Karlsruhe gibt der Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine gute Wendung
Manche große Stücke enden damit, einige beginnen mit einem Paukenschlag. Das Karlsruher Rundfunkurteil enthält gleich mehrere solcher Paukenschläge, mal laut, mal leise. Und sie markieren gleichermaßen Schlusspunkt wie Auftakt rundfunk- und medienpolitischer Konflikte.
In unerwarteter Klarheit hat das Gericht den Vorrang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerade unter den veränderten technischen und Marktbedingungen bestätigt. Dies sogar einstimmig. Deutliche Signale gehen damit an die Rundfunk- und Medienpolitik: Medienmärkte schaffen allenfalls Vielfalt der Verbreitungswege, nicht aber von sich aus inhaltliche Vielfalt. Das Marktversagen ist strukturell gegeben, ihm muss also strukturell vorgegriffen werden. So weit der Paukenschlag, den man bis weit nach Brüssel – wo man in der EU-Kommission exakt entgegengesetzt denkt – gehört haben wird.
Ein vorläufiger Schlusspunkt wurde erreicht im Streit darüber, wie weit Ministerpräsidenten und (ihnen nur folgend!) Länderparlamente in die Rundfunkfinanzierung eingreifen dürfen. Sie dürfen es, ja, sagt das Gericht, unter Umständen müssen sie es auch – aber nur, wenn sie sich an die auch bislang geltenden Gründe halten. Nicht mehr, nicht weniger. Nachträglich schwer abgestraft wurden damit aber vor allem Peer Steinbrück (SPD), Georg Milbradt (CDU) und Edmund Stoiber (CSU), deren „SMS“-Initiative 2003 den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Künftige Abweichungen von den Empfehlungen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) müssen so gut begründet sein, dass sich jeder Politiker ab jetzt davor hüten wird, derartig hochmütig mit der Rundfunkfreiheit zu spielen, wie es noch vor vier Jahren in aller Öffentlichkeit geübt wurde.
Also – die Politik in die Schranken verwiesen, dafür alle Freiheiten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Nein, genau dies ist nicht die Bedeutung des Urteils. Vielmehr stellt es das richtige Verhältnis von Medienpolitik und Rundfunkfreiheit wieder her. Die jeweiligen Akteure werden auf ihre Plätze und damit ihre eigentlichen Aufgaben verwiesen: Der Gesetzgeber hat sich primär um die Bestimmung des Rundfunkauftrags zu kümmern, die Rundfunkanstalten haben im Rahmen ihrer Programmautonomie diesen Rundfunkauftrag aber auch zu erfüllen – und dies unabhängig von der Quote, wie das Gericht mehr als einmal betont. Anders gesagt, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem „Funktionsauftrag“ gerecht werden soll, muss er freies Geleit auf allen Plattformen und durch alle Kanäle haben. Aber dies nur für seinen gesellschaftlichen Auftrag!
Kein Ersatzgesetzgeber
Das ist nun wiederum ein eher leiser Paukenschlag zum Auftakt der anstehenden gesetzlichen Fest- und Fortschreibung des Rundfunkauftrages – insbesondere in Bezug auf neue Mediendienste und Plattformen. Hier geht es um die originären Aufgaben des Gesetzgebers. Mit dem 11. Rundfunkänderungsstaatsvertrag beginnt diese Arbeit. Die Brüsseler Vorgaben beziehungsweise der Kompromiss mit der EU-Kommission haben dem Markt ein zu großes Gewicht eingeräumt. Dieses Ungleichgewicht kann nun dank Karlsruhe wieder besser ausgeglichen werden. Wie viel Gewicht dabei dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk am Ende zukommt, ist freilich von ihm selber abhängig: „Public Service Value“ zu bieten, ist seine Pflicht. Insofern hat Karlsruhe, sowohl für den herkömmlichen Rundfunk als auch für die neuen Rundfunkdienste zumindest implizit zur Neujustierung von Qualität und Quote aufgefordert. Es liegt an den Rundfunkanstalten und an uns, dass dies auch so geschieht.
Aber, was wird aus dem privatwirtschaftlichen Rundfunk? Gerade jene, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen die Dauerattacken von Seiten etwa des VPRT verteidigen, sollten nicht vorschnell frohlocken. Denn es gibt auch auf privatwirtschaftlicher Seite jetzt durchaus frohlockende Gesichter: die der Billigwarenverkäufer, die schon lange den Ausverkauf von Qualitätspublizistik betreiben. „Aha“, so wird das Signal aus Karlsruhe dort verstanden: „Wir machen dann mal weiter so, und Sat.1 war erst der Anfang!“ Das Gegenteil muss zur Regel werden: Auch wenn hierzu der Paukenschlag noch nicht erklungen ist – die Zeit für eine Diskussion über „Public Service Value“ für den gesamten Rundfunk in der neuen Multimediawelt ist längst angebrochen. Das Karlsruher Urteil steht dem nicht im Wege.
Bleibt am Ende die Frage: Heißt „nach Karlsruhe“ nicht auch „vor Karlsruhe“? Das Gericht hat wohl weislich die Rolle eines Ersatzgesetzgebers zurückgewiesen. Eine demokratische Medienordnung muss in der Gesellschaft geschaffen und gestaltet werden. Dazu bedarf es eines Mindestmaßes an Kooperation zur Konsens- und Kompromissbildung – und das bezieht alle ein: Bürgerinnen und Bürger, Rundfunkveranstalter, Verleger und Medienschaffende. Kein Gericht kann diese Einigung ersetzen, das Bundesverfassungsgericht aber hat uns alle dazu verpflichtet. Und das ist gut so.