Strenges Korsett – ein echtes Duell konnte sich allenfalls in Spurenelementen entwickeln
«Auch Herr Stoiber könne „zur Not und bedingt fernsehtauglich“ sein »
«„Die Sender tun so, als hätten sie die Exklusivrechte an einem Boxkampf erworben und nicht an einem Beitrag zur politischen Meinungsbildung.“»
«Die Sender tun so, als hätten sie die Exklusivrechte an einem Boxkampf erworben und nicht an einem Beitrag zur politischen Meinungsbildung. »
«Politiker, die nicht willens oder fähig sind, dem vor dem Bildschirm thronenden Souverän das ihm mundende nonverbale Futter zu geben, werden verschwinden »
«Die Wähler begreifen, dass ein Politiker, der Arbeitsplätze verspricht, genauso gut Regen versprechen kann »
Wer an seiner Sache zweifelt, hat schon verloren. „1. TV-Duell – Klare Sache: Gerhard Schröder“. So der Titel des Flugblatts, das Berliner Jusos schon am Morgen nach dem ersten Show down zwischen dem Kanzler und seinem Herausforderer unter das Volk brachten. Die Umfragen der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute hatten dagegen durchaus ein widersprüchliches Bild des Ausgangs der Debatte am 25. August ermittelt.
Die Forschungsgruppe Wahlen etwa – Auftraggeber: das ZDF – sah Unionskandidat Edmund Stoiber nach Punkten knapp vorn. Gleiches galt, wen wundert’s, für das Allensbacher Meinungsforschungsinstitut. Eine SAT.1-Blitzumfrage förderte dagegen günstigere Werte für Kanzler Gerhard Schröder zutage. Dem SPD-nahen Forsa-Institut zufolge hatten wiederum beide große Parteien in der Wählergunst zulegen können. Ausgang des von Sendern und Parteistrategen zum Medienereignis hochgejazzten ersten Fernsehduells zweier Kanzlerkandidaten, frei nach Brecht: Der Studiovorhang zu und alle Fragen offen.
Dabei bestätigt der felsenfeste Glaube des Juso an die Überlegenheit des eigenen Kandidaten vor allem eins. Wahlkämpfe sind nicht in erster Linie Instrumente zur rationalen Meinungsbildung in der politischen Arena. Sie sind, wie die beiden SWR-Autoren Thomas Leif und Oliver Merz in ihrer ARD-Dokumentation „Die Wahlkampf-Macher“ treffend analysieren, „Erweckungs-Exerzitien für die eigene Basis“. Es geht hauptsächlich darum, Stammwähler und mögliche Wechselwähler zu mobilisieren. Schröder hatte durch seine Bereitschaft, sich dem Clinch mit Stoiber in gleich zwei TV-Debatten zu stellen, die Initialzündung für hektische Verhandlungen zwischen Wahlkampfmanagern und TV-Sendern über die Modalitäten dieser Debatten gegeben. Kritischen Beobachtern schwante von Beginn an, dass Perfektionismusgehabe, Sicherheitsdenken und taktisches Parteiengeplänkel diese politischen „Sternstunden“ in formal überfrachtete Sekundenzählerei-Orgien verwandeln könnten. Es gehe um „eine für die Wahlentscheidung der Bürger möglicherweise zentrale TV-Veranstaltung“ und „nicht um eine Personality-Show“, warnte etwa der Leiter des renommierten Adolf-Grimme-Instituts Bernd Gäbler. Politik und Journalismus müssten im Zentrum der Debatten stehen“, forderte er, die Diskussion dürfe nicht durch Festlegung jeder Einzelheit „totchoreographiert“ werden.
Gäblers Warnungen verhallten ungehört. Minutiös vermessene Stehpulte, ein mit den Kandidaten vorher festgelegter Themenkanon, ein Zeitkorsett von 90 Sekunden pro Frage, Moderatoren, deren Zurückhaltung schon fast ans politisch Eunuchenhafte grenzte – unter den Spielregeln der Veranstalter konnte sich ein echtes Duell allenfalls in Spurenelementen entwickeln.
