kommentiert & aufgespießt Ab in die Hölle

Es ist ein Zeichen von Weisheit, sich nicht über Dinge zu ärgern, die man ohnehin nicht ändern kann. Empörungen über Dieter Bohlen und seine Fehltritte bei „Deutschland sucht den Superstar“ zum Beispiel sind völlige Zeitverschwendung.

Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob RTL und die Produktionsfirma Grundy Light Entertainment nicht zu weit gegangen sind, als sie einen „DSDS“-Teilnehmer mit einem feuchten Fleck im Schritt vor die Kamera ließen. In der Nachbearbeitung wurde die Sache dann auch noch auf die Spitze getrieben; das Showbusiness ist schließlich kein Ponyhof.
Prompt kritisierte die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) erst den Sender und dann die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen, weil sie die Sendung freigegeben hatte. Die FSF ist allerdings die falsche Adresse: Sie soll junge Zuschauer vor Sendungen schützen, die sich möglicherweise beeinträchtigend auswirken könnten. Der Schutz der Teilnehmer vor sich selbst gehört nicht zu ihren Aufgaben.
Vielleicht haben Mitarbeiter der Produktionsfirma den Fleck ja sogar bemerkt, aber tunlichst vermieden, den 18-jährigen Azubi darauf hinzuweisen: weil er ein gefundenes Fressen war. Bohlen hat die Gelegenheit prompt weidlich ausgenutzt, selbst wenn der passende Spruch aus dem Abreißkalender für den Mobbing-Nachwuchs („Lieber Cholera am Pillermann als dein Gesang“) wohl aus anderem Zusammenhang stammte. Später wurde dann noch ein strullerndes Engelchen eingebaut und der betretene Abgang des Jungen mit einem passenden Schunkellied unterlegt.
RTL, wen wundert’s, ist sich keiner Schuld bewusst. Bei YouTube wurde der entsprechende Ausschnitt aus „Deutschland sucht den Superstar“ zwar gelöscht, bei RTL-Tochter Clipfish kann er womöglich immer noch aufgerufen werden. Da das Internet nichts vergisst, wird der junge Mann diesen Fleck nie wieder los.
Wenn man das Ganze positiv betrachten will, könnte man sagen: Der männliche Teil der Zielgruppe hat gelernt, dass es nicht schaden kann, nach dem Toilettenbesuch einen prüfenden Blick auf die Hose zu werfen; erst recht vor einem wichtigen Termin. Und weil Bohlen den Auftritt „Scheiße“ fand und er für jedes „Scheiße“ einen Euro in ein Sparschwein werfen muss, hat das Ganze wenigstens für die Erdbebenopfer in Haiti sein Gutes. Über 5.000 Euro hat Bohlen schon abgedrückt, RTL hat die Summe auf 10.000 Euro aufgestockt. Früher nannte man so was Ablass: Großzügige Zahlungen sollten verhindern, dass man für seine Sünden in der Hölle schmorte. Wenn es einen Gott gibt, lässt er die Beteiligten hoffentlich nicht so leicht davonkommen.

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