Bundesbehörden verschanzen sich hinter umstrittenem Urteil
Eineinhalb Jahre nach dem einschneidenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) zur Auskunftspflicht von Bundesbehörden gegenüber der Presse fehlt nach wie vor eine bundesweite Rechtsnorm. Angesichts der Rechtslücke drohen Medienvertreter zunehmend in die Defensive zu geraten.
Grund für die zunehmenden Probleme ist das viel diskutierte Urteil des BVerwG (6 A 2.12) vom 20. Februar vergangenen Jahres. Die in Leipzig ansässigen Richter wiesen damals eine Klage des Bild-Reporters Hans-Wilhelm Saure gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) ab. Saure wollte vor dem BVerwG die Herausgabe von Informationen über die NSDAP-Vergangenheit von BND-Funktionären erreichen. Der 6. Senat des BVerwG lehnte dies mit einer folgenschweren Begründung ab: Das Landespresserecht, auf das sich Saure berufen hatte, gelte nicht bei einer Bundesbehörde. Ein entsprechendes Bundesgesetz aber gibt es nicht. Die Richter verwiesen auf Artikel 5 des Grundgesetzes, der – sofern der Gesetzgeber weiterhin untätig bleibe – immer noch einen Minimalstandard wahre.
Manfred Redelfs, der im Vorstand des Journalistenvereins Netzwerk Recherche für das Thema Auskunftsrecht verantwortlich ist, genügt das beileibe nicht. „Das Problem ist, dass ohnehin auskunftsunwillige Behörden seit dem Leipziger Urteil ein formales Argument haben, um Anfragen abzuweisen”, sagte er gegenüber M. Dieser „unerträgliche Zustand” müsse schnellstmöglich verändert werden. Zwar hatte die SPD nur sechs Tage nach dem Urteil des BVerwG einen Entwurf für ein Presseauskunftsgesetz vorgelegt. Die Gesetzesinitiative wurde nach vier Monaten nach zweiter Beratung im Bundestag jedoch abgelehnt. Im Regierungsvertrag der Großen Koalition fand sich das Thema nicht mehr wieder.
Die Folgen dieser „Regelungslücke”, die Redelfs beklagt, bekommen investigativ arbeitende Journalisten nun zunehmend zu spüren. Der Bonner Kollege Helmut Lorscheid recherchierte zum Fall des deutschen Unternehmers Jürgen Ziebell, der offenbar unter konstruierten Vorwürfen seit Mai 2012 im Königreich Bahrain festgehalten wird. Auf mehrere konkrete Fragen zum Fall antwortete das Auswärtige Amt mit Allgemeinplätzen. Man setze sich „umfassend und auf allen Ebenen” für Ziebell ein. Mehr war nicht zu erfahren. Auf Nachfrage hieß es, man gebe „keine weiteren Stellungnahmen ab”. Lorscheid ist sich sicher: „Das wäre vor dem Leipziger Urteil undenkbar gewesen.” Das dürfte auch für eine Antwort der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an den ebenfalls in Bonn ansässigen Journalisten Marvin Oppong gelten. Auf Nachfrage im Zuge einer laufenden, vertraulichen Recherche verwies die KfW „hinsichtlich Ihres Hinweises auf etwaige presserechtliche Auskunftspflichten” explizit auf das BVerwG-Urteil.
Eine solche Entwicklung war für die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di (dju) absehbar. Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß hatte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts noch am gleichen Tag scharf kritisiert. „Verwaltungsrechtliche Hürden dürfen nicht dazu führen, dass es keine Transparenz über die Arbeit von Bundesbehörden gibt”, so Haß. Wenn die landesspezifischen Regelungen nicht greifen, dann müssten bundesweite gesetzliche Standards geschaffen werden, fügte Haß an.
Auf eine Lösung drängt auch der Dortmunder Journalistik-Professor Tobias Gostomzyk. Der Verweis auf das Grundgesetz alleine reiche nicht aus. „So ist unklar, wie weit dieses Mindestmaß an Auskunftsanspruch reichen soll”, sagte Gostomzyk gegenüber M. In den Landespressegesetzen sei dies „wesentlich anwendungsfreundlicher konkretisiert.
Nicht nur unter Journalisten, sondern auch vor Gerichten dauert der Streit an. Denn während im September 2013 das Berliner Oberverwaltungsgericht eine Klage abwies, mit der die Bundestagsverwaltung nach dem Berliner Landespressegesetz zur Auskunft über die Verwendung von Bundesgeldern gezwungen werden sollte, kam das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem ähnlich gelagerten Fall nur drei Monate später zu einem gegensätzlichen Urteil. Die Münsteraner Richter wiesen die in Bonn ansässige Bundesanstalt für Immobilienaufgaben an, nach dem Landespressegesetz NRW Auskunft über die Vermietung des Flughafen Tempelhof in Berlin zu geben.
Die dju fordert angesichts der Rechtslücke ein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene. Verweise auf das Informationsfreiheitsgesetz und die Landespressegesetze hält dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß für unzureichend. dju-Vorsitzender Ulrich Janssen bekräftigte: „Wir brauchen endlich klare Verhältnisse für Journalistinnen und Journalisten, die auf Bundesebene recherchieren”.
Erfahrungen mit Bundesauskünften?
Die dju trägt Beispiele zusammen, bei denen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen von Recherchen bei Bundesbehörden Auskünfte verweigert wurden.
Wer hat entsprechendes erlebt? Wurde dabei vielleicht – wie bei dem im Beitrag erwähnten Fall – explizit auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen? Zuschriften bitte an: dju@verdi.de.