Keine Angst vor Blähungen

Goldgräberstimmung in der Wirtschaftspresse: Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres kommen sieben neue Titel auf den Markt.

„Telebörse. Noch nie war es so leicht, reich zu werden.“ Das sagt Roland Tichy vor laufender Kamera. Der Mann ist Chefredakteur der besagten „Telebörse“, einem Anlegermagazin, das die Verlagsgruppe Handelsblatt („Wirtschaftswoche“, „DM“, „Handelsblatt“) im Januar auf den Markt gebracht hat. Mit der „Telebörse“ verwirklicht der Wirtschaftsverlag ein multimediales Konzept. Das Printmagazin erfreut sich der TV-Unterstützung durch das gleichnamige Magazin auf dem Wirtschaftssender n-tv, das die zur Verlagsgruppe Handelsblatt zählende GWP Media-Marketing vermarktet. Neben redaktionellen Kooperationen hat das den verkäuferischen Nebeneffekt, im Fernsehen für die Zeitschrift kräftig (und nahezu kostenfrei) werben zu können.

Doch für einen Chefredakteur kann der Ausflug ins Werbefernsehen auch mal daneben gehen. Tichy jedenfalls hätte sich besser in Zurückhaltung geübt, wie das Medienfachblatt „Horizont“ in seiner wöchentlichen Kampagnenbewertung meint. Der „Telebörse“-Chefredakteur „zwingt sich mit dem Schwung eines Entführungsopfers, das unter Waffengewalt zum Verlesen der Forderungen gezwungen wird, zweifelhafte Durchhalteparolen ab“, ist zu lesen.

Als Frontman muss man einstecken können. Zumal Tichy auch gerne austeilt. So kommentierte er die Umstellung des bisherigen Monatstitels „Capital“ auf 14-täglich als Fehlentscheidung. „,Capital‘ ist der Langsamste im Markt. Und jetzt verlässt das Magazin seine sichere Burg und zieht in den dunklen Wald, wo viele freche Räuber warten.“ Die Replik von „Capital“-Chefredakteur Ralf-Dieter Brunowsky ließ nicht lange auf sich warten. Er bezeichnete seinen Amtskollegen als „großmäulig“ und sprach der zusammengekauften „Telebörse“-Redaktion die Qualität ab. „Das ist doch nur eine drittklassige Mannschaft.“

Zwischen den beiden großen deutschen Wirtschaftsverlagen, der Verlagsgruppe Handelsblatt und der Gruner + Jahr-Wirtschaftspresse, knistert es. Zwar sprach der smarte G+J-Verlagsgeschäftsführer Philipp Busch der „Telebörse“ in einem Interview öffentlich seine Gratulation aus, doch in der gleichen Ausgabe des Fachmagazins „Werben & Verkaufen“ holte „Handelsblatt“-Vermarkter Andreas Formen zum großen Rundumschlag aus. Die Auflage von „Börse Online“ (G+J) sei vorrangig durch den Börsenboom nach oben getrieben worden, die „Financial Times Deutschland“ (G+J) sei durch „verwirrende, teilweise unverständliche Ankündigungs-PR“ aufgefallen und „Focus Money“ (Burda) macht ihm offenbar wenig Bange. „Ob die bisher nicht wahrgenommene Wirtschaftskompetenz des ,Focus‘-Mutterblatts genügend Antrieb für diesen Spross im Segment der Wirtschaftspresse liefern kann, bleibt abzuwarten“, so Formen.

Die verbalen Keilereien zwischen den Wirtschaftsverlagen sind Mittel der psychologischen Kriegsführung. In einem enger werdenden Markt setzen die Verantwortlichen auf laute PR-Posaunen und Marketing-Klaviaturen. Das bringt Leben in die Media-Szene, wo häufig Tausendkontaktpreise die Erbsenzählerdebatten bestimmen und die Verlagsmanager nur selten einen forschen Zweizeiler von sich geben, der nicht vorher dreimal vorwärts und rückwärts im eigenen Hause die offiziellen Abstimmungshürden genommen hat.

Es ist mächtig viel passiert im Markt der Wirtschaftspresse. Das lange Jahre wachstumslahme Printsegment verstopft jetzt mit mehr als einem Dutzend neuer Titel die Kioske. Seit 1997 haben die Verlage rund 1,25 Millionen Exemplare zusätzlich in den Markt gepumpt. Die sieben Klassiker „Wirtschaftswoche“, „Capital“ (gerade von monatlichem auf 14-tägliches Erscheinen umgestellt), „Manager Magazin“, „DM“, „Impulse“, „Börse Online“ und „Guter Rat“ verkauften im 3. Quartal 1999 zusammen rund 1,34 Millionen Hefte pro Erscheinen. So ergibt sich ein Marktvolumen der großen und neuen Wirtschaftstitel von fast 2,6 Millionen Exemplaren. Zum Vergleich: Im 3. Quartal 1997 kamen die bedeutenden Business-Blätter auf eine Gesamtauflage von weniger als 1,2 Millionen. Das Angebot ist innerhalb von nur zwei Jahren also um mehr als das Doppelte gestiegen.

Das Börsenfieber der Deutschen, die wachsende Selbstständigkeit in der privaten Vorsorge, das steigende Interesse an optimierter Geldanlage und die Omnipräsenz von ökonomischen Fragestellungen im täglichen Leben sind Gründe für den Medienboom.

Besonders der Erfolg des Anlegermagazins „Börse Online“, das seine Auflage innerhalb von drei Jahren auf 221885 Exemplare steigerte und damit mehr als verdreifachte, hat den Appetit anderer Verlage geweckt. Nach der „Telebörse“ aus der Verlagsgruppe Handelsblatt kommt Burda am 30. März mit „Focus Money“, Springer arbeitet an einem Finanzmagazin. „In diesem jungen Markt ist Platz für mehrere“, sagt „Telebörse“-Chefredakteur Tichy, der Deutschland auf dem Weg „von der Middle- zur Money-Class“ sieht. Allein sieben neue Titel starten in diesem Quartal, dazu präsentieren sich „Capital“, „Econy“ und „Chef“ inhaltlich überarbeitet und in höherer Frequenz.

Die Werbewirtschaft steckt bislang gern und eifrig Geld in die Business-Blätter. Das Anzeigenvolumen der Wirtschaftspresse ist zwischen 1995 und 1999 von 11500 auf 16800 Seiten (plus 46 Prozent) gestiegen. Der Werbeumsatz verzeichnete nach Nielsen S+P im gleichen Zeitraum ein Wachstum von 316 Millionen auf fast eine halbe Milliarde Mark.

Sogar die Verlagsgruppe Milchstraße („Max“, „Amica“, „Fit for Fun“) wagt sich auf die Bühne der Ökonomen. „Net Business“ soll laut Chefredakteur Klaus Mazia „das Trüffelschwein der neuen Wirtschaft“ sein. Internet-Unternehmen und die Entwicklungen im E-Business stehen im Fokus der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitung, die bei einer erfolgreichen Einführung schnell auf wöchentliches Erscheinen umgestellt werden soll. Auch „Net Investor“, das seit 1997 auf dem Markt ist, versteht sich als Blatt für die Internet-Wirtschaft und drängt an den Kiosk.

Wachstumsmärkte wie Telekommunikation, Energie, Finanzdienstleistungen und E-Commerce bereiten derzeit ein günstiges Werbeklima. „Davon werden die neuen Titel profitieren“, glaubt Mediaexperte Lothar Nadler vom Mediendienst für Markenwaren in Stuttgart. Die Buchungen für „Telebörse“, „Net Business“ & Co. haben die Erwartungen übertroffen. Zwar erwartet G+J-Mann Busch für das laufende Jahr ein weiteres Anzeigenplus von rund 10 Prozent, doch das sei zu wenig für alle. „Der Anzeigen- und Käufermarkt wird kurzfristig nicht so schnell wachsen wie das Medienangebot“, lautet seine Prognose.

Wann, so lautet die spannende Frage, wird es im voll gestopften Bauch der Wirtschaftspresse zu ersten Blähungen kommen? Angst vor Schmerzen müssen immer nur die anderen haben. Und schon rasseln wieder die Säbel. „,Börse Online‘ wird Federn lassen und ,Capital‘ große Probleme bekommen“, behauptet „Telebörse“-Chefredakteur Tichy. „Capital“-Chefredakteur Brunowsky wagt die These, dass spätestens 2001 einer der beiden neuen Finanztitel „Telebörse“ und „Focus Money“ vom Markt verschwunden sein werde. Da sieht sich wiederum „Focus“-Erfinder Helmut Markwort gut gewappnet: Die verlagsintern notwendige Abgrenzung zwischen „Wirtschaftswoche“ und „Telebörse“ sei für den Wettbewerber aus dem Holtzbrinck-Konzern ein Handicap.

Mit dem „Euro Wirtschaftsmagazin“ (eo-ipso-Verlag, Weiterstadt) und „Plus“ (Motorpresse Stuttgart) haben sich zwei Titel zum Ende vergangenen Jahres aus dem Markt verabschiedet. Für kundige Beobachter keine Überraschung. Wolfgang Kaden, Chefredakteur des „Manager Magazins“, schüttelt den Kopf über die neue Titelflut. „Abenteuerlich, was sich da tut. Das ist Herdentrieb pur, ohne jede unternehmerische Kreativität.“ Wie Kaden erwartet auch G+J-Manager Busch mittelfristig eine Marktbereinigung. „Einige Blätter sind schon heute nicht wirtschaftlich, das kann man nachrechnen. Das heißt jedoch nicht zwangsläufig, dass sie gleich eingestellt werden.“

Die Herausforderer sind viel optimistischer. Der anhaltende Börsenboom könnte dazu führen, „dass wir in fünf Jahren vier bis fünf etablierte Anlegermagazine haben“, so Handelsblatt-Geschäftsführer Harald Müsse. Das Marketing-Getrommel hat auflagenstarke Newcomer wie „Euro am Sonntag“, „Bizz“ und „Geldidee“ in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in den Hintergrund gedrängt. Diese Titel stehen nun auch unter dem Druck, mehr Marketing-Geld auszugeben, um nicht aus dem Visier der Mediaentscheider zu geraten. Eher still entwickelt sich „Brand eins“ (ehemals „Econy“), das als Wirtschaftsmagazin einen ganz anderen Ansatz pflegt: „Wir wollen Wirtschaft verständlich präsentieren und über Geschichten erzählen“, sagt Chefredakteurin Gabriele Fischer. Mit Werbe-Millionen kann die Magazingründerin nicht um sich werfen, um Anzeigenkunden und Zeitschriftenkäufer zu gewinnen. Dennoch ist sie überzeugt davon, dass sich „Brand eins“ durchsetzen wird. „Wir unterscheiden uns deutlich von anderen Wirtschaftsblättern. Der stetig steigende Zuspruch macht mich zuversichtlich, dass wir auf Dauer bestehen werden.“

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