Die Krise der ARD und die Debatte um Product Placement
Die ARD steht vor einem Scherbenhaufen. Hätten die Intendanten geahnt, was noch auf sie zukommt, sie hätten ihre Idee von der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht vermutlich gar nicht erst öffentlich geäußert. So aber legen die üblichen schlichten Schlagzeilen nahe, der Senderverbund könne den Hals nicht voll kriegen.
Tatsächlich ist der Ruf ziemlich ramponiert: Über Jahre hinweg hat die ARD-Tochter Bavaria Film vor allem in der Serie „Marienhof“ organisierte illegale Schleichwerbung betrieben. Die läppische Summe, die auf diese Weise eingenommen wurde – es soll sich um 1,5 Millionen Euro handeln – steht in keinem Vergleich zu dem jetzt zu beklagenden Image-Schaden. Dass kurz drauf auch noch die Sportchefs des Hessischen Rundfunks (Jürgen Emig) und des Mitteldeutschen Rundfunks (Wilfried Mohren) der Korruption überführt werden konnten, war ein weiterer Tiefschlag. Mancherorts stellt man sich die bange Frage, ob „Marienhof“ und diverse „Tatort“-Krimis einerseits sowie Emig und Mohren andererseits schon der ganze Eisberg waren; oder womöglich nur die Spitzen.
Dabei könnte sich zumindest die Aufregung um „Marienhof“ bald schon wieder legen: Angesichts einer Praxis, die längst nicht nur in Deutschland gang und gebe ist, werden Forderungen laut, das so genannte Product Placement zu legalisieren. Bereits jetzt ist es beispielsweise in der Filmwirtschaft üblich, Sponsoren, deren Produkte in die Handlung integriert sind, im Abspann dankend zu erwähnen. Gleiches zieht die EU-Kommission auch für das Fernsehen in Erwägung. Das allerdings hieße Abschied nehmen von einem Grundsatz, der für den Journalismus oberstes Gebot ist: die strikte Trennung von redaktionellem Teil und Reklame. Die für Medien zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding hat bereits laut darüber nachgedacht, dieses Prinzip aufzuweichen. Hintergrund sind die zunehmenden Probleme der privatrechtlichen Fernsehsender, ihre Programme durch Werbespots zu finanzieren. Man muss übrigens gar nicht erst die USA bemühen, wo „Advertiser Funded Programming“, das nicht nur indirekt, sondern ganz durch Werbekunden finanzierte Programm, völlig üblich ist: Auch in Österreich sind Produktplatzierungen in Fernsehfilmen und Serien erlaubt.
Wie so oft in der Vergangenheit erwägt ein Gesetzgeber also, gegenüber der normativen Kraft des Faktischen zu resignieren. Auch in der deutschen Medienlandschaft sind die Rundfunkgesetze immer wieder den Gegebenheiten angepasst worden: Erst haben Medienmogule wie Leo Kirch Realitäten geschaffen, dann wurden die Gesetze entsprechend geändert. Natürlich leiden die Privatsender immer noch unter den Nachwirkungen der Medienkrise; andererseits hält sich das Mitleid angesichts eines kommerziellen Gesamtprogramms, das immer unverhohlener auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eines möglichst großen Publikums schielt, in Grenzen. Außerdem ist eine Marktbereinigung in der unnatürlich aufgeblähten hiesigen Fernsehlandschaft schon seit Jahren überfällig.
Für klare Verhältnisse
Gleiches ließe sich freilich, wird mancher einwenden, auch über das öffentlich-rechtliche System sagen. Immer noch schwebt das Damokles-Schwert jenes Ministerpräsidentenpapiers über ARD und ZDF, demzufolge sowohl das Hörfunk- wie auch das Fernsehangebot deutlich eingeschränkt werden sollen. Und noch eine Forderung kommt nun wieder auf den Tisch: Eine ausschließliche Gebührenfinanzierung wäre zwar keine Garantie gegen zukünftige Skandale, würde aber für klare Verhältnisse sorgen. Gegner dieses Vorschlags verweisen darauf, dass das ohnehin bloß vermeintlich unabhängige öffentlich-rechtliche System damit auf Gedeih und Verderb der Willkür der Politik ausgeliefert sei. Andererseits würde das Modell der automatischen Gebührenanpassung an die allgemeine Kostensteigerung (wie von der ARD vorgeschlagen) wiederum für Unabhängigkeit sorgen. Expansionen von ARD und ZDF wären nach diesem Modell allerdings nicht mehr möglich; der Status quo wäre festgeschrieben.
Natürlich würde das Verdikt der völligen Werbefreiheit auch jede Form von Produktplatzierung, ganz gