Multimedia-Produktionsverträge – das Rad neu erfinden?

Urhebervertragsrecht & „Multimedia“

Die „Informationsgesellschaft“, ihre „neuen Medien“ und – natürlich – „Multimedia“ sind das Thema der Zeit. Was immer mit alledem gemeint sein mag, wer von Multimedia-Produktionen redet, muß sich auch Gedanken darüber machen, wie dergleichen zustande gebracht wird, die Juristen darunter über Fragen des Urheberrechts und speziell der Gestaltung von Verträgen, mit denen die Rechte für solche Produktionen erworben werden. Dr. Peter Lutz, Rechtsanwalt in München, hat ein Kompendium einschlägiger Vertragsmuster vorgelegt. Aber wozu?

„Multimedia ist einer der Begriffe, der stark die zukünftige  Informationsgesellschaft prägt“, wird auf dem Rückumschlag das Objekt von Musterverträgen im 200 Seiten starken Band angepriesen. Ein krauser Satz, der aber einen frappierenden Gedanken verbirgt und die Realität wohl besser trifft als manch lange Exegese: Die gepriesene Zukunftsvision „Informationsgesellschaft“ ist eben doch nicht mehr als ein von Worten (oder Wortgeklingel) „geprägtes“ Konstrukt, abgeleitet aus Begrifflichkeiten, die vor rund einem Vierteljahrhundert Hypothesen in der wissenschaftlichen Diskussion markierten und inzwischen zu Marketingslogans eines brummenden Computer- und Mediengeschäfts geworden sind. – Aber auch nicht weniger: Wenn der Weg in die „Informationsgesellschaft“ die vorteilhafteste Zukunftsoption für „Standorte“ jedweder Plazierung auf diesen Globus ist, dann wird das Wortgebilde zum beliebig instrumentalisierbaren Totschlagwort. Es scheint also Vorsicht geboten, wenn da Spezialverträge für „Multimedia“ oder andere prägende Begriffe angedient werden.

Keine Grundlage für neue Rechtsbeziehungen

Und „Multimedia“? Lutz legt sich für seine Vertragssammlung die Kategorien folgendermaßen zurecht (Seite 1): „Für diese Arbeit soll unter dem Begriff ,Multimedia‘ die gemeinschaftliche Verwertung verschiedener Inhalte in der jeweils adäquaten medialen Form (Text, Bild, Ton, Musik usw.) nach deren Digitalisierung mit Hilfe eines softwaretechnischen Zugriffssystems verstanden werden“. Neu daran ist nur die als Basistechnik eingesetzte digitale Datenverarbeitung, eine für den Betrachter so wenig maßgebliche Novität wie der Unterschied zwischen optischer und magnetischer Tonspur im Kino. Im übrigen ist der Tonfilm (sogar in Farbe und auf Breitwand, statt im Mäusekino auf 15 Zoll-Bildschirm) mit Musik und Untertitel längst erfunden. Allerdings geht nach Lutz Multimedia über die klassischen audiovisuellen Medien (zum Hören und Schauen) deshalb hinaus, weil die verschiedenen „Inhalte“ (im Branchenjargon „content“, gemeint sind damit in aller Regel urheberrechtlich geschützte Werke und Leistungen) „in einer neuen verknüpften Einheit als neues einheitliches Objekt durch interaktive Einwirkung“ genutzt werden können. Daumenkino zum Zappen. Die Produktionen zeichnen sich, so Lutz weiter, durch „vom jeweiligen Nutzer gesteuerte Verknüpfungen in einer neuen mehrdimensionalen Form“ aus, die es erlaubt, anstelle der „linearen“ Aufnahme des Mediums gezielt bestimmte Teilbereiche anzuspringen. Daumenkino zum Zappen mit Index: Ein „mouse-click“ aufs Kostüm der Fernsehansagerin und schon landet man zielgerichtet im elektronischen Katalog des jeweiligen Couturiers.

Man mag sich für dergleichen begeistern oder auch nicht. Das aber ist hier nicht die Frage, sondern was nun wirklich so „neu“ an einer solchen „neuen verknüpften Einheit“ ist, daß auch die Rechtsbeziehungen zwischen den Urheberinnen und Urhebern der Rahmenhandlung (oder Ablaufkonzeption), einzelner Wort-, Bild- und Musikbeiträge sowie ausübender Künstlerinnen und Künstlern einerseits und dem Hersteller andererseits auf eine neue Basis gestellt werden müßten. Genau diese Frage ist aber mit einem der Waschmittelwerbung entlehnten „neu … neu“ sachlich nicht beantwortet.

Ihre Grenzen hat die digital-interaktive Texte-Bilder-Geräusche-Welt allemal. Lutz räumt denn ein, daß „die technischen Wiedergabemöglichkeiten unter Umständen aus Gründen der Datenkompression und Dekompression sowie aus Gründen der Wiedergabeschärfe auf den Bildschirmen beeinträchtigt sein könnten“ (Seiten 44, 64, 84, 103, 122, 140).

Urheber-Nennung irgendwo „an geeigneter Stelle“

Der „Multimedia“-Begeisterung soll das keinen Abbruch tun, nur dem kreativen Personal der „Informationsgesellschaft“ die Flause aus dem Kopf treiben, es hätte ein Recht, am richtigen Platz – also beim Werk – in lesbarer Form namentlich genannt zu werden: Wenn es aus „technischen Gründen nicht … möglich“ ist, dann haben – so Lutz (Seite 44 u.v.a.m.) – die Urheberinnen und Urheber „zu dulden“, daß sie eben nicht (oder nur unleserlich) beim Werk, sondern irgendwo „an geeigneter Stelle“ erwähnt werden. Im Zweifel ist wohl die Stelle am geeignetsten, die am wenigsten stört, weil sie der Benutzer des Multimedia-Opus kaum findet. Eine solche Plazierung hat Lutz (Seite 20) denn auch schon gefunden: Die Urheberangaben lassen sich eventuell im integrierten Hilfe-System des Präsentationsprogramms (für Kenner von Microsofts Windows: unter Hilfe.Info) unterbringen, wo im Normalfall niemand nachschaut und im Notfall auch nur einmal, danach mangels Informationswert des gezeigten Fensters nicht wieder! Darüber und vieles andere mehr bestimmt nach den von Lutz entwickelten Verträgen der Produzent. Textprobe:

§ 9 Urheberpersönlichkeitsrechte
(1) Der Drehbuchautor überträgt dem Produzenten seine Urheberpersönlichkeitsrechte zur Wahrnehmung.

(2) Der Produzent verpflichtet sich, bei der Verwertung des Drehbuches stets und soweit technisch und wirtschaftlich möglich, die Urheberpersönlichkeitsrechte des Drehbuchautors zu wahren, insbesondere an geeigneter Stelle auf den Drehbuchautor hinzuweisen sowie bei Bearbeitungen und Umgestaltungen die persönlich-geistigen Beziehungen des Drehbuchautors zu seinem Drehbuch zu achten.“

(Seite 44; im gleichen Sinne: Seite 64 zum Textnutzungsvertrag für Wortbeiträge, Seite 84 zum Vertrag über die Nutzung von Abbildungen, Seite 103 zum Lizenzvertrag über die Nutzung von Musik, Seite 122 zum Merchandisinglizenzvertrag, Seite 139 zur Lizenzvereinbarung über die Nutzung einer Filmsequenz, Seite 169 zur Vereinbarung mit einem ausübenden Künstler)

Lutz weiß, daß Urheberpersönlichkeitsrechte nicht abgetreten werden können, glaubt aber einen Ausweg anbieten zu können: Man lasse sich einfach per Vertrag zum Sachwalter dieser Rechte bestellen, plastisch formuliert zum Vormund in Sachen Urheberpersönlichkeitsrecht, und walte dann nach Maßgabe selbst definierter Möglichkeiten oder Sachzwänge. Um einen Rest an Sicherheit vorzugaukeln, tue man so, als orientiere man sich am Machbaren. Ein bei näherem Hinsehen evident unsinniger Maßstab: Wie soll es eigentlich jemals „wirtschaftlich“ oder „technisch“ nicht „möglich“ sein, wenigstens den Drehbuchautor (oder Herausgeber) einer CD gut lesbar im Startbild namentlich zu nennen? Das aber fällt dem Vertragspartner vermutlich erst im Streitfall auf, also wenn die eigene Entmündigung per Vertrag schon besiegelt ist.

„Freie Bahn“ auf Kosten der Urheber nach Einheitsvertrag

Die Linie, per Vertrag dem „Multimedia“-Produzenten auf Kosten von Urheberinnen und ausübenden Künstlern freie Bahn zu schaffen, ist konsequent durchgezogen: Die Vielfalt von Vertragsmustern (etwa für Drehbuch, Wort-, Bild- und Musikbeiträge sowie das Engagement ausübender Künstler) könnte vermuten lassen, es werde für jeweils unterschiedliche Aufgaben und Beiträge auch jeweils eine abgewogene vertragliche Regelung gesucht. Fehlanzeige: Lutz bietet fast durchweg einen Standardvertrag an, der lediglich sprachlich und in rechtlichen Details an den jeweiligen Vertragszweck angepaßt ist. Der Autor eines Textbeitrags gibt also z.B. nach diesem Einheitsvertrag – ohne vernünftigen Grund – seine Rechte im gleichen Umfang ab wie der Drehbuchautor; bei der Urheberbenennung wird – gegen alle Gewohnheiten beim Film – der Drehbuchautor, der im Ergebnis wohl auch die Regie zu erledigen haben wird, nicht anders behandelt als der Komponist einer kurzen Musiksequenz.

Es lohnt also nicht, die Vertragsmuster im einzelnen zu betrachten. Die Tendenz ist einheitlich gegen die Belange von Urheberinnen und ausübenden Künstlern gerichtet, wie es die oben zitierte Vertragsklausel zum Urheberpersönlichkeitsrecht dokumentiert. Der Rest ist kaum besser.

Erstmal: „buy out“ per Pauschalhonorar

Die erste Option für eine Honorarvereinbarung sind für Lutz anscheinend „buy out“, die Zahlung eines einmaligen Pauschalhonorars für jede denkbare Nutzung der Produktion; so erläutert er jedenfalls die von ihm angebotenen Alternativen und nennt in den Musterverträgen das Pauschalhonorar auch durchweg an erster Stelle. „Zunächst wird ein Pauschalhonorar vorgeschlagen. … Das Pauschalhonorar hat den Vorteil, daß keine wesentlichen Aufzeichnungs- und Abrechnungspflichten bestehen. Nachteil dieser Formulierung ist, daß der Drehbuchautor keine Beteiligung am Erfolg, aber auch am Mißerfolg der gesamten Produktion erhält.“ (Seite 33 zum Drehbuchvertrag, sinngleich Seite 54 zum Vertrag über Textbeiträge usw.). Als „zusätzlich möglich“ wird eine Nachzahlung in Höhe eines – jeweils zu vereinbarenden – Prozentsatzes vom Pauschalhonorar angegeben. Lutz hält eine solche Regelung auch für empfehlenswert, weil andernfalls Nachforderungen drohen, wenn eine Vertragsanpassung nach 36 UrhG („Bestsellerparagraph“) durchgesetzt wird. Er vergißt aber auch nicht den warnenden Hinweis, man möge die Bäume nicht in den Himmel wachsen lassen: „Gewisse Honorarabschläge von dem ursprünglich vereinbarten Pauschalhonorar sind wohl im Hinblick auf den fehlenden Aufwand des Drehbuchautors gerechtfertigt“ (Seite 34 – und wie vorher sinngleich bei den anderen Vertragsmustern). Daß der Aufwand des Produzenten bei steigendem Verkauf drastisch fällt, spielt für Lutz keine Rolle; er kann also auch nicht auf die Idee kommen, die Urheberseite bei steigenden Verkaufszahlen stärker am Erfolg zu beteiligen. Konsequent legt er die in seinen Vertragsmustern angebotene Variante „Erfolgshonorar“ mit einem einzigen Honorarsatz an, also ohne die – insbesondere bei Buchveröffentlichungen – gebräuchliche Auflagenstaffel, die eine mit der Anzahl der verkauften Exemplare ansteigende prozentuale Urheberbeteiligung am Umsatz sichert. Insgesamt ist das Bild stimmig: Wer es für einen „Nachteil“ von Pauschalhonoraren hält, daß Urheber und ausübende Künstler keine Mißerfolgsbeteiligung erhalten, wer den Aufwand des Produzenten beim Brennen einer CD-ROM sehen will (mittlerweile weit unter 5 Mark pro Stück), nicht aber die damit erfolgte Nutzung geistigen Eigentums, der wird zu solchen Empfehlungen kommen.

Schutz gegen Erfolgsbeteiligung

Übrigens: Mittlerweile wird – wie von Lutz – vielfach empfohlen, vertraglich Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß sich eine Urheberin oder ein Urheber gestützt auf den Bestsellerparagraphen des Urheberrechtsgesetzes ( 36 UrhG) später doch eine angemessene Erfolgsbeteiligung sichert, wie vor einigen Jahren eine Autorin mit Rechtsschutz der IG Medien (Urteil des BGH, BGHZ 15, 63 – „Horoskop-Kalender“). Diese Vorschläge für eine Vertragsgestaltung haben zumeist einen Nachteil für die Urheberseite: Es soll ein bestimmter Anteil des ursprünglich vereinbarten Pauschalhonorars nachgezahlt werden, wenn eine vertraglich festgelegte Anzahl von Exemplaren verkauft ist oder eine zahlenmäßig benannte Umsatzgröße überschritten wird. Genau betrachtet ist das nichts weiter als ein Versuch, den im Bestsellerparagraphen ( 36 UrhG) angelegten Schutz vor Übervorteilung zu unterlaufen: War die zuerst gezahlte Pauschale zu niedrig, dann ergibt auch eine anteilige Nachzahlung noch kein angemessenes Honorar; soll zudem eine solche Nachzahlung – wie in den Vertragsmustern von Lutz – nur einmal erfolgen, dann ergibt sich bei weiterem Verkaufserfolg zwangsläufig wieder ein „grobes Mißverhältnis“ ( 36 UrhG) zwischen Urhebervergütung und Erlösen aus der Werknutzung und ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags. Wenn dergleichen fragwürdige Konstruktionen von Kennern der Materie dennoch angeraten werden, kann dahinter nur die Spekulation stehen, die geschätzten Vertrags-„Partner“ ließen sich damit definitiv abspeisen, oder aber die Absicht, solche Verträge von der Justiz abgesegnet zu bekommen, weil sie eben eine (läppische) Erfolgsbeteiligung vorsehen.

Bei der Rechtseinräumung setzt sich in den Musterverträgen von Lutz die „buy out“-Philosophie gradlinig fort: Wie auch immer honoriert, die Rechte am eigenen Werk sind nach Unterschrift definitiv („alle Nutzungsrechte für alle bekannten Nutzungsarten“), weltweit, schrankenlos und für alle Zeiten („zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkt“) weg. Eingeräumt werden sollen durchweg ausschließliche Nutzungsrechte. Wer also z.B. einen Lutz-Vertrag über die Nutzung eines Textbeitrags abschließt, sperrt sich selbst durch die umfassende Rechtseinräumung praktisch von jeder eigenen Nutzung des Texts für alle Zukunft aus, weil nicht nur das Recht für diese Produktion, sondern auch praktisch alle Nebenrechte an den Produzenten vergeben werden.

Schutzbestimmungen gnadenlos unterlaufen

Das ist denn auch die klare Intention des Klauselwerks: „In den nachfolgenden Vertragsvorschlägen sind weitgehende und umfassende Rechtseinräumungsklauseln enthalten“ (Seite 21). Es stört Lutz ganz offensichtlich nicht, daß damit die Schutzbestimmung in 31 Abs. 5 UrhG gnadenlos unterlaufen wird, nach der eben möglichst viele Nutzungsrechte bei der Urheberin oder beim Urheber bleiben sollen. Warum auch? Vertragsklauseln werden schon immer (auch) dazu genutzt, dem Vertrags-„Partner“ das wegzunehmen, was ihm der Gesetzgeber aus wohlüberlegten Gründen belassen sehen wollte. Die Gesetzesumgehung per Formularvertrag soll sogar noch perfektioniert werden. 31 Abs. 5 UrhG – die sogenannte Zweckübertragungs-regel – besagt, daß neben den ausdrücklich im Vertrag benannten Nutzungsrechten nur die eingeräumt werden, die nötig sind, um den Vertragszweck (z.B. Veröffentlichung eines Buches) zu erreichen. Also wird formularmäßig der Vertragszweck ins Uferlose ausgeweitet und obendrein mit staatstragenden Floskeln dekoriert: „Die Vertragspartner sind sich darüber einig, daß dem Produzenten alle Rechte für alle bekannten Nutzungsarten eingeräumt werden, um eine möglichst umfassende, erfolgreiche und koordinierte Verwertung … sicherzustellen, ohne dadurch die Sicherheit des Rechtsverkehrs zu gefährden oder die Gefahr sich gegenseitig ausschließender Nutzungen zu begründen“ (Seite 41 zum Drehbuchvertrag und – natürlich – sinngleich für alle anderen Vertragsmuster). Das ist ein hübscher Beleg für die diskrete Frivolität manches Klauselwerks: Die „Sicherheit des Rechtsverkehrs“ soll plötzlich Zweck eines normalen Vertrags sein. Und dieser vorgetäuschte „Zweck“ soll allumfassendes Raffen von Nutzungsrechten heiligen, das der wirkliche Vertragszweck (Vertrieb einer CD-ROM) den Rechtserwerb nicht ansatzweise legitimieren kann. Lutz schlägt nämlich auch einen weitreichenden Rechteerwerb an einzelnen Wort-, Bild oder Musikbeiträgen standardmäßig vor, der in der Praxis keinen Sinn macht. Es macht für die wirtschaftliche Verwertung einer CD erfahrungsgemäß keinen Unterschied, ob an darin enthaltenen Beiträgen ein einfaches oder ein ausschließliches Nutzungsrecht besteht, weil anderweitige Nutzungen (z.B. Abdruck in einer Anthologie oder Zeitschrift) mit dem multimedialen Produkt CD nicht ernsthaft konkurrieren. Bei den weiteren Verwertungsrechten, deren Erwerb diese verblasene Zweckdefinition sichern soll, ist die Folge fatal und in der Tendenz destruktiv, weil sich ein Produzent kaum ernsthaft um die Verwertung von Nebenrechten an der Vielzahl von Beiträgen wird kümmern können.

Einzuräumen bleibt, daß Lutz in der Einleitung (Seite 21 f) darauf aufmerksam macht, es sollte durchaus im Einzelfall überlegt werden, ob nicht ein Rechteerwerb in bescheidenerem Umfang im Einzelfall ausreicht, was – so Lutz – auch billiger kommen könnte. Das ist ehrenwert, steht aber in klarem Widerspruch zu den von ihm vorgeschlagenen Vertragsmustern. Erfahrungsgemäß werden solche von kompetenter Seite ausgearbeiteten Muster gerne wörtlich übernommen. Und in diesen Mustern
steht Raffzahns Maxime einschließlich der Rechtfertigungsstrategien für Raffen mit und ohne Verstand!

Merchandising inclusive

Aber mit Instinkt. Geld zu holen ist allemal in der Werbung. Deshalb soll der Produzent nach den Lutz-Verträgen – durchweg – zusätzlich zu den anderen üblichen Nebenrechten („umfassend“) natürlich auch die sogenannten Merchandising-Rechte erwerben. Gemeint ist damit die Befugnis, jedwede künstlerische oder publizistische Leistung für Zwecke der Werbung oder Verkaufsförderung zu nutzen. „Imagetransfer“ heißt das inzwischen: Die Kunstfigur Sherlock Holmes leiht irgendeinem Pfeifentabak ihr öffentliches Ansehen, eine Melodie wirbt für Schnaps, ein Foto dient dem Wahlkampf irgendeiner Partei. Wen das nicht stört: Der „Reinerlös“ (auch aus Merchandising) soll zwischen den jeweils beteiligten Urhebern und dem Produzenten geteilt – 50 : 50, heißt das, eine fürstliche Provision für den Produzenten, der hier bloß als Vermittler auftritt. Dabei darf der Produzent vorher vom Gesamterlös seine „direkt zurechenbaren Kosten“ abziehen und sich vorab selber „etwaige angemessene Vergütungen“ für besondere Leistungen aus den Einnahmen zubilligen, weil der Arme ja nur 50% Provision bekommt.

Beispiel gefällig? Autor Unbedarft, engagierter und bekennender Nichtraucher, erlaubt einer Multimedia-Klitsche das Einspielen eines 5-Zeilen-Poems auf einer CD-ROM. Dieses gefällt nun wegen seiner liberalen Grundtendenz der Tabakindustrie, die vom Produzenten die Rechte für Plakatwerbung ankauft. Vom Erlös sieht Autor U. sicher nicht einmal die Hälfte auf seinem Konto, dafür darf er den Schaden (wenigstens in Form unbeschreiblichen Spotts) aus einem solchen „Imagetransfer“ ganz und alleine tragen. So soll das laufen, rät Dr. Lutz aus München.

Alle Rechte für den Produzenten, ist denn auch die eine Leitlinie aller Musterverträge, möglichst keine Pflichten für ihn die andere. Beispiel zur Verwertung von Nebenrechten: „Der Produzent ist zur Auswertung der Nutzungsrechte berechtigt, aber nicht verpflichtet“ (Seite 44 zum Drehbuchvertrag – etc.). Nicht anders sieht es bei der Verwertung des Hauptrechts aus:

§ 7 – Herstellung und Verbreitung
(1) Der Produzent ist unabhängig vom Vergütungsanspruch des Drehbuchautors nicht verpflichtet, nach Ablieferung des Exposés, Treatments oder Drehbuchs die Multimedia-Anwendung zu erstellen. …
(2) … Schließlich ist der Produzent frei in der Entscheidung über die Verramschung oder Makulierung vorhandener Vervielfältigungsstücke“ (Seite 41 zum Drehbuchvertrag – usf. wie üblich).

Haupt- und Nebenrechte können also nach Belieben des Produzenten auch in den Dornröschenschlaf geschickt werden. Damit die Ruhezeit sicher nicht zu knapp ausfällt, soll auch gleich noch die Wartefrist für einen Rückruf der nicht ausgeübten Rechte nach 41 UrhG von zwei Jahren auf die gesetzlich zulässig Höchstlaufzeit von fünf Jahren ausgedehnt werden. Es ist an alles gedacht.

Neu fürs Impressum: mit der Zusendung bereits den Generalverzicht

Auch an unbedarfte Zeitgenossen, die einer Zeitschriftenredaktion unaufgefordert Beiträge zukommen lassen. Für die präsentiert Lutz mit seinem „Impressumsvermerk für Zeitschriften“ (Seite 183) einen besonders schwer verdaulichen Leckerbissen. Er hat richtig erkannt, daß nach der geltenden Rechtslage ( 31 Abs. 5 UrhG – sogenannte Zweckübertragungsregel) „die jeweiligen Zeitschriftenverleger lediglich das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Artikels in Zeitschriften“ (genauer: in der Zeitschrift, für die er angeboten wurde und nur in der!) erwerben, nicht aber die für eine elektronische Nutzung in (etwa Datenbanken). Dieser für freie Urheberinnen und Urheber durchaus angemessenen – und vom Gesetzgeber gewollten – Regelung „sollte … in Zukunft“ – so Lutz – durch „eine entsprechende Erweiterung“ des Impressums kein Raum mehr gelassen werden. Im Wortlaut:

„Mit Einsendung von Manuskripten ist der Verfasser mit der vollständigen oder teilweisen Veröffentlichung in der Zeitschrift … sowie in allen anderen periodischen und nichtperiodischen Publikationen sowie der Verwertung in digitalisierter Form im Wege der Vervielfältigung und Verbreitung als Offline-Datenbank (CD-ROM o.ä.) oder als Online-Datenbank mit Hilfe der Datenfernübertragung einverstanden.“

Einzig tröstlich – vermutlich aber eher ein Versehen: Die in der Tat halsabschneiderische Klausel soll für Manuskripte gelten, nicht aber für andere geschützte Werke und Leistungen (z.B. Grafiken oder Fotos). Sollte das, was Lutz als Impressumsvermerk anrät, zum Tragen kommen, dann wäre „der Verfasser“ – die Verfasserin natürlich auch! – die wesentlichen Nutzungsrechte am Beitrag (Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, digitale Datenträger und online-Angebote) los, allein mit der Einsendung (!) eines Manuskripts. Eine Empfehlung, diesen beherzten Zugriff auf anderer Leute Rechte wenigstens von der Zahlung eines Honorars, gar eines angemessenen Honoraraufschlags oder vielleicht einer Erlösbeteiligung abhängig zu machen, sucht man bei Lutz vergeblich. Es lohnt sich also in Zukunft, das Impressum einer Zeitschrift zu lesen, bevor ein Wort- oder Bildbeitrag an die Redaktion eingesandt wird, schon um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, die mühsam und im Ergebnis ungewiß sind. (Unsere Justiz hält sich leider zurück, wenn es darum geht, Formularklauseln im Urhebervertragsrecht zu kassieren!) Noch besser ist es allemal, bereits beim Einsenden eines Beitrags in einem kurzen Begleitschreiben oder eigenen Geschäftsbedingungen klarzustellen, zu welchen Konditionen er angeboten wird.

Weitere Belege dafür, daß das Vertragswerk von Lutz für Urheberinnen wie für ausübende Künstler keine brauchbare Orientierung hergibt, ließen sich anführen (etwa daß ein Drehbuchautor den „Weisungen“ des Produzenten unterstellt – Seite 28 – oder die Urheberseite generell zur Erfüllung von „Änderungswünschen“ des Produzenten verpflichtet sein soll – Seite 53 statt vieler), sind aber entbehrlich. Für wen nämlich diese Vertragssammlung zu „Multimedia“ gedacht ist, teilt der Verlag im Waschzettel klar mit. Er meint sie helfe „bei der konkreten Umsetzung, wenn sich ein Medienunternehmen für den Einstieg in diesen neuen Bereich entschieden hat“. Richtig: Lutz liefert einem solchen Unternehmen Handreichungen, wie es seine Interessen vertraglich optimal formuliert und durchsetzt, seien diese Interessen auch nur destruktiver Natur (z.B. durch die Blockierung einer Veröffentlichung). Urheberinnen und Urheber sind entsprechend schlecht beraten, wenn sie sich an den von Lutz ausgearbeiteten Vertragsmustern orientieren. Wer sich für knapp 90 Mark die Argumentationsmuster, die bei Verhandlungen von der anderen Seite kommen werden, vorher anlesen will, mag zugreifen, ebenso natürlich, wer das Geld für eine Sammlung von abschreckenden Beispielen anlegen will.

Ein Fall für die Politik: die formularmäßige Pervertierung tragender Grundprinzipien des Urheberrechts

Ans Herz gelegt sei der Band allerdings den Verantwortlichen in der Rechtspolitik und der Justiz: Es sollte dort schon zur Kenntnis genommen werden, mit welcher Selbstverständlichkeit und mit welchen fadenscheinigen Tricks heutzutage in Sachen Urhebervertragsrecht ein ausgewiesener Kenner der Materie wie Lutz die formularmäßige Pervertierung tragender Grundprinzipien des Urheberrechts anempfiehlt. Es ist wohl an der Zeit, den Kinderglauben an die Vertragsfreiheit, die angeblich im Selbstgang alles so schön einrichtet, einmal an den Realitäten der Medienbranche zu überprüfen. Gerade wenn an der Idee von der „Informationsgesellschaft“ etwas dran sein sollte – der Osterhase wird sie vermutlich ebensowenig bringen wie die Vertragsfreiheit sie zum Prosperieren kommen lassen wird.


Eine Rezension von:

Lutz, Peter:
Verträge für die Multimedia-Produktion.
Weinheim; New York; Basel;
Cambridge; Tokyo:
VCH 1996

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