Digitalisierung: Kommunale Kinos sorgen sich um Filmerbe
Bundeskongress der kommunalen Kinos: Kinobetreiber, Verleiher, Filmvorführer sowie ehrenamtliche Bewahrer der Filmkunst haben im Juni zwei Tage lang im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt am Main miteinander konferiert. Dabei wurde klar: Bei aller Lust und allem Engagement zum Erhalt der Kinokultur – sie stehen mit dem Rücken zur Wand.
Viele wirkten desillusioniert; irgendwie erschöpft; als hätte man sie gerade aus einer Art Überlebenstraining herausgerissen. Da ist auch etwas dran. Die Lage ist alles andere als berauschend. Bis spätestens Ende 2014 soll auf digitales Kino umgerüstet sein, der 35 mm Film bald endgültig der Vergangenheit angehören. Und all das kostet viel Geld – welches ja bekanntlich meist fehlt.
Zunächst zum kulturellen Reichtum: Die kommunalen Kinos und einige Art-House-Kinos verfügen über Schätze, die Cineasten und Filmliebhaberinnen zum Jubeln bringen: Nur was werden sie noch damit anfangen können, wenn sie die finanziellen Mittel zu deren technischer Umrüstung nicht aufbringen können? Oder werden sie etwa aufgrund fehlender Finanzen von der neuen Technik abgekoppelt – und dann nur noch alte Filme zeigen können, jedoch keine aktuellen?
Nach solch bangen Fragen zu wirtschaftlichen Aspekten folgten Beispiele aus einem breiten historischen Repertoire, um unter Beweis zu stellen, was es an erhaltenswürdiger Kinokultur gibt. Etwa die köstlichen Stummfilme, in denen sich das Female Comedy Team Anita Garvin und Marion Byron (1929 USA) jenseits aller Mutter- und Weiblichkeitsklischees geriert: Eine der beiden als ständige Besserwisserin, die andere als Doofe. Mal reißen sie eine ganze Horde Männer mit sich vor einem Eissalon zu Boden, obgleich es doch nur darum geht, sich eine Kugel Eis zu sichern. Zugelaufene Kinder versucht dieses coole, aber wenig fürsorgliche Frauenduo zunächst an ein Waisenhaus loszuwerden. Freilich entscheiden sich die Damen kurzfristig um, als sich die Nachricht verbreitet, dass es für das Auffinden der Steppkes Finderlohn gibt. Sie brechen nachts ins Kinderhaus ein, sorgen dort zwecks Wiederbeschaffung der Kinder für jede Menge Chaos und Aufregung beim Personal; all das in Männerklamotten, um sich mehr Respekt zu verschaffen. Wird die humorige Emanzenklamotte der 1930er im Filmgedächtnis bewahrt werden können?
Oder kann der erste Western, Edwin Porters „The great train robbery“, dann noch sein Publikum erreichen? Werden wir Ingrid Bergman und Humphrey Bogart in Michael Curtiz´ „Casablanca“ weiterhin anschmachten können? Wird es möglich sein, einen kleinen Independant-Film wie den des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki „I hired a Contract Killer“ (1990) auf der Leinwand zu genießen; und mitzubangen, ob es dem lebensmüden Franzosen, der einen Vertrag mit einem Killer abgeschlossen hat, gelingt, letzteren wieder loszuwerden. Schließlich macht das Leben plötzlich wieder Freude, da er sich plötzlich unsterblich in die Blumenverkäuferin Margaret verknallt hat. Was sind all diese wunderbaren Klassiker und filmhistorischen Perlen, im Fachjargon Repertoire-Kino genannt, die die kommunalen Kinos (KoKis) den Zuschauern präsentieren, künftig noch wert, fragen sich jetzt Kinomacher besorgt.
Mehr Förderung benötigt
Die Folgen der Digitalisierung sind also zunächst alles andere als zum Jubeln. „Von rund 120 KoKis werden am Ende 50 digitalisiert sein“, so die medienpolitische Sprecherin des Bundesverbandes Kommunale Filmarbeit, Cornelia Klauß. Die restlichen 70 müssten entweder darauf warten, dass die Technik zur Umrüstung der Filme deutlich billiger werde. Oder sie stellen auf BluRay um, was aber hauptsächlich nur bei kleinen Sälen vertretbar sei. Einige aktuelle Filme könnten sie dann eben möglicherweise gar nicht zeigen, weil manche Verleiher die neue Technik verlangten: unbefriedigend für diese Kinos, sie würden weitgehend vom Markt abgehängt. Überleben könnten sie möglicherweise, aber schlecht, schlussfolgert Klauß. Ohne großangelegte, finanzielle Förderung werde das deutsche Filmerbe, das zur Kultur hierzulande zwingend gehöre, im Zug der technischen Umstellung marginalisiert, befürchtet Claudia Dillmann, Direktorin des Frankfurter Filmmuseums. Nur noch eine begrenzte Auswahl von Filmen könne gezeigt werden: Und zwar sowohl in den Kinos, die es sich leisten konnten, umzurüsten, dann aber nur noch aktuelle Filme digital projizieren können, als auch in denen, die nur noch analog vorführen können, da das Ende des herkömmlichen technischen Equipments absehbar sei.
Viele Probleme kommen auf die KoKis zu. Dabei müssten sie gerade jetzt eine Werbeoffensive starten, um sich vor dem eigenen Untergang aus ganz anderen dringlichen Gründen zu retten: Vielfach haftet ihnen bei Internet affinen Jugendlichen, die mit Kommerzfilmen und Blockbustern in HD 3 zugeballert werden, ein Negativimage an – wenn auch meist zu Unrecht: Sie werden als langweiliger Ort wahrgenommen, der vermeintlich nur verstaubte Filme zeigen würde. So sieht es Reiner Hoff, der aus diesem Grund beim Landesverband Baden-Württemberg der Kommunalen Kinos die Kinder- und Jugendfilminitiative „Was guckst du“ gegründet hat. „Wo sollen denn Kinder und Jugendliche, die heute aufwachsen, eigentlich ihre filmische Sozialisation erhalten – wenn nicht in den Kommunalen Kinos“, fragt Hoff: „Wo bekommen sie überhaupt noch Gelegenheit, zu sehen, was als filmkulturelles Erbe Europas gilt?“ Ihn treibt die Sorge um das Bewahren, damit frühe Filme von Jean-Luc Godard, Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta nicht gänzlich aus dem Filmgedächtnis verschwinden.
Ein neidischer Blick nach Frankreich ist angebracht. Dort sei Filmkultur in der gesellschaftlichen Wertschätzung anderen Kulturformen gleichgestellt, erläutert Dillmann vom Frankfurter Filmmuseum. In diesem Jahr wurden dort für die Digitalisierung von 183 Filmen insgesamt fast achteinhalb Millionen Euro bewilligt, im Schnitt 46.000 Euro pro Titel. Unter den geförderten Tonfilmen sind bekannte französische Namen von Regisseuren zu finden: Unter anderem Jacques Tati, Jean Renoir, Claude Chabrol, Eric Rohmer, Costa-Gavras, Robert Florey oder auch Abel Gance (Paradis perdu). Der Schwerpunkt der Auswahl liegt zwischen Mitte der 50er Jahre bis Anfang 1990er. Doch auch bei den stummen Titeln sind Filme berücksichtigt, beispielsweise von Georges Méliès.
Von einer solchen Förderung können Deutschlands Kino-Liebhaber nur träumen: Nur je etwa eine Million Euro wurden durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) sowie die Filmförderungsanstalt in den vergangenen eineinhalb Jahren für die retrospektive Digitalisierung von Filmen zur Verfügung gestellt. Ob die Förderung fortgesetzt wird? „Unklar“, meint Dillmann. Die Obergrenze der Förderung liege nur bei rund 15.000 Euro pro Titel. Wenige Kinos seien in der glücklichen Situation, alle Filmformate spielen zu können, analog bis 70mm, digital bis 3D in 2k.
Europaweit im letzten Drittel
Ernüchternd ist, was Bastian Sillner, Projektkoordinator Europa Cinemas, über den europäischen Trend der Kinokultur berichtet: Deutschland liege mit den Fortschritten der Digitalisierung erstaunlicherweise im Europa-Vergleich im letzten Drittel: knapp hinter Ländern wie Irland, Portugal. Sogar das soeben neu in die EU aufgenommene Kroatien sei in der Hinsicht schon etwas weiter. In krisengeschüttelten südeuropäischen Ländern wie in Spanien und Griechenland stellt sich die Situation dann völlig desolat dar: Viele Kinos hätten dort bereits dicht gemacht. Die Filmkultur liege in diesen Ländern nahezu völlig brach. Weil es kaum staatliche Förderungen gebe, sei zu befürchten, dass im Zuge der europaweiten Digitalisierung nicht nur der 35 mm Film dahinschwinde, sondern tendenziell die Kinokultur als Ganzes. In Pausengesprächen sind wütende Stimmen aus dem Fachpublikum zu hören: „Eine Schande, dass die deutsche CDU/FDP-Bundesregierung dazu beiträgt, korrupte Banken in diesen Ländern zu retten, aber zulässt, dass die Bevölkerung dort ihrer Kultur beraubt würde“, ärgert sich jemand. In Deutschland seien besonders kleine Arthouse-Kinos von der Schließung bedroht, klagen andere. Die optimistische Einschätzung der Sprecherin des Bundesverbandes Kommunale Filmarbeit, Cornelia Klauß, Kommunale Kinos in Deutschland könnten überleben, wenn auch schlecht, teilen viele nicht: Wie viele Jobs all das kostet, sei noch nicht abzusehen, so ein Filmvorführer. Signifikante Zahlen in dieser Hinsicht, was der Prozess dieses Strukturwandels nach sich zieht, scheint es nicht zu geben.
Debattiert wird die Gefahr, die ein solcher Wandel für das breite Publikum mit sich bringt: Angesichts des Gedrängels auf dem Markt von permanenten Neuerscheinungen seien zunehmend weniger Filmklassiker in die Kinos zu bringen. Berechtigte Fragen werden laut: Was bleibt eigentlich im kulturellen Gedächtnis der Menschen hängen? Wird das Publikum nicht immer mehr entwöhnt, sich anspruchsvoller Filmkultur zu widmen? Werden Filme wie „Casablanca“ unter einem Ramschwarenladen von filmischem Kommerzschrott begraben?
Mit Ehrgeiz arbeitet der Förderverein Kinokultur Bingen gegen einen solchen Trend an. Der Verein ist angetreten, um die Stadt überhaupt als Kinostandort zu erhalten. Nachdem das letzte kommerzielle Kino hier geschlossen hat, versucht der Verein ehrenamtlich das Kino als kulturellen und sozialen Ort neu zu etablieren. Gute Ideen gibt es. Das Publikum kann aus einem Angebot gewünschte Filme selber heraussuchen: Entweder online unter www.kikubi.de/ oder im Kino selber schriftlich können Kinoliebhaber mitbestimmen, welche Filme demnächst laufen. Vorraussetzung: Mindestens ein Drittel des Kinosaals muss gefüllt sein. Aus dem Kinobesuch werde auf diese Weise eine Art Happening in sehr persönlicher Atmosphäre: Mitmachkino! Mal werde zum Film eine Weinprobe aus der Region geboten, mal verteilen die Initiatoren Kekse nach dem Rezept der heiligen Hildegard von Bingen. Kaum zu glauben, dass in die Freizeitplanung ein umständlicher basisdemokratischer Abstimmprozess einzieht: „Das Projekt funktioniert“, sagt Susanne Heinze vom „Kikubi“. Beim „Film-Voting“ des Publikums stehen „Nachtzug aus Lissabon“ und „Hannah Arendt“ ganz oben. Ihm zu unterstellen, nur Populärfilme anschauen zu wollen, wäre falsch. „Im Vordergrund steht, dass es Spaß macht“, so Heinze. Ein im gewerkschaftlichen Sinn zukunftsweisendes Projekt ist dies hingegen nicht. Um die Kinokultur in Bingen vor dem Untergang zu retten, arbeiten alle ehrenamtlich. Filmvorführen, Pressearbeit, Werben um Kundschaft: alles in der Freizeit! Eine Kassiererin muss heftig gesucht werden!
Übersicht: Mitglieder im Bundesverband kommunale Filmarbeit
- 85 kommunale, studentische und freie nichtgewerbliche Kinos mit insgesamt 95 Sälen und über 12000 Sitzplätzen zwischen Aachen & Cottbus und Eckernförde & Lörrach
- 17 kommunale Kinos, die ihr Programm als Gast in anderen Kinos oder Kultureinrichtungen zeigen
- 3 mobile Kinos
- 9 Filmfestivals
- 11 in der kommunalen bzw. regionalen Filmarbeit tätige Institutionen
- 6 kommunale Kinos und Filminstitutionen im europäischen Ausland
- und weitere persönliche Förder- und Ehrenmitglieder