Die Zuschauer sahen einen angespannt und müde wirkenden Schröder, der seinen Widersacher offensichtlich unterschätzt hatte: Der Kanzler gab einen passiven, monoton argumentierenden, staatspräsidial daherkommenden Titelverteidiger, blieb nervös bis zum Schluss, zeigte wenig Lächeln und noch weniger Witz. Stoiber dagegen merkte man das intensive Kommunikationstraining an, dem ihn seine Berater nach dem Frühjahrs-Debakel bei „Christiansen“ unterzogen haben: kaum Stotterer, wenige „Ähms“, präzise getimte Anderthalb-Minuten-Politikeinheiten. Und immer nur Lächeln. Wesentliches Resultat des Abends, spottete Bernd Gäbler, sei die Erkenntnis, dass „auch Herr Stoiber zur Not und bedingt fernsehtauglich“ sein könne. Gäbler gehört einer Kommission an, die analog zur US-amerikanischen „Commission on Presidential Debates“ den deutschen TV-Wahlkampf kritisch begleitet. Mitglieder dieses Gremiums sind neben dem Grimme-Chef der Juryvorsitzende des Deutschen Fernsehpreises Lutz Hachmeister, Claus Leggewie vom Zentrum für Medien und Interaktivität der Uni Gießen, Christine Langfried vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Hamburg und Roland Schatz vom Bonner Institut für Medienanalysen. „Unsere Aktivitäten richten sich nicht gegen die Fernsehsender oder konkurrierenden Parteien, sondern sind kritische Anmerkungen für die Öffentlichkeit, Vorschläge für den Diskurs, Denkanstöße für alle Wähler, die nicht allein Zuschauer bleiben sollen“, heißt es in einer Erklärung der „Kommission zu den Kanzlerduellen“.
Trotz dieser beschwichtigenden Positionsbeschreibung spart Gäbler nicht mit Kritik an den von Wahlmanagern und Sendern ausgeheckten Spielregeln. „Zu fast jeder Sendung vom Schlage ‚Haus und Garten’ oder ‚Wie schere ich meinen Hund?’ gibt es von den Sendern organisierte Begleitprogramme. Zu den Wahlduellen, die einen wichtigen Beitrag zur politischen Willens- und Meinungsbildung liefern sollen, gibt es nichts.“
Der Vorwurf erscheint nicht ganz berechtigt: Fast alle TV-Sender mit relevanter Informationsschiene nutzten den Hype um das Duell, um im Programmumfeld mit endlosen Expertenrunden die Performance der Kandidaten zu bewerten. Nachvollziehbar ist dagegen die Kritik des Grimme-Leiters am Beharren der Privatsender auf Exklusivität der Veranstaltung. Gäbler: „Die Sender tun so, als hätten sie die Exklusivrechte an einem Boxkampf erworben und nicht an einem Beitrag zur politischen Meinungsbildung.“ DeutschlandRadio-Intendant Ernst Elitz, der die Debatte gern live übertragen hätte, äußerte gleichfalls Unverständnis über die ablehnende Haltung von SAT.1 und RTL: „Kanzler Schröder und sein Herausforderer Stoiber sind schließlich keine Seriendarsteller, die man privat unter Vertrag nimmt.“ Das DeutschlandRadio behalf sich mit einer nachträglichen Analyse des „Kanzlerduells“ durch die erwähnte Kommission.
Nach wie vor kursieren unterschiedliche Auffassungen über Wert und Wirkung der TV-Debatten. Handelt es sich um reines Schaulaufen der Kandidaten ohne politischen Tiefgang? Oder können sie am Ende durch überzeugend präsentierte Inhalte doch zur Wahlentscheidung beitragen? Dick Morris, ehemaliger Wahlkampfmanager von Bill Clinton und Prototyp eines sogenannten spin doctors, erteilt den deutschen Politkontrahenten Nachhilfeunterricht. Den Wählern sei klar, dass weder der deutsche Bundeskanzler noch der französische oder der amerikanische Präsident wirklichen Einfluss auf die globalisierte Ökonomie hätten. Diese werde von internationalen Banken, Top-Managern und Behörden bestimmt sowie von Märkten, die niemand kontrolliere. Morris: „Die Wähler begreifen, dass ein Politiker, der Arbeitsplätze verspricht, genauso gut Regen versprechen kann.“ Infolgedessen, so die Empfehlung des US-Wahlstrategen, sollten Schröder und Stoiber versuchen, lieber mit Themen wie Umwelt, Bildung, Gesundheit, Kriminalität und „anderen nicht-ökonomischen Fragen“ zu punkten. Abgesehen davon, dass auch die genannten gesellschafts- und sozialpolitischen Politikfelder ohne eine Steuerung des Marktes kaum kontrollierbar erscheinen, verrät Morris’ These einen erstaunlichen Glauben an die Rationalität von Wahlentscheidungen der Bürger.
Dabei ist über die Kriterien, nach denen die Bürger sich ihre Urteile bilden, nach wie vor wenig bekannt. Gesichert erscheint immerhin die erdrückende Macht der Bilder. Kritiker des 1. TV-Duells auf RTL /SAT.1 maulten vielfach über das strenge Zeit-Korsett von 90-Sekunden, in dem sich die Spontaneität der Kandidaten nicht so recht habe entfalten können. Dabei dauert der durchschnittliche TV-Auftritt von Politikern in „Tagesschau“ und „Heute“ 8,4 Sekunden, bei den Privaten gar nur fünf Sekunden. Zu kurz für die Zuschauer, um sich eine Meinung zu bilden? Weit gefehlt. Innerhalb von einer Viertelsekunde, so fand der Duisburger Medienpsychologe Siegfried Frey vor drei Jahren in seiner Studie zur Medienwirkung von Politikern heraus, entscheiden die Zuschauer, ob ein Politiker, den sie im TV sehen, ihre Sympathie hat. „Der erste Eindruck entscheidet“, zitiert die Zeitschrift „Psychologie heute“ Frey in ihrer September-Ausgabe: „Wir haben sofort eine innere Einstellung zu einer Person und bewerten so komplexe Eigenschaften wie Kompetenz, Hinterhältigkeit, Toleranz oder Ehrgeiz.“ Eine Erkenntnis, die für Chefredakteure von Printmedien, egal ob überregionale Qualitätspresse oder Boulevard, deprimierend klingen dürfte. „Die nonverbalen Stimuli sind die Urteilsbasis des kleinen Mannes“, erklärt Frey. Statt den ersten Eindruck durch Reflexion über Sachinhalte zu überprüfen, gebe der Bürger nur dem Politiker eine Chance, der durch sein nonverbales Auftreten gute Gefühle bei ihm auslöse.
Ist also alles Bemühen um Austausch von Sachargumenten und Programmatisches umsonst? Wohl kaum, denn sonst wäre der argumentative Wahlkampf längst einer hemmungslosen Emotionalisierung und Personalisierung gewichen. Sonst wäre zudem das Auseinanderfallen von Sympathiewerten für Partei und Kandidaten kaum nachvollziehbar. Aber „Politiker, die nicht willens oder fähig sind, dem vor dem Bildschirm thronenden Souverän das ihm mundende nonverbale Futter zu geben, werden verschwinden“, sagt Frey voraus. Insofern hat der Herausforderer Stoiber gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt. Im Vorteil werde künftig ein Typ Politiker sein, der Sympathie, Vertrauen und Glaubwürdigkeit einflöße, findet der Medienberater Richard Schütze. Die Botschaften, die Parteiprogrammatik, auch die Akteure des aktuellen Wahlkampfs seien seit Jahren bekannt. Jetzt komme es zur Unterscheidung auf andere Qualitäten an: Auf Optik, Gestik, Mimik, Haltung, Körpersprache, Redefluss, Blickkontakte, souveränes Auftreten. Aber auch darauf: „Wer erklärt mir die Dinge anschaulich und präzise? Wer ist eigentlich der Mensch hinter der Fassade? Wer hat eine gute Geschichte drauf?“ Das ideale Transportmedium solcher Images aber ist nun mal das Fernsehen. Schröder als Medienkanzler? In Italien hat „Su Emittenza“ Silvio Berlusconi die Dialektik von Medienmacht und politischer Macht schon vor Jahren begriffen. Von solchen Verhältnissen ist Deutschland zum Glück noch weit entfernt.