Klaus Kinskis Erben üben die Nachlassverwaltung
Er war der schönste Krawallbruder der Filmgeschichte. Und noch heute gibt es um ihn Zank: Wer Klaus Kinski wie präsentieren darf, ist nämlich keineswegs nur eine Interpretationsfrage.
Kinski auf der Leinwand war delikat. Man wollte ihn nicht nur brav sehen. Sondern berserkern. So auch rund zwanzig Jahre nach seinem Tod. Man will ihn stöhnen hören. Fluchen. Krächzen. Brüllen. Weinen. Sich wehren gegen diese Welt. Wie er fleht und wie er flennt. Wie er rast! Denn der alte Kinski verkörperte die Urform der kämpferischen Kreatur, er war von Kopf bis Fuß auf „wild“ eingestellt. Und: auf „sexy“. Was ihm so schnell keiner nachmacht.
Doch ausgerechnet diesem Rabauken wurden gar strebsame Erben zu Teil. Nicht etwa hartgesottene Medienprofis. Sondern, viel schlimmer: Liebevolle Dilettanten. Allen voran die geschiedene dritte Gattin des Künstlers, Minhoi Geneviève Loanic. Sie beauftragte 2006 die Kanzlei Hertin in Berlin, einen Halbsatz in einem rund 450 Seiten dicken Buch verbieten zu lassen. Betroffen war der hervorragend geschriebene Band, der zum 80. Geburtstag des 1991 am Herzinfarkt verstorbenen Künstlers im Aufbau Verlag erschien: „Kinski. Die Biographie“ des jungen Wiener Filmwissenschaftlers Christian David.
Darin wird Minhoi, einstige Gefährtin des Erotomanen Kinski, zwar als seine „Zwillingsseele“ bezeichnet. Aber es wird auch mitgeteilt, dass die Erfahrung von Drogenkonsum sowie die Missachtung des eigenen Körpers die beiden Menschen verband. Konkret störte die gebürtige Vietnamesin Minhoi die Beobachtung einer „gewissen Neigung, sich zu verkaufen“.
Kein Erfolg mit Schwärzung
Nun weiß jeder Journalist, dass Prominente wie auch andere unter dem Syndrom, die eigene Haut zu Markte zu tragen, leiden. Das zu benennen, ist keine Schande. Für eine Einstweilige Verfügung reichte Hertins Schriftsatz dennoch, das Buch musste zunächst vom Markt. David: „Angesichts der beanstandeten Textstelle war ich überzeugt, dass es vor allem um ein Signal ging.“ Motto: Hier testet eine Hinterbliebene aus, wie weit sie gehen kann.
David: „Es entsteht ein gefährliches Klima, die Schere im Kopf beginnt zu arbeiten, es kommt zur Selbstzensur.“ In diesem Fall verlief es glimpflich: Das Buch kam nach der Hauptverhandlung wieder in den Handel, ohne Schwärzung – ein Sieg der Freiheit, die das Grundgesetz verspricht. Nur: Die Sache hat auch wirtschaftliche Aspekte. Ein Günstling von Minhoi brachte nämlich zeitgleich mit David ein konkurrierendes Produkt heraus.
Peter Geyer, vom Loriot Merchandising kommend, ist der offizielle Nachlass-Verwalter von Kinski. Minhoi und ihr Sohn Nanhoi Nikolai haben ihn dazu gemacht. Als Kulturmanager, Autor und Regisseur ist Geyer ein bunter Hund der Szene. Und ebenfalls im Jubiläumsjahr publizierte er seine im Vergleich zu Davids Werk ziemlich magere Biografie „Klaus Kinski. Leben, Werk, Wirken“ (Suhrkamp). Zufällig erscheint da der Versuch, Davids Buch zu verbieten, wirklich nicht.
Zudem ist das furiose Fleißwerk aus Wien eine Konkurrenz für Geyers „Kinski Productions“ in Hamburg. Deren Waren stoßen fast regelmäßig wegen Einfallslosigkeit auf. Kinski pur soll es sein – Kinski en masse ist es de facto. Ein Kinski ist kein Loriot – und eine dramaturgische Aufbereitung wäre wichtig. So erschien 2003 eine Mega-Box mit gleich 20 CDs. Kinski spricht da Literatur, rezitiert Brecht, Goethe und Schiller – aber wer braucht so viel Kinski auf einmal?
Recht hat Peter Geyer lediglich, wenn er Urheberrechtsverstöße ahndet. So maßte sich eine Kölner Schauspielergruppe 2009 an, Auszüge, auch noch unerlaubt bearbeitete, aus Kinskis Büchern zu einem Theaterabend zusammenzuschustern. Ohne die Lizenzen dafür erworben zu haben. Doch erst in zweiter Instanz wurde das von der Kölner Gerichtsbarkeit untersagt – ein Hinweis darauf, dass sich Geyer und seine Auftraggeber nicht gerade beliebt gemacht hatten. Allerdings ist ein Künstler kein Freiwild, nur weil seine Erben unfähig sind, ihn angemessen zu vermarkten.
Die Gefahr einer Überdosierung von Kinski’schem Flair birgt die aktuelle Veröffentlichung von „Kinski Productions“ übrigens nicht: Nur zwei Talkshow-Auftritte präsentiert die neue DVD „Klaus Kinski – Kinski Talks 1“. Interpretieren muss man sie selbst. Geyer: „Wir veröffentlichen Kinski, wir deuten ihn nicht.“ Klingt wie eine Garantie für Langeweile. Hoffen wir, dass die nicht zur Maulkorb-Vorgabe wird.