Medien entwickelt und weitergetragen werden. Es ging um Lesbarkeit der Bilder, um ihre Interpretation und Manipulation, um ihre Geschichtsmächtigkeit.

Dabei spielte das Thema Faschismus eine entscheidende Rolle. Nahezu alle Filmbilder, die über die Nazizeit in der Welt sind, sind inszenierte Ideologie. Wie umgehen mit diesem Material? Wie ihm seinen Zweck austreiben, wie so montieren, daß noch eine Wahrheit herausspringt?

Der Filmhistoriker und Filmautor Hans Beller zeigte, wie unterschiedlich Autoren mit den Inszenierungen von Leni Riefenstahl umgingen. Erwin Leiser z.B. brach in „Mein Kampf“ (1959), der für eine ganze Nachkriegs-Generation die erste Begegnung mit der Nazi-Geschichte bedeutete, nicht mit ihrer Rhetorik. Er suchte den Weg über den aufklärerischen Kommentar. Erst in dem späteren Film „Feindbilder“ hat er Herkunft und Ästhetik der Bilder selbst zum Thema gemacht. Auch der sowjetische Filmemacher Michail Romm benutzte in seinem Film „Der gewöhnliche Faschismus“ die gleichen Bildquellen aus „Triumph des Willens“. Aber er montierte sie gegen ihre Herkunft und stellte sie in einen anderen Kontext. Romms Methode ist die filmische Montage, sie folgt der rhetorischen Figur der Ironie und ist ein Versuch, durch Collage und Zerstörung der Sehkonventionen den Dingen zur Kenntlichkeit zu verhelfen. Romms Methode hat freilich wenig Nachfolger gefunden. Heute dominiert, etwa in Guido Knopps historischen Serien, eine Methode der historischen Rekonstruktion, die dokumentarische Bilder durch Inszenierungen aufpeppt und Geschichte rasant und dramatisch inszeniert.

Dokumentarische Bilder sind dabei oft nur bloße Illustration, obwohl sie doch mehr erzählen könnten. Wie der Blick selbst durch gesellschaftliche Konventionen gelenkt werden kann, zeigte der Historiker Hannes Heer, Autor der Ausstellung über „Verbrechen der Wehrmacht“, am Beispiel einer Filmsequenz aus einer Nazi-Wochenschau. Man sieht einen Elendszug deportierter Juden, am Rand läuft ein Soldat. Fast beiläufig ist dokumentiert, daß die Wehrmacht an den Verbrechen beteiligt war.

Diese Sequenz, ein „Molekül der Geschichtskonstruktion“, ist oft in historischen TV-Dokumentationen verwendet worden, in „Europa unterm Hakenkreuz“ ebenso wie in Joachim Fests Hitler-Film. Aber wahrgenommen hat man den Soldaten lange nicht. Der Wahrnehmung vorgeschaltet war die „große Erzählung“, der gesellschaftliche Konsens, demzufolge die Wehrmacht sauber geblieben war im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Es handelt sich dabei freilich nicht um eine naturnotwendige Verdrängung, sondern um eine Legende, schon früh von Wehrmachtsgeneralen in die Welt gesetzt. Geschichte werde „nicht vergessen oder verdrängt“, so Hannes Heer, „sie wird aktiv umgeschrieben“. Die kurze Szene dokumentiert nicht nur einen Sachverhalt, sondern auch, wie von ihm lange abgesehen wurde.

Das haben Dokumentarfilme und Geschichtsschreibung gemeinsam: sie bilden nicht plan ab und liefern keine unverrückbaren Wahrheiten. Sie sind selbst wieder Konstruktionen aus subjektiver Perspektive. Es kommt nach Ansicht der Düsseldorfer Historikerin Susanne Brandt entscheidend darauf an, „welche Konzepte von Geschichte und Gedächtnis“ ein Autor, er sei Dokumentarist oder Historiker, vertritt. Das könne man in den Filmen ablesen an der Rolle, die der Geschichts-Erzähler selbst einnimmt, welchen Stellenwert den Zeitzeugen zugewiesen wird, ob die Quellen transparent gemacht werden und wie der Gegenwartsbezug hergestellt werde. Wichtig sei, daß der historische Diskurs offen geführt werde und die Zuschauer in die Lage versetzt würden, „die Geschichte selbst zu konstruieren“.

Gegen den von den Veranstaltern verwandten Begriff von den „nationalen Konstruktionen“ wollte Susanne Brandt den Begriff des „kollektiven Gedächtnisses“ setzen. Er bezeichnet jenen Fundus, in den die dokumentarischen Bilder eingehen und aus dem sie abgerufen werden. Sie wies darauf hin, daß Erinnerung durch Gegenwart gefiltert wird: „Erinnerungen werden immer wieder neu nach den Bedürfnissen der Gegenwart zusammengesetzt“. Sie werden umgeschrieben wie retuschierte Bilder, traktiert von politischen und gesellschaftlichen Einflüssen.

Beispiele für solche laufenden „Umschreibungen“ analysierte der polnische Publizist Adam Krzeminski, als er der Frage nachging, welches Film- und Fernseh-Bild Polen und Deutsche sich voneinander machen. Krzeminski konstatierte zwei Linien in der polnischen Ideologie gegenüber dem deutschen Nachbarn. Erstens die einer tausendjährigen Konfrontation; sie reicht von den Kreuzrittern bis zu Adenauer. Zweitens die einer Osmose, einer Annäherung und Durchdringung. Beide Haltungen und Sichtweisen finden sich in den Filmen. „Negative Denkmuster“ seien, so der Publizist, auch heute noch ein Problem, wenn auch ein abnehmendes. An diesem Punkt blieb die ambitionierte Tagung dann stecken. Das spannende Thema der Fremdbilder, die in einer Gesellschaft umgehen, wurde am Beispiel von Polen und Frankreich nur angetippt, im Ganzen jedoch verschenkt.

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