Spaltungen zwischen dem globalen Norden und Süden und innerhalb der Gesellschaften nehmen zu, politische und religiöse Positionen werden autoritärer und Machthabende versuchen, den öffentlichen Diskurs zu dominieren. Wie Medien auf der ganzen Welt zur Überwindung dieser Spaltungen beitragen können, war Thema des „Global Media Forums“ (GMF) der Deutschen Welle in Bonn. Als wichtigstes Ergebnis der internationalen Konferenz nannten die über 2.000 Teilnehmenden „Networking“, um die Herausforderungen gemeinsam anzugehen.
Über die Spaltungen müsse eine freie Presse berichten – und zwar lösungsorientiert, meinte Melissa Fleming, bei den UN zuständig für globale Kommunikation. Doch die Pressefreiheit gilt mittlerweile in 70 Prozent der Länder weltweit als „problematisch“. Beispiel Uganda: Es sei „unmöglich, über Fakten zu Homosexualität zu berichten“, so der ugandische Enthüllungsjournalist Solomon Serwanjja, der auch geschäftsführender Direktor des African Institute for Investigative Journalism ist. Journalist*innen müssten dem neuen Gesetz gegen LGBTQI folgen. TV Uganda lehnte deshalb ein „Interview mit bestimmten Leuten“ ab. So gelte es, andere Wege jenseits der Medienhäuser zu finden, um die Menschen zu informieren und den Meinungsaustausch zu ermöglichen – etwa im Internet.
Medienschaffende im Exil
Doch für immer mehr Journalist*innen bleibt nur das Exil. Sie müssen aus ihrer Heimat fliehen – sei es, um angesichts von Zensur und Unterdrückung weiterarbeiten zu können oder weil ihr Leben bedroht ist. Im Exil fühle sie sich gleichzeitig „sicher und schuldig“, sagte die ukrainische Journalistin Anna Chaika, die seit Mai für die Deutsche Welle arbeitet. Sie verließ ihr Land, in dem es Pressefreiheit gebe, aus Angst vor russischen Kidnappern. Anders geht es dem türkischen Journalisten und Schriftsteller Can Dündar, der 2016 floh, als ihm eine jahrzehntelange Haft drohte. Er fühle sich in Deutschland aber auch nicht frei, weil seine Familie und Freunde Geiseln der türkischen Regierung seien.
Fathi Osman, Journalist und ehemaliger Diplomat aus Eritrea, der seit 2012 im französischen Exil lebt, kann nicht einmal mit seiner Familie telefonieren, weil jeder Anruf registriert wird: „Es ist sehr hart“. Er baute bei Radio Erena in Paris ein arabischsprachiges Programm auf, das unabhängige Nachrichten für Eritreer*innen im Land und in der Diaspora liefert. Die Journalistin Zahra Joya lebt seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 in Großbritannien: „Ich verlor meine Stimme!“ Aus dem Exil heraus berichtet sie nun mit einem Team in Afghanistan über Frauen und die „Gender-Apartheid“ in ihrem Heimatland.
Mehr Unterstützung für bedrohte Journalist*innen
Von den Aufnahmeländern erwarten die exilierten Journalist*innen mehr Unterstützung. So sollten deutsche Medien sich stärker für Exilmedien öffnen, sagte Dündar. Er kritisierte, dass die deutsche Regierung nicht reagierte, als die türkische Regierung das dortige Programm der Deutschen Welle 2022 sperrte. Während Chaika vom ersten Tag an in Deutschland arbeiten konnte, fühlte Osman sich „im Exil vor allem als Flüchtling, nicht als Journalist“. Geflohene Medienschaffende aus afrikanischen Ländern seien unterprivilegiert gegenüber denen aus der Ukraine, Afghanistan oder Syrien. Er hoffe auf die Hannah-Arendt-Initiative der Bundesregierung und heraus zu kommen aus der Ausgrenzung.
Der russische Journalist und Friedensnobelpreisträger Dmitry Muratov, der noch in Moskau lebt, rief zur Unterstützung von Journalist*innen auf und warnte vor Russlands Medien-Blackout, nachdem fast alle unabhängigen Medien geschlossen und wichtige Plattformen blockiert seien: „Wir dürfen nicht zulassen, dass YouTube gesperrt wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass Wikipedia gesperrt wird. Dies sind die letzten Plattformen, über die Journalistinnen und Journalisten noch Inhalte verbreiten können.” Nachdem die von ihm mitgegründete Zeitung Nowaja Gaseta geschlossen wurde, starteten geflohene Kolleg*innen im Internet die Nowaja Gaseta Europa.
Soziale Medien in autoritären Staaten
In Ländern, in denen Regierungen die Pressefreiheit unterdrücken, bleiben nur noch soziale Medien wie Twitter, Facebook oder TikTok, um über Russland oder den Iran zu informieren. Außerdem helfen sie den dortigen Protestbewegungen bei der Mobilisierung. Gilda Sahebi, deutsch-iranische Journalistin in Berlin, betonte die wichtige Rolle der sozialen Medien bei der Berichterstattung über die Proteste im Iran – auch wenn sie von Regierung und Opposition gleichermaßen genutzt werden. „Guter Journalismus und soziale Medien gehören zusammen, besonders im Iran, aber auch in Deutschland, so Sahebi, die überzeugt ist, dass Journalist*innen auf soziale Medien angewiesen sind – “nicht nur, um unsere Nachrichten zu verbreiten, sondern auch um andere Perspektiven zu gewinnen, um andere Stimmen zu hören, die wir sonst vielleicht nicht wahrnehmen würden.“
Bülent Mumay, Koordinator des Istanbuler Büros von DW Turkish, berichtete, seit zehn Jahren sei die Türkei tief gespalten, alle sprechen über Politik. Angesichts der massiven Propaganda im Erdogan-TV sieht er social media als Chance. Óscar Martínez, salvadorianischer Enthüllungsjournalist und Chefredakteur der Online-Plattform El Faro, meinte, die Internetnutzung in seinem Heimatland sei gering: „Wir brauchen auch andere Wege!“
Martínez wurde für seine mutige Berichterstattung mit dem diesjährigen DW-Redefreiheitspreis ausgezeichnet. Seit dem Amtsantritt von El Salvadors Präsidenten Nayib Bukele im Juni 2019 mussten bereits mehr als 150 Journalist*innen das Land verlassen, erklärte Martínez während der Preisverleihung. 2022 verhängte die Regierung einen Ausnahmezustand und schränkte verfassungsmäßige Rechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein. Trotzdem genieße Bukele Popularität im Land, das versuche „eine demokratische Fassade“ aufrecht zu halten. „Der Journalismus ist mittendrin: verfolgt von der Macht, und verachtet von einem guten Teil der Gesellschaft, die er informiert“, so Martínez. 22 Journalist*innen seien über mehrere Monate mit der Spähsoftware „Pegasus“ ausspioniert worden – unter anderem, als sie Beweise über einen geheimen Pakt des Präsidenten mit kriminellen Banden sammelten, El Faro arbeitet nun von Costa Rica aus.
In Mittelamerika breite sich der Autoritarismus aus: Kuba, Nicaragua, Honduras, Guatemala. Beim GMF appellierte Martinez an die Teilnehmenden, Solidarität für Journalist*innen in Lateinamerika zu zeigen, die “tapfer” und “unbestechlich” weiterhin Missstände aufdecken: „Lassen Sie uns nicht im Stich!“
Medien als „Nervensystem der Gesellschaft“
Künstliche Intelligenz könne zur Entlarvung von Staatspropaganda beitragen, sagte Nilesh Christopher, Südasien-Korrespondent von Rest of World, einer Online-Publikation, die über Erfahrungen mit digitalen Technologien außerhalb der USA berichtet. Er nannte als Beispiel die srilankische Fact-Checking-Gruppe Watchdog, die inmitten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs gegen Staatspropaganda kämpft. So bestehe die Chance, auch bei begrenzten Ressourcen mit KI-Tools Desinformationen und Deepfakes zu entlarven. Der deutsche Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar zeigte sich hingegen skeptisch und warnte vor den Gefahren von ChatGPT, MidJourney und anderen KI-Tools im Journalismus: „Wir können Informationen und Bildern nicht mehr vertrauen, denn KI kann selbst die Geschichte umschreiben!“ Medien seien aber das „Nervensystem der Gesellschaft“ und könnten diese destabilisieren. Beide waren sich einig, dass Journalist*innen nicht ersetzt werden können und Yogeshwar forderte eine Kennzeichnung von KI-generierten Medienprodukten. Vertraut werde Menschen und deshalb gelte: „Journalismus first!“
Ausführlich diskutiert wurde auch die Frage, wie ein Journalismus aussieht, der Spaltungen überwindet und Menschen für sich gewinnt. Viele betonten journalistische Werte wie Fairness, Ausgewogenheit und Objektivität, andere übten partielle Kritik daran. So gab die deutsche Publizistin Katharina Nocun zu bedenken, dass eine „ausgewogene Berichterstattung“ zu Verzerrungen führen kann. Wenn es etwa um Klima oder Covid gehe, sei es wichtig zu prüfen, ob die Positionen einen sachlichen Beitrag zur Debatte leisten und wissenschaftlich haltbar sind. Es gehe um Ausgewogenheit der Fakten, nicht der Meinungen. Denn gerade in Krisen und bei Kontrollverlust tendierten immer mehr Menschen zu Verschwörungstheorien.
Auf Verzerrungen anderer Art verwies die britische Autorin und Journalistin Afua Hirsch im Schlusspanel zur Neuausrichtung der journalistischen Arbeit: „Es gibt keine Objektivität im Journalismus. Wir waren unehrlich und haben die Verzerrungen nicht wahrgenommen, weil die Geschichten aus Sicht der dominanten Bevölkerungsgruppen erzählt wurden.“ Sie forderte mehr Diversity in den Redaktionen, vielfältigere Perspektiven und kreativere Medienprodukte, die auch ein jüngeres Publikum ansprechen.
Bärbel Röben