Claudia Mikat, Leiterin der Programmprüfung bei der FSF, zieht ein Resümee
In welcher Situation traf sich vor 20 Jahren – nach der Gründung der Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) – der erste Prüfungsausschuss?
CLAUDIA MIKAT | Wir erhielten von RTL einen Karton mit vielen Videokassetten von Serienstaffeln: Miami Vice, The Swamp Thing, Starsky & Hutch, etc. Keiner wusste so richtig, wann soll das geprüft werden, wie ist das FSK-System (FSK = Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) mit den Altersfreigaben auf das Sendezeitsystem im Fernsehen übertragbar? Wir hatten noch keine ausgearbeitete Prüfordnung, das hat sich erst später ergeben.
Zu den Prüfgegenständen gehörte auch ein neues Genre, die Reality-Serie „Auf Leben und Tod”…
Ja, das war die erste Produktion, die mit Schnittauflagen versehen wurde. Da ging es um eine als spekulativ empfundene Szene: ein Polizist, der sich dazwischen wirft, als ein Psychopath ein Baby gegen die Wand schleudern will. Das ist heute eine sehr lächerlich wirkende Szene. Heute ist unser Blick anders geschult, was das Inszenierte anbelangt. Und man sieht sehr deutlich, dass das Ganze gestellt und ein wenig pseudodramatisiert ist. Aber damals reichte die Überinszenierung als Grund für eine Schnittauflage. Heute sind wir mehr gehalten, zu begründen, wie problematisch die Wirkung auf Kinder und Jugendliche ist.
Wie empfanden Sie die damalige Prüfungspraxis? Spielten auch individuelle Geschmacksurteile eine Rolle?
Sicher, wenn ich zum Beispiel an die ersten Sex-Filmchen denke, die ja damals noch auf Sat.1 im Nachtprogramm liefen. Auch heute juckt es einem manchmal in den Fingern, wenn der persönliche Geschmack und das, was man gucken muss, sehr weit auseinanderklaffen – da möchte man dann gern ironisch drüber schreiben oder sich abgrenzen. Natürlich sind wir gehalten sachlich zu bleiben und am Gegenstand zu argumentieren.
Wann war das erste Ausstrahlungsverbot fällig?
Das erste Verbot traf 1994 den Film „Der Panther II” mit Alain Delon. Dieser Krimi ist witzigerweise erst vor kurzem wieder vom Index genommen und erneut der FSK vorgelegt worden. Er hat jetzt die FSK-Freigabe ab 16 bekommen. Es geht da um eine rassistische Gruppe, die in Frankreich Selbstjustiz verübt gegen Homosexuelle und andere Minderheiten. Damals war man sehr sensibel und hat auch bei der FSF dieses Urteil bestätigt: schwer jugendgefährdend, weil eine Fehlidentifikation mit den Tätern möglich war. Jetzt urteilt die FSK: Nein, die Figuren sind klar als Verbrecher gezeichnet, also gab es eine andere Bewertung.
Wie sieht die Resonanz der Medien auf Ihre Arbeit aus?
Die war anfangs sehr skeptisch. Man macht den Bock zum Gärtner, die Privaten kontrollierten sich selbst, so lautete anfangs der Tenor der Berichterstattung. Das kam natürlich daher, dass die wenigsten die Konstruktion kannten. Man dachte, es seien Vertreter der Sender in den Ausschüssen, von denen man annahm, sie hätten kein Interesse an einer Kritik an den eigenen Programmen. Häufig wurden Urteile als zu liberal kritisiert in Fällen, wo wir selbst meinten, jugendschutzorientiert zu argumentieren, während das Problematische am jeweiligen Programm kein Jugendschutzproblem war, vielleicht eher ein Geschmacksproblem, ein ästhetisches oder was auch immer. Man muss schon wirkungsorientiert argumentieren. Ein Format wie „Popetown” geriet 2006 in die Kritik, weil Menschen sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten. Während wir zum Urteil gelangten, eine solche Comedy-Serie dürfe nicht verboten werden.
Dann gibt es den Einschnitt 2003. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte das Problem fehlender Rechtssicherheit. Wieso ging es dann aufwärts?
Die FSF konnte anfangs zwar Entscheidungen treffen, die endgültige Entscheidungsbefugnis lag aber weiterhin bei den Landesmedienanstalten. Und die kamen gelegentlich zu einem anderen Ergebnis.
Mit bestimmten Anträgen gingen die Sender seinerzeit lieber zur FSK, weil deren Entscheidungen nicht überstimmt werden konnten. Als Tiefpunkt der FSF-Prüfpraxis gilt das Jahr 2000 – da war die Anzahl der monatlichen Prüfungen im Schnitt auf unter 30 gesunken. Seit der offiziellen Anerkennung als Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Jahr 2003 arbeiten Aufsicht und Selbstkontrolle Hand in Hand. Die Aufsicht guckt: Läuft das System? Und nicht: Ist der einzelne Beitrag richtig oder falsch bewertet? Das hat sich zum Guten gewendet bzw. gebessert.
Viele Kritiker sind der Ansicht, im digitalen Zeitalter sei die hierzulande minutiöse Regulierung des Privat-TV anachronistisch. Das viel größere Gefährdungspotenzial habe sich längst ins Internet verlagert. Bekommen Sie da als Prüferin nicht gelegentlich eine Identitätskrise?
Es gibt nicht wenige, die eine Umorientierung im Jugendschutz fordern, hin zur Verbraucherinformation und zur Medienerziehung. Also einfach jemanden an der Kinokasse raus winken – das funktioniert in der digitalen Ära nicht mehr. Es ist auch wenig überzeugend, einerseits eine ein Jahr alte „Joko und Klaas”- Sendung zu beanstanden, andererseits auf die aktuellen Herausforderungen wie Internet und Konvergenz keine Antwort zu wissen.
Das Gespräch führte Günter Herkel