Bloß keine Aufwertung des Lokalen
Von Gitta Düperthal | Angesichts der Zeitungskrise erheben renommierte Medienforscher wie Horst Röper die Stimme: Lokaljournalismus sei sicherstes und krisenfestes Metier der Zeitungen. Je näher dran am Geschehen, desto brennender das Interesse daran, lautet das Credo.
Kein Geheimnis ist auch, dass Vermarktungsstrategien bei diesen Überlegungen eine Rolle spielen. Mittelständler in der Region seien so zu bewegen, Anzeigen zu schalten. Nun ist gegen einen kritischen Lokaljournalismus eigentlich nichts einzuwenden.
Doch, mal ehrlich, ist dieser nicht zunehmend zum provinziellen Verlautbarungsjournalismus heruntergekommen? Was im Interesse der Öffentlichkeit wäre, ist im Lokalteil seriöser Blätter nicht zu finden: Zum Beispiel eine Berichterstattung über Dumpinglöhne und das Heuern und Feuern in Leiharbeitsfirmen. Auch eine kritische Betrachtung der Kommunalpolitiker findet nicht statt, sondern vielmehr eine milde Begleitung – wenn diese sich immer weniger für die Lebenswirklichkeit der Bürger interessieren, sondern hauptsächlich für Publizität in eigener Sache. Obrigkeitshörige Porträts sind en Vogue, Schrebergartenseligkeit und Vereinswesen haben Hochkonjunktur.
Und Hartz IV? Welcher Journalist rechnet, was Langzeitarbeitslose künftig an Unterhalt bekommen, wenn eine „Bedarfsgemeinschaft“ mit Mitbewohnern nachgewiesen wird? Erzählt Sue bei einem Frauendiskussionsabend über ihren Alltag als Arbeitslose in New York, ist dies schon gar kein Thema. Es wird gefremdelt: Die ist nicht von hier. Debatten über Globalisierung fallen sowieso unter den Tisch, selbst wenn Gruppen im Stadtteil sich dieses Sujets nach dem Motto „Think global, act local“ annehmen. Zu weit weg. Fasching ist jedoch schon im Sommer groß im Kommen. Und statt die immer stärker klaffenden sozialen Unterschiede zu dokumentieren, gibt es den „Gute Laune“-Journalismus der Straßenfeste.
Denn – und das wird von Lokalredakteuren mittlerweile offen ausgesprochen: Sozialreportagen sind nicht gefragt. Der arbeitslose, an Demenz erkrankte Behinderte mit Migrationshintergrund ist nicht die Leserschicht, die wir ansprechen wollen, heißt es. So kommt es, dass eine gutbürgerliche Schicht in der Illusion bestätigt wird, ihre Normalität entspräche noch dem allgemeinen Lebensgefühl und der entsprechenden wirtschaftlichen Realität. Es ist das Starren des Kaninchens auf die Schlange. Jedes noch so kleine Almosen von Unternehmen an Sozial- oder Kunstprojekte wird indes inzwischen hemmungslos und anbiedernd als kostenlose Werbung ins Blickfeld gerückt. Bloß keine Aufwertung für solch verkommenen Lokaljournalismus!
Gitta Düperthal, freie Journalistin in Frankfurt am Main und medienpolitische Sprecherin im ver.di-Fachbereich 8 für Hessen
Eine andere Chance gibt es nicht
Von Renate Angstmann-Koch | Kein Zweifel: Der Lokalteil ist das einzige Pfund, mit dem kleine und mittlere Zeitungen wuchern können, um gegen die überregionale Konkurrenz, gegen schnelle Medien wie Radio und Fernsehen oder ein schnelles und flüchtiges, aber auch dokumentationsstarkes wie das Internet zu bestehen. Auf dem flachen Land und in Klein- und Mittelstädten sind die Zeitungsverlage meist ohne elektronische (leider meist auch ohne gedruckte) Konkurrenz. Hier liegt ihre Stärke, hier haben sie häufig das lokale Online-Angebot selbst in der Hand und können ihren Lesern doppelten Service bieten. Denn am Service kommt bei aller Liebe zum Qualitätsjournalismus keine Zeitung vorbei – gerade weil immer mehr Abonnenten mit jedem Cent rechnen müssen.
Doch im Idealfall bieten die Zeitungen nach wie vor viel darüber hinaus. Allerdings nur im Idealfall, denn die Kündigungswelle in den Verlagen hat auch die Regionalressorts empfindlich geschwächt. Viele Lokalteile werden billig und damit schlecht gemacht. Doch das spricht ja nicht gegen den Lokaljournalismus an sich. In vielen Städten gibt es noch kritische, aufgeschlossene, mutige und meinungsstarke Redaktionen. Und in vielen Städten treffen sie auf ein vielfältig interessiertes und engagiertes Publikum, das nicht nur Artikel über den Auftritt des Musikvereins oder das Kindergartenfest goutiert, sondern von seiner Zeitung auch kommunalpolitische Hintergrundberichte oder Sozialreportagen erwartet. Das Hauptproblem der Lokalzeitungen ist, dass dieses Publikum immer kleiner wird. Der stetige Abonnenten-Rückgang ist für die Verlage und damit für guten Journlismus weit bedrohlicher als ausbleibende Anzeigen. Nur wenige junge Zeitungsleser wachsen nach und ein immer größerer Teil der Bevölkerung spricht Deutsch nicht als Muttersprache.
Guter Journalismus braucht bekanntlich Verleger, die ihre Redaktionen vor dem Druck mächtiger Interessengruppen schützen – und wissen, dass Qualität nicht zum Dumpingpreis und schon gar nicht zum Nulltarif zu haben ist. Denn auch das ist eine Besonderheit des Lokalen: Nirgendwo sonst als in ihrem unmittelbaren Umfeld kommen die Leser einer unwahren oder tendenziösen Berichterstattung so schnell auf die Schliche. Nirgendwo sonst sind Fehler, das Weglassen wichtiger Themen oder Liebedienerei so leicht erkennbar. Auf diese Weise schädigt schlechte Recherche im Lokalen die Glaubwürdigkeit der ganzen Zeitung. So ist eine Ausweitung der Lokalberichterstattung zwar sinnvoll – aber wenn die Verlage die finanzielle Grundlage für Qualität nicht bieten wollen, sollten sie besser die Finger davon lassen.
Renate Angstmann-Koch, Mitglied der Tarifkommission und Lokalredakteurin beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen