Politisch neutral?

Online-Portal aus dem Norden als Sprachrohr für NPD-Propaganda

„Die NPD ist keine demokratische Partei.“ Derjenige, der das sagt, ist seit 2006 Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern. Lorenz Caffier (CDU) lässt kaum eine Gelegenheit aus, auf die verfassungsfeindliche Gesinnung der Rechtsextremen hinzuweisen, die im Herbst 2006 in den Landtag eingezogen sind. Diejenigen, die die von der Schweriner Landesregierung auf den Weg gebrachte zivilgesellschaftliche Initiative „Wehrhafte Demokratie“ regelmäßig unterlaufen, betreiben ein Internetportal mit dem Namen MVregio.

Regelmäßig wird der NPD auf MVregio Platz für deren Propaganda eingeräumt, indem die Pressemitteilungen im Originalton unkommentiert verbreitet werden und führende Parteivertreter zu Wort kommen. Im Zuge der von DGB, ver.di und dem Deutschen Journalisten-Verband getragenen Medienkampagne für Qualität und Vielfalt ist dies kein Ruhmesblatt, sondern vielmehr ein abschreckendes Beispiel, denn Vielfalt kann nicht Beliebigkeit bedeuten.

Gelobt von rechter Szene

Schon von mehreren Seiten wurden die Verantwortlichen des Internetdienstes mit dem Untertitel „Nachrichten für Mecklenburg-Vorpommern“ für ihre Praxis im Umgang mit der NPD gescholten, doch stets verwiesen die Getadelten darauf, dass die NPD keine verbotene Partei sei und hoben das Recht auf freie Meinungsäußerung hervor. Mit diesen Argumenten erfährt man bei MVregio, was der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs zur Verurteilung eines pakistanischen Brandstifters sagt (26.1.), was die Rechtsradikalen an der SPD-Familienpolitik auszusetzen haben (28.2.), was die Partei an der Polizeistrukturreforrm des Innenministers nicht gut findet (5.3.) und mit welchem Wortlaut die NPD im Saarland (!) eine Verfassungsklage gegen die dortige Landesregierung unterstützt (6.2.) – um hier nur einige wenige Beispiele aus diesem Jahr aufzuführen. In der NPD-Zentrale in Berlin sowie bei deren Untergliederungen freut man sich sicher, denn auf solch ein verlängertes Sprachrohr für die Parteibotschaften kann man sonst nur mit den eigenen braunen Medieninstrumenten oder auf neonazistische Websites zurückgreifen. Demnach verwundert es auch nicht, dass MVregio ausgerechnet von dem am meisten genutzten Internetforum der rechten Szene „altermedia.info“ ein Lob ausgesprochen bekommt, indem man dem Nachrichtenportal „tatsächliche politische Neutralität und kritische Hinterfragung“ attestiert.
Der gänzlich kritiklose Umgang von MVregio mit den neonazistischen Rattenfängern ist unter anderem auch den beiden engagierten und mit Preisen ausgezeichneten Online-Projekten NPD-Blog.info von Patrick Gensing sowie „Endstation Rechts“ von der SPD-Jugendorganisation in Mecklenburg-Vorpommern aufgefallen. Beide thematisierten den Umstand mit Beiträgen. Gegenüber „Endstation Rechts“ sprach der MVregio-Verantwortliche Klaus Böhme in einem Fall der Berichterstattung davon, dass man die Absicht verfolgt hatte zu „provozieren“.
Gensing ist bei den MVregio-„Machern“ offenbar zur Zielscheibe Nummer 1 aufgestiegen. Beim NDR, für den Gensing tätig ist, versuchte es MVregio mit einer denunzierenden Beschwerde. Im Februar war bei MVregio dann in bester Verschwörungstheorie-Manier unter anderem zu lesen: „Nach Informationen von MVregio News wird NPD-Blog.info von dem US-Geheimdienst NSA gesteuert.“ Bei Nachforschungen zu dem Domain-Inhaber von Gensings Projekt will man auf mehrere Briefkastenfirmen in den USA gestoßen sein, die wiederum zu einer Verbindung in einem Bürogebäude von Chicago führten, wo sich auch die National Security Agency (NSA) wiederfinden soll und wo man – offenbar verdächtig – gleich mehrere Antennen auf dem Dach erspähen könne. Dumm nur, dass NPD-Blog.info gar nicht in den USA gehostet wird, was sich mit wenigen Klicks im Internet herausfinden lässt. Auch dass man Gensings postalische Anschrift nach eigenen Angaben nicht herausfinden konnte, soll den geschürten Verdacht stützen. Dabei ist das Impressum unschwer auf der Seite zu finden. Offenbar wollte MVregio mit den Unterstellungen das Projekt unglaubwürdig machen.
Gensing erwirkte daher eine Einstweilige Verfügung gegen MVregio, doch die betreffenden Behauptungen sind bislang weiterhin auf den Seiten des Portals zu finden (http://www.mvregio.de/show/ 334360.html).

Kriminelle Machenschaften

Schaut man bei MVregio einmal ins Impressum, stößt man auf Uwe Schröder als Vertretungsberechtigten der MVregio News KG, der anfangs dort als Volontär geführt wurde und inzwischen als Wirtschaftsredakteur fungiert. Der Internetdienst wurde zuvor vom Verein Ostseepresse e.V. betrieben. Namentlich ausgewiesen als für den Inhalt verantwortlich ist aktuell Klaus Böhme, der auch unter seinem Geburtsnamen Klaus-Dieter Springwald auftrat (so etwa bei Ostseepresse e.V.). Zu seiner Vita gehören kriminelle Machenschaften, denn vor dem Amtsgericht Rostock ist er 2006 wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung sowie wegen Falschbeurkundung zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Schröder, der sich als Kaufmann bereits im Blumenhandel tummelte, bekleidet bei der in Berlin registrierten Unternehmensberatungsfirma Global Operating Mergers and Acquisitions (GOMA) AG den Vorstandsvorsitz. Im Zuge der 2007 bekannt gewordenen Affäre um die Baugenossenschaft (BG) Neptun in Rostock ist auch Schröder ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, wie seinerzeit die Ostseezeitung berichtete. Schröder war dort kurzzeitig zum Vorstand berufen worden, ehe der Aufsichtsrat ihm wieder den Stuhl vor die Tür setzte. Im Raum standen bei dem Vorgang unter anderem auch Anschuldigungen gegen Schröder, für MVregio von der BG Neptun einen Beratervertrag ausgehandelt zu haben.
MVregio trägt sich unterdessen offenbar mit dem Gedanken sein Angebot auszuweiten. Die Domain saregio.de ist dem Deutschen Internetverzeichnis Denic zufolge bereits auf Klaus Böhme registriert.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Länder wollen kein Medienfreiheitsgesetz

Die Bundesländer bleiben bei ihrer Ablehnung gegenüber dem geplanten Europäischen Medienfreiheitsgesetz. Die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD), Vertreterin der Rundfunkkommission der Länder, betonte am vergangenen Mittwoch vor dem Kulturausschuss, der Vorschlag für eine Verordnung „zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Mediendienste im Binnenmarkt“ greife in die Kulturhoheit der Länder ein, Medien seien kein dem EU-Binnenmarkt unterworfenes Wirtschaftsgut.
mehr »

Das „ganze Bild“ von Ungleichheit zeigen

Vor allem reiche Menschen verursachen den Klimanotstand. Menschen mit Armutserfahrung werden bei der Gesundheitsversorgung diskriminiert. Wie sehr Ungleichheit die Lebensbedingungen in Deutschland prägt, wurde auf einer Fachtagung von Netzwerk Recherche und Wissenschaftszentrum Berlin deutlich – und auch, wie wir Journalist*innen faktenreich und empathisch über die Strukturen hinter diesen sozialen Schieflagen berichten können.
mehr »

VG Bild-Kunst tagt in Leipzig

Die Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst lädt am Donnerstag, 20. April 2023, um 10 Uhr ins Pentahotel Leipzig zur Berufsgruppenversammlung ein. Thema werden die Verhandlungen mit den Social-Media-Plattformen, mit META für Facebook und Instagram, mit Pinterest, Flickr, Twitter und anderen sein. Wer persönlich teilnehmen möchte, kann sich per E-Mail anmelden. Wer nicht persönlich dabei sein kann, den bittet die dju, die Stimmrechtsübertragung an die dju in ver.di nicht zu vergessen. Auf dem Formular, der allen Einladungsbriefen beigelegt ist, findet sich die dju unter "ver.di Fachgruppe Journalismus (dju)". Wer möchte, kann die Stimmrechtsübertragung auch gleich für die geplante…
mehr »

Habets lädt ein zum gemeinsamen Streamen

ProSiebenSat.1-Vorstandschef Bert Habets schlägt den Aufbau einer gemeinsamen Streaming-Plattform öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter vor. Es gehe nicht um einen Wettbewerb der beiden Systeme, sondern um den gemeinsamen Wettbewerb „gegen die Flut der Desinformation“, sagte Habets auf einem Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) am 22. März in Berlin. ARD-Vorsitzender Kai Gniffke signalisierte Gesprächsbereitschaft.
mehr »