Privatfunkbeschäftigte definieren medienpolitische Positionen

Vom schwierigen Neuland der Industriegewerkschaft Medien (Teil II)

„Medienpolitik geht uns alle an!“ Mit diesem Slogan war in der IG Medien vor drei Jahren erstmals der Versuch unternommen worden, eine Debatte über einheitliche medienpolitische Grundsatzpositionen unter Einschluß des privatwirtschaftlichen Bereichs in Gang zu setzen.

Vorausgegangen war die Erkenntnis, daß es nicht genügt, nur pro öffentlich-rechtlicher Rundfunk zu argumentieren. Das eindeutige und deshalb einseitige politische Bekenntnis zu nur einem Teil des dualen Rundfunksystems hatte sich nämlich in der Praxis zu einer Mobilisierungsbremse bei den sich stark mit ihren Produkten und Unternehmen identifizierenden Beschäftigten des privaten Rundfunks erwiesen. Es galt trotz oder gerade wegen des Siegeszuges des Enter- und Infotainments Medienpolitik für alle Rundfunkschaffenden zu definieren. Ein schwieriges Unterfangen.

Der erste vorsichtige Versuch einer Positionsfindung fand in Form eines brainstorming in der Finanzzentrale Frankfurt statt. Verhement und einstimmig forderten dort Kolleginnen und Kollegen aus der Privatfunkszene von der IG Medien ein klares Bekenntnis zum dualen System – ohne wenn und aber. Doch bei den einzelnen Themenfeldern der Medienpolitik taten sich auch die Privaten schwer, den Stein der Weisen zu finden. Eindeutig wurde auch in diesem Kreis ein klares Bekenntnis zur Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems und gegen zunehmende Medienkonzentration abgegeben. Nur Anbietervielfalt schaffe auch einen medialen Zusatznutzen für die Gesellschaft und Arbeitsplätze. Giganten wie Bertelsmann und Kirch, die auch noch beim neuen digitalen Fernsehen kooperierten, setzten das Gegenteil in Gang. Sie verfolgten das Prinzip, möglichst billig produzierte Produkte weltweit zu vermarkten. Dies laufe der Zielformulierung nach mehr Meinungsvielfalt, die bei der Gründung des dualen Systems Pate gestanden hätten, diametral entgegen und wirkte sich entwicklungshemmend auf die vielen Klein- und Mittelbetriebe der Branche aus.

Große Probleme hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer allerdings mit der Frage und der Qualitätsdebatte. „Warum“, so fragten sie, „müssen Öffentlich-Rechtliche uns im Programmwettbewerb nachäffen“? Gebühren würden doch für eine umfassend qualitativ hochstehende Grundversorgung entrichtet und nicht für Anpassung. Ein Privatsender müsse sich zwangsläufig mehr am Enter- und Infotainment orientieren, weil der ausschließlich auf Werbeeinnahmen angewiesen sei. Wer dies nicht einsehe, gefährde Arbeitsplätze sowohl bei den öffentlich-rechtlichen wie bei den privaten Sendern. Der Ausdehnung der Werbezeiten nach 20.00 Uhr wurde deshalb eine klare Absage erteilt. Wenig Verständnis machte sich auch über den zunehmenden Spartenwettbewerb breit. „Vernichtet Phönix Arbeitsplätze bei n-tv?“, fragte eine Teilnehmerin.

Die Nennungen zu den einzelnen Fragestellungen machen noch einmal die Breite des Problems, aber auch das nachdenkliche Engagement der Kolleginnen und Kollegen über die Medienpolitik ihrer IG Medien deutlich. Auf die einzelnen Fragen gab es folgende Äußerungen:

„Welche Kritikpunkte von Beschäftigten aus dem privaten Rundfunk gibt es an den medienpolitischen Stellungnahmen der IG Medien?“

  • Vorrang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
  • Schwammiger Spagat
  • Aufmachung: uneinheitlich, kommt nicht in die Betriebe
  • Fehlende Rücksprache, unüberlegte Kritik
  • Keine positiven Stellungnahmen
  • Kritik ohne Rücksicht auf Befindlichkeit der organisierten Mitglieder; realitätsfremd und unflexibel gegenüber Angestellten in den privaten Medien
  • Zu spätes Einschalten in medienpolitische Diskussionen
  • IG Medien ist gegen …, aber wofür …?
  • Es fehlen einheitliche Positionen die öffentlich-rechtliche und private Rundfunkpositionen gleichberechtigt miteinander verbinden.

Welche medienpolitische Ziele und Positionen ergeben sich zu den einzelnen Themenfeldern der Medienpolitik?

Maßnahmen gegen vertikale und horizontale Medienkonzentration

  • Publizitätspflicht (international und national)
  • Verpflichtung zu unabhängigen Fensterprogrammen
  • Wirksames Instrumentarium der KEK
  • Gesellschaftliche Aufklärung über Medienmißbrauch
  • Gesellschaftliche Kontrolle, innere Rundfunkfreiheit

Programm und Qualität

  • Eigenproduktionsquote
  • Berufliche Qualifizierung der Beschäftigten
  • Technische Qualität
  • Profil statt Format
  • Aufgabenabgrenzung Öffentlich-Rechtliche/Private

Werbung

  • Stufenweise Realisierung eines werbe- und sponsoringfreien öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei gleichzeitiger ausreichender Finanzierungsgarantie (Bestand und Entwicklung) über Gebühren und innere programmorientierte Reform
  • Wettbewerb öffentlich-rechtlicher/privater Rundfunk soll über Programm und nicht über Werbeeinnahmen erfolgen

Exklusivverwertungsrechte

  • Ereignisse von herausragendem gesellschaftlichen Interesse dürfen nicht exklusiv im Pay-TV vermarktet werden. Sie müssen allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen
  • Freier Zugang für Programmanbieter hinsichtlich der Verbreitungswege

Freie nichtkommerzielle Bürgerradios

  • Unterstützung als dritte partizipative Säule der Medienlandschaft ResümeeWie soll die Diskussion weitergeführt werden und in welchem Rahmen? Welche Aktivitäten soll die IG Medien in diesem Zusammenhang verfolgen?

Wie soll die Diskussion weitergeführt werden und in welchem Rahmen? Welche Aktivitäten soll die IG Medien in diesem Zusammenhang verfolgen?

  • Öffentlichkeitsarbeit im privaten Rundfunk verstärken
  • Personelle Trennung der Betreuung der Bereiche öffentlich-rechtlicher Rundfunk sowie privater Rundfunk/Film in der IG Medien
  • Aktive aus dem privaten Rundfunk sollen verstärkt Anstöße für medienpolitisches Eingreifen der IG Medien geben
  • Verstärkte Präsenz der IG Medien in Ausbildungsstätten und Universitäten
  • Verstärkte Präsenz in Betrieben
  • Informationsfluß verbessern, spotline-Idee* weiterentwickeln
  • Diskussion in den Gremien der Fachgruppe weiterführen
  • Anträge zur nächsten Bundesfachgruppenkonferenz
  • Nutzung der Gremien-Sitzungen und Jour-fix-Treffen für medienpolitische StatementsWarum löst das medienpolitische Engagement der IG Medien im Rundfunkbereich andere Reaktionen bei den Beschäftigten als beispielsweise im Printjournalismus aus, wo die IG Medien seit vielen Jahren trotz ideologischer Vorbehalte gegen einzelne Presserzeugnisse dennoch erfolgreich Mitglieder organisieren und, wie der Streik um den Volontärstarifvertrag für Tageszeitungen und Zeitschriften 1990 und die Warnstreiks im November 1997 zeigten, auch mobilisieren konnte? Die Antwort ist nicht einfach. Klar ist, die Beschäftigten des privaten Rundfunks identifizieren sich nicht nur stark mit ihren Produkten, sondern auch mit ihren Unternehmen. Es wäre zu einfach, sie als Opfer der teilweise ausgeklügelten Corporate-identity-Strategien abzustempeln. Es handelt sich vielmehr um ein neues Bewußtsein zum beruflichen Engagement, das in der Aufbauphase des privaten Rundfunks in Deutschland pragmatisch und eben nicht ideologisch gewachsen ist.Medienpolitisch werden nicht nur die Widersprüche zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten, sondern der bereits ins Haus stehende Wettbewerb zwischen Free-TV und Pay-TV zu berücksichtigen sein, in dessen Schatten möglicherweise die ersten Arbeitsplätze innerhalb der privatwirtschaftlichen Branche zur Disposition stehen werden. Der Verdrängungswettbewerb ist eingeläutet. Hier gilt es für die IG Medien, einen wirksamen sozialen Schutz für die Betroffenen zu organisieren. Was hindert die IG Medien eigentlich dran, eine neue wirksame Interessenvertretung aufzubauen, sich an den Interessen der streßgewohnten Privatfunker zu orientieren und gleichzeitig einen konstruktiven medienpolitischen Diskurs anzuzetteln.

    Aufgaben gibt es genug: Arbeitszeitflexibilisierung, Technikgestaltung,  Unternehmensaufspaltungen, Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sind auch die Themen der Beschäftigten dieser Branche. Auf dem medienpolitischen brainstorming wurden von den Betroffenen Forderungen in diese Richtung gestellt. Ganz (medien-) unpolitisch reklamierten die TeilnehmerInnen, ihre IG Medien müsse sich stärker um die „Privaten“ kümmern, müsse die Bedeutung des privatwirtschaftlichen Arbeitsmarktes erkennen und der privaten Klientel neue zielgruppengerechte Organisationsstrukturen anbieten. Verlangt wird schließlich ein geschlossenes gewerkschaftliches medien-, tarif- und betriebspolitisches Handlungskonzept für den privaten Rundfunk.

    (Fortsetzung folgt)


     

    * „Spotline“ = Infodienst der Fachgruppe für die Beschäftigten im privaten Rundfunk und in der Filmwirtschaft.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »

Medien machen in unruhigen Zeiten

Die diesjährige #krassmedial-Sommerakademie von ver.di widmet sich der Frage, wie Medien der gesellschaftlichen Polarisierung entgegenwirken können. Das Fortbildungsangebot für Journalist*innen findet am 6. und 7. Juli 2024 in der ver.di-Bildungsstätte Clara Sahlberg am Berliner Wannsee statt. In Workshops und auf Panels stehen 14 Referent*innen an den zwei Tagen zum Fachaustausch, Kompetenzerweiterung und Diskussionen bereit.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »