Politik & Halligalli

Wahlprüfsteine contra Kampagnenjournalismus – Medien im Wahlkampf

 Zuerst das Positive. Es gab während des zurückliegenden Wahlkampfs durchaus jede Menge Medienbeiträge, die politische Erkenntnisse befördern und Wahlentscheidungen erleichtern halfen. Denn das war ja das erklärte staatspolitische Ziel von Politik und Medien: die Unentschlossenen, die Unpolitischen, die Nicht-Ausreichend-Informierten in die Wahllokale, an die Urnen zu treiben, auf dass sie ihrer staatsbürgerlichen Pflicht genügten. Zwecks Verteidigung und Stabilisierung der parlamentarischen Demokratie. Die großen überregionalen Blätter glänzten mit Wahlprüfsteinen, mit Wahl-O-Mat-ähnlichen Gegenüberstellungen parteipolitischer Positionen zu den wichtigsten Politikfeldern.

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk. Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de
Günter Herkel
lebt in Berlin und arbeitet
als freier Medienjournalist
für Branchenmagazine
in Print und Rundfunk.
Foto: Ch. v. Polentz /
transitfoto.de

Im Fernsehen ging es personenfixierter zur Sache: da gab es Kanzler- und Kandidatenchecks, Wahlarenen und Townhall-Meetings zuhauf, und in unzähligen Talks tummelte sich das parteipolitische Spitzenpersonal. Aber nicht nur. DeutschlandRadio Kultur porträtierte – nette Idee – in einer wochenlangen Serie „Unsere Hinterbänkler“: im Tagesgeschäft wenig auffällige Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen. Gelegentlich überzeugte sogar die eine oder andere Talkshow mit mehr als routiniertem Frage-Antwort-Einerlei und vorhersehbarer Parteipolemik. Zum Beispiel „Beckmann“ drei Tage vor der Wahl, als die Schriftstellerin Juli Zeh, Süddeutsche Zeitung-Auslandschef Stefan Kornelius und die Publizistin Ursula Weidenfeld das Krisenmanagement der Bundesregierung bei der NSA-Affäre oder die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik auf den Prüfstand stellten.

Personenfixiert

Weniger glücklich agierten Institutionen, von denen man eigentlich Intelligenteres erwartet hätte. Allen voran die Bundeszentrale für Politische Bildung, die per Video- und Hörfunkspots Promis „Lockrufe für die Wahlkabine“ ins Wahlvolk schicken ließ. Kostprobe mit Heino, dem neuerdings so hippen Altbarden: „Wisst ihr, was so richtig rockt? – Ein Flashmob, mit 61,8 Millionen Typen! Hammer! Und alle machen das Gleiche: XX, und ich bin dabei. Heino rockt die Wahl!“ Irgendwie peinlich, das Ganze.
Viel wurde über die Substanzlosigkeit und Langeweile des Wahlkampfs gelästert. Die Kanzlerin verabreichte dem Wahlvolk Schlaf- und Beruhigungsmittel in gefährlich hoher Dosis. „Sie kennen mich“ – das schlagende „Argument“ eines Rundum-Wohlfühlprogramms fürs sicherheitsfixierte und gewohnheitsselige Wahlvolk. Gelegentlich ergab sich der Eindruck des Kohl-Neujahrsansprachen-Effekts. Die Älteren werden sich erinnern: Am Silvesterabend 1986 bekamen die ARD-Zuschauer die Kanzler-Rede vom Vorjahr noch einmal zu sehen und zu hören. Kaum einem fiel’s auf.
Und die Medien? Ließen sich vielfach auch einschläfern. Euro-Krise, Rüstungsexporte inklusive Giftgas-Chemikalien für Syrien, Big Big Brother NSA, gescheiterte Energiewende, Altersarmut, Klassengesellschaft – war da was? Die Gegenwart liefert Stoff genug für eine spannende politische Agenda. Aber politische Inhalte allein reichen vielen Medien nicht. Vor allem im Fernsehen kam der eigentlich schon leicht angestaubte Begriff des Infotainments zu neuem Glanz. Der angeblich politik- bzw. politikerverdrossene Wahlbürger muss heutzutage offenbar pausenlos bespaßt werden, damit er im Huckepackverfahren auch noch Spurenelemente politischer Argumente aufnimmt. „Wie geht’s Deutschland?“ Die Idee des Zweiten, „politische Inhalte mit Spielshow-Elementen zu vermitteln“, machte Spitzenpolitiker buchstäblich zu Affen, wenn sie unter Anleitung der ZDF-Domina Marietta Slomka die Kindershow „1, 2 oder 3“ nachspielten, von Feld zu Feld hüpften und selten dämliche Fragen (Wie lang sind die Supermarktschlangen in Portugal?) beantworteten.
Selbst der Grüne und Altlinke Hans Christian Ströbele (74) entblödete sich nicht, auf dem zu Recht nicht übermäßig bekannten Privatkanal Tele 5 mit Moderator Benjamin von Stuckrad-Barre einen so genannten „Spaß-Parcours“ abzuschreiten. Aus der Produktionsmitteilung des Senders: „Der Grünen-Politiker schreibt Liebesbriefe für die Zuschauer, beobachtet Gorillas in einem virtuellen Urwald und steuert den Moderator per Mikrofon fern.“ Was dieser Unsinn mit Politik zu tun hat? Eben! Wenn Herausforderer Steinbrück im ProSieben-Klamauk „Circus Halligalli“ den Moderator Klaas Heufer-Umlauf als „Frau Will“ veralbert, grenzt das dagegen fast schon an politische Nostalgie. Kein Geringerer als der damalige Kanzler-Aspirant Edmund Stoiber hatte im Wahlkampf 2002 Talklady Sabine Christiansen blackoutmäßig als „Frau Merkel“ adressiert. Kann man sich Barack Obama oder Francois Hollande als Gäste im Cirkus Halligalli vorstellen? Ist es denkbar, dass eines der Kandidatenduelle im nächsten US-Wahlkampf von einem Showmaster oder Comedian moderiert wird? Eher nicht. Das hiesige politische Spitzenpersonal, so scheint ist, sitzt irgendwie selbstverschuldet in der von den TV-Sendern gestellten Humorfalle.

Scheinheilig

In der Endphase hatte es den Eindruck, als würde Spannung nur noch durch plötzlich hervorgezerrte Skandale und Skandälchen um Stinkefinger-Steinbrück („schwarz“ beschäftigte Putzfrau!) und „Kinderverderber“-Trittin erzeugt werden können. Da war er dann doch wieder – der gute alte Kampagnenjournalismus, den im Zweifel nicht nur der Boulevard, sondern auch viele vermeintlich seriöse Medien beherrschen. Bild setzte noch eins drauf und beglückte am Tag vor der Wahl die Republik flächendeckend mit der Sonderausgabe „WahlBild“. Begründung: Es gelte, einen „positiven Impuls gegen die seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung“ zu setzen. Unter anderem erklärten darin „Kaiser“ Franz, Olli Bierhoff und Philipp Lahm, warum sie als Kapitäne der Fußball-Nationalmannschaft es „besonders wichtig finden, zur Wahl zu gehen“. Wahlen und Spiele! Ausgerechnet das Blatt, das seit Jahrzehnten mit einigem Erfolg an der Entpolitisierung von Millionen Lesern mitgewirkt hat, gefällt sich nun in der Rolle des Mahners. Scheinheiliger geht’s nimmer.

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