Kein Gefälligkeitsjournalismus

„Süddeutsche Zeitung“ künftig ohne Anzeigen von Aldi-Süd

Einen Betriebsrat zu haben, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, findet Dagmar Rüdenburg vom Fachbereich Handel in Bayern – auch für die Mitarbeiter in Aldi-Filialen! Dass sieht der Billig-Anbieter freilich ganz anders und tut alles, um die Bildung eines solch lästigen Mitarbeiter-Gremiums in München zu verhindern. Ein Thema für die Lokalzeitung – auch das sollte eine Selbstverständlichkeit sein! Doch kaum war der Artikel im Bayern-Teil der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen, stornierte Aldi-Süd für Bayern seinen Anzeigen-Auftrag bei der Tageszeitung. Das macht aus einem Fall von Selbstverständlichkeiten einen Skandal.

1,5 Millionen Euro gehen der „Süddeutschen“ durch die Stornierung des Anzeigen-Auftrages von Aldi-Süd durch die Lappen. Ein ganz schöner Brocken für das seit langem finanziell angeschlagene Blatt. Die Anzeigenabteilung soll daher auch „halb in Ohnmacht“ gefallen sein, ist zu hören. Die Berichterstattung aus Rücksicht auf den Anzeigenkunden zurückzuhalten, habe aber nie zur Debatte gestanden, beteuert Karl Forster, stellvertretender SZ-Lokalchef. Und so schilderte SZ-Reporter Bernd Kastner, der kurz zuvor für seine Berichterstattung zum Thema „Entmietung in München“ ausgezeichnet worden war, in einem Artikel Anfang April, mit welchen Mitteln Aldi-Süd-Manager versuchen, die erstmalige Gründung eines Betriebsrates in einer ihrer Filialen in München zu verhindern. So würden Aldi-Mitarbeiter unter anderem mit gezielten Drohungen schikaniert: „Wenn sie einen Betriebsrat wählen, werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen“.

„Von oben, von der Chefredaktion und der Geschäftsleitung war unsere Berichterstattung voll gedeckt,“ erzählt Karl Forster. Und weiter: „Es wäre ein Drama, wenn wir solche Themen umgehen würden.“ Während die „Süddeutsche“ zufrieden ist mit sich, ist Bernd Mann, Fachsekretär Medien bei der dju-München, skeptisch: „Was die Süddeutsche gemacht hat, ist doch eigentlich etwas ganz Selbstverständliches.“ Dass der Normalfall zur Ausnahme wird, stellt für ihn das eigentliche Drama dar. Und das befindet sich für Bernd Mann bereits in einem ziemlich fortgeschrittenen Stadium. Denn Fälle von Gefälligkeitsjournalismus nehmen nach seiner Beobachtung stark zu. Dass zum Beispiel über die Probleme bei der Wahl eines Betriebsrates in einer Aldi-Filiale in anderen Tageszeitungen nicht berichtet wurde, sei symptomatisch für die Schere im Kopf als Folge der Abhängigkeit von großen Anzeigenkunden. „Bei allen Geschichten, die große Anzeigenkunden betreffen, schwirrt einem der Gedanke durch den Kopf, was der dann wohl macht,“ gibt Karl Forster zu. „Davon dürfen wir uns nicht beeindrucken lassen.“

Ein schmaler Grat

Der Zusammenhang zwischen Berichterstattung und Anzeigenauftrag scheint selten so eindeutig wie im Fall „Aldi-Süd und SZ“, und dennoch ist ein handfester Beweis kaum zu erbringen. So ließ eine Aldi-Süd-Sprecherin verlauten, die Anzeigen-Stornierung sei Teil eines geänderten Werbekonzeptes: Man wolle in München jetzt nur noch in kostenlosen Wochenblättern Anzeigen schalten. Sicher nur ein Versehen, dass die Aldi-Anzeigen in anderen Münchner Kaufzeitungen unverändert zu lesen sind. Auch presserechtlich ist dem Vorgehen von Aldi-Süd nicht beizukommen. Im „Medienmagazin“ des Bayerischen Rundfunks erläuterte Volker Nickel vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft die Grundsätze bei der Vergabe von Werbeaufträgen so: „Die Vergabe von Werbeaufträgen darf kein Mittel zur Verhaltenssteuerung von Redaktionen sein. Der Werbeinvestor darf nicht in die Redaktion gehen und sagen, ihr müsst den und den Text in der und der Richtung machen, damit ihr Anzeigenaufträge bekommt, aber er kann natürlich seine Werbeaufträge zurückhalten.“ Im Zweifelsfall ein sehr schmaler Grat, der Journalisten in Bedrängnis bringt und Unternehmen womöglich in Versuchung führt. Als „Missbrauch der Einkaufsmacht“ bezeichnete das der Deutsche Presserat vor drei Jahren in einem ähnlichen Fall. Auch der betraf die „Süddeutsche Zeitung“. Damals hatte das Blatt kritisch über die Lufthansa berichtet, die daraufhin die Abonnements des Blattes für ihre Bordexemplare kündigte. Wie damals das Verhalten der Lufthansa, könnte jetzt Aldi-Süd Anlass für eine öffentliche Mahnung des Presserates sein.

Selbst der Süddeutsche Verlag dürfte vermutlich nur wenig Interesse daran haben, das Thema allzu lange warm zu halten, schließlich gehören zu dem Verlag auch kostenlose Anzeigenblätter, die jetzt prima in das neue Werbekonzept von Aldi-Süd passen würden. Der stellvertretende SZ-Lokalchef gibt sich freilich unbeugsam: „Wenn sich diese Geschichte mit Aldi und einem zu wählenden Betriebsrat weiter entwickelt – in welcher Richtung auch immer – dann werden wir darüber berichten.“ Auf jeden Fall will Dagmar Rüdenburg in den nächsten Monaten – notfalls mit gerichtlicher Hilfe – den ersten Betriebsrat bei Aldi-Süd gründen.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Initiative: KI besser nutzbar machen

Der Dominanz der globalen Big-Tech-Konzerne etwas entgegensetzen – das ist das Ziel einer Initiative, bei der hierzulande zum ersten Mal öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter zusammenarbeiten. Sie wollen mit weiteren Partnern, vor allem aus dem Forschungsbereich, ein dezentrales, KI-integriertes Datenökosystem entwickeln. Dadurch soll die digitale Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medienstandorts gestärkt werden.
mehr »

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »

Für faire Arbeit bei Filmfestivals

„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des  Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
mehr »