Die Kölner Skandale und die regionalen Medien
Die journalistische Jagd nach Beweisen für unethisches Politikerverhalten, das Wühlen im Dreck im wohlverstandenen Interesse der Öffentlichkeit – in den USA gehört es zum Berufsethos von Reportern, aber in Deutschland ist es institutionell unterdrückt. Das zeigen die Kölner Skandale um die Kölner Politiker Heugel (SPD) und Bietmann (CDU).
Der Fall Heugel
Am 31. August 1998, also ein Jahr vor dem öffentlichen Skandal um die Insider-Aktiengeschäfte des Kölner Oberstadtdirektors Klaus Heugel, berichtete der Branchendienst „Czerwensky Intern“ über auffällige Kurssprünge der Aktie des Konzerns „Felten und Guilleaume“, F&G, der im Kölner Stadtteil Mülheim ein immer kleineres Kabelwerk und viele brache Grundstücke besitzt. Der F&G-Kurs stieg schon in den Wochen bevor bekannt wurde, daß die städtischen Kölner Gas- Elektrizitäts- und Wasserwerke GEW ihren 25-prozentigen Anteil an F&G für rund 100 Millionen Mark verkaufen. Ein typisches Anzeichen für illegale Insidergeschäfte also, „Czerwensky Intern“ forderte das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel zu Ermittlungen auf.
Der Kreis der verdächtigen Insider ist offensichtlich: Es sind die Vorstände und Aufsichtsräte der beteiligten Unternehmen GEW und F&G, also auch die Kölner Lokalpolitiker im GEW-Aufsichtsrat. Der Sprecher des Bundesaufsichtsamtes wundert sich: Kein Journalist aus Köln ruft ihn an.
Erst fast ein Jahr später ist der der Kölner Journalist und Filmemacher Peter Kleinert am Telefon, der über die Stadtplanung in Köln-Mülheim einen Film dreht. Da geht es um die F&G-Immobilien, um selbstbestimmtes Wohnen und um Arbeitsplätze. Erst als der IG-Metall-Bevollmächtigte Theo Röhrig auf einer Wahlveranstaltung seinen SPD-Genossen vorwirft, mit dem Verkauf des städtischen GEW-Aktienpaketes die restlichen Arbeitsplätze bei F&G zum Abschuß freigegeben zu haben, wird Kleinert auch auf das Thema Aktien aufmerksam. Wer profitierte davon?
Kleinert läßt sich von seiner Hausbank den Kursverlauf der F&G-Aktie ausdrucken. Sofort fällt ihm auf, daß die Aktie in den Wochen und Monaten schon vor dem Verkauf des Aktienpaketes der GEW an die Moeller-Holding stark gestiegen ist. Mit dem Kurssprung nach der Bekanntgabe des Verkaufes waren für Insider-Spekulanten in wenigen Wochen 25 Prozent Gewinn zu machen. Der Sprecher beim Bundesaufsichtsaumt für den Wertpapierhandel bestätigt Kleinert, daß sein Amt den Fall F&G untersucht – und, daß der SPD-Oberstadtdirektor Heugel und der GEW-Vorstandssprecher Fritz Gautier zu den Verdächtigten gehören (Gautier versicherte später, nie eine Aktie von F&G besessen zu haben).
Ein „Scoop“ ist in Sicht, würden die amerikanischen Kollegen sagen, ein exklusiver Knüller. Kleinert will ihn in der „Kölner Woche“ veröffentlichen, der von ihm mitgegründeten Wochenzeitung, die der DuMont-Presse ein wenig Paroli bieten soll (M berichtete).
Umgehend bietet Kleinert zwei Redaktionen des Westdeutschen Rundfunks einen Fernsehbericht an, der kurz vor der nächsten Ausgabe der „Kölner Woche“ gesendet werden soll – und scheitert damit.
In der Redaktion „Hier und Heute Unterwegs“ wird sein Vorschlag zu spät gelesen, und das nicht einmal genau. Besonders leid tut es der damit befaßten Redakteurin allerdings nicht, daß dem WDR die Geschichte durch die Lappen gegangen ist. Ein Vorschlag von vielen, dazu noch an die „falsche“ Redaktion, kein Anruf vom Autor und ein wirr formuliertes Fax – verantwortlich dafür sei Kleinert selbst.
Auch beim zuständigen WDR-Landesstudio Köln blitzt Kleinert mit seinem Vorschlag ab. Der Planungsredakteur mag gar nicht erst versuchen, selbst zu entscheiden. Er bittet Kleinert, mit einem freien Mitarbeiter zu telefonieren, der ab und zu über F&G-Angelegenheiten berichtet. Ein Konkurrent soll also darüber richten, ob Kleinerts Geschichte des WDR würdig ist. Das ist ein bißchen viel verlangt. Nach Kleinerts Darstellung zeigt sich der freie Kollege bei dem Telefonat davon überzeugt, selbst gut genug über F&G Bescheid zu wissen und versucht im übrigen, Kleinert ein bißchen auszufragen. Eine Woche später, als Heugel selbst seine Insidergeschäfte zugegeben hat, fährt das Landesstudio eine Live-Sondersendung aus dem Rathaus…
So erscheint Kleinerts Recherche als erstes am Samstag, 21. August, in der „Kölner Woche“. Am Montag danach greift nur die Kölner „Bild“-Redaktion die Geschichte auf, nachdem Klaus Heugel telefonisch dem „Bild“-Redakteur Peter Königsfeld den Besitz von F&G-Aktien bestätigt hat. Die drei Kölner DuMont-Zeitungen bleiben zunächst stumm. Begründung des Verlages: Die „Kölner Woche“ sei keine zuverlässige Quelle. Man habe zunächst selbst recherchieren wollen. Königsfeld vermutet hingegen als Ursache die Nähe von „Rundschau“, „Express“ und „Stadtanzeiger“ zur Stadtverwaltung und ihrem Chef Heugel.
Erst am Dienstag hat die DuMont-Presse die Geschichte, und beide Abonnementzeitungen bringen sie im weniger oft gelesenen Wirtschaftsteil. Die Zeitungen haben es nicht nötig, die „Kölner Woche“ (Auflage 5000) als wahre Enthüllerin der Ermittlungen zu nennen. „Wie in den vergangenen Tagen bekannt wurde…“ heißt es lediglich in dem Artikel.
Peter Pauls, stellvertretender Chefredakteur des „Kölner Stadtanzeigers“: „Die Quelle war angegeben, es handelt sich um das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel. Dieses teilte uns auf Anfrage mit, daß es im vorliegenden Fall ermittelt.“
Am Mittwoch dann schießt „Bild“ über das Ziel hinaus, straft ihren eigenen Artikel von vorgestern Lügen und reklamiert die Enthüllung sogar „exclusiv“ für sich…
Es war nicht die Berichterstattung der Presse, sondern ein frühes Geständnis von Klaus Heugel (bei dem er sich gleichzeitig als unschuldig bezeichnete), das für den schnellen Absturz des SPD-Kandidaten für das Kölner Oberbürgermeisteramt sorgte. Heugel gab zu, binnen weniger Wochen 15.000 Mark Gewinn mit den Insidergeschäften gemacht zu haben. Später spricht die Staatsanwaltschaft von einem Vielfachen dieses Betrages.
Der Fall Bietmann
Auch bei der zweiten Kölner Skandalgeschichte, der des CDU-Fraktionsvorsitzenden Rolf Bietmann, machten die Kölner Medien keine rühmliche Figur. Am 7. September, fünf Tage vor den Wahlen, berichteten zwar mehrere Zeitungen gleichzeitig mit Zitaten aus ihnen zugespielten Verträgen über das seltsame Gebaren des Rechtsanwaltes: Bietmann kann als Berater bei Immobiliengeschäften offensichtlich blitzschnell die Seiten wechseln – wenn nicht zum eigenen Nutzen, dann zum Nutzen seines Sozietätskollegen. So beriet er die Caritas bei einem Grundstücksverkauf, bei dem schließlich eine Immobiliengesellschaft BIP (Busi-ness Immobilien Projekt GmbH) zum Zuge kam. Bietmann war laut Notariatsvertrag wenigstens zwei Jahre lang Treugeber, also versteckter Teilhaber der BIP. Gegen Bietmann erscheint ein Mann wie Heugel, der unter eigenem Namen Insider-Aktiengeschäfte macht, wie ein bemitleidenswerter kleiner Fisch.
Seit den Veröffentlichungen stößt Bietmann ständig Drohungen gegen die Presse aus und wirft zu deren Verwirrung rhetorische Nebelkerzen, und zwar offensichtlich mit Erfolg. Seit ihrer ersten Veröffentlichung bis zum Redaktionsschluß dieses Artikels haben die DuMont-Zeitungen fast nur noch über Bietmanns Dementis berichtet. So reklamiert der CDU-Politiker für sich Irrtümer in notariellen Verträgen und behauptet, er habe nicht von den BIP-Geschäften profitiert. Wer mehr wissen wollte, mußte die „Süddeutsche Zeitung“ lesen, wo der „Enthüllungsjournalist“ Hans Leyendecker zum Beispiel am 11. September, dem Tag vor der NRW-Kommunalwahl, Dokumente der Sparkasse Gera präsentierte: Danach hat Saubermann Bietmann ebenso wie sein Kanzleikollege für die BIP eine Bürgschaft in Höhe von 150.000 Mark geleistet. Bietmanns Einlassung, er sei wirtschaftlich mit der BIP nicht verbunden, werde sich wohl nicht mehr halten lassen, schrieb Leyendecker – und wunderte sich anschließend über die Kölner Presse. Daß neue Dokumente aufgetaucht sind, wurde in in den Kölner Zeitungen nicht einmal zitiert, obwohl so ein Artikel „normalerweise das Ende“ einer Politikerkarriere sei.
Über Details eines anrüchigen Protokolls über Verhandlungen Bietmanns mit dem Gerling-Konzern im Oktober 1995 war zwar in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen, nicht jedoch in den Kölner Zeitungen. In dem Gespräch lockte Bietmann anscheinend den Gerling-Konzern mit möglichen Vorteilen bei dem städtischen Telefonunternehmen netcologne und erwartete im Gegenzug Rechtsanwaltsmandate von dem Versicherer.
Die Kölner Zeitungen berichteten vorzugsweise indirekt und distanzierend davon, daß es solche „Schlammschlacht“-Dokumente für den „Pfui“-Wahlkampf gibt.
Dem Verleger Alfred Neven DuMont liegt daran, daß die Skandale der jüngsten Zeit nur „Produkt von Fehlleistungen Einzelner“ sind, wie er in seinem langen Leitartikel am Tag vor der Kommunalwahl schrieb. Wenn der DuMont-Konzern da weiteren Klüngel ans Tageslicht brächte, könnten die Leser „unangemessen und unfair“ (DuMont) andere Schlüsse ziehen.
Von den Regionalsendungen des WDR-Fernsehens ist ebenfalls wenig zu erwarten. Die Verhältnisse im Fall Bietmann seien komplizierter, nicht so leicht darzustellen und auch noch nicht so wasserdicht belegbar wie die Taten des Insideraktionäres Heugel, erklärt Frank Plasberg, Chef der „Aktuellen Stunde“, die vorläufige Funkstille seiner Sendung nach dem ersten Bericht. Er legt gleichzeitig Wert auf die Feststellung, daß „keine Rechercheaufträge an Freie vergeben“ wurden, um diese komplizierten Verhältnisse zu klären. Das klingt wie ein Dementi auf den Protestbrief des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion Richard Blömer, den der im WDR-Verwaltungsrat verteilte. Darin heißt es „auch sollen sich gesondert angekaufte freie Mitarbeiterstäbe seit Tagen ausschließlich mit Persönlichkeiten der Kölner CDU beschäftigen, um negative Berichterstattungen zu ermöglichen.“ Eigentlich eine gute Idee, jedenfalls wenn die Mitarbeiterstäbe sich allen Parteien widmen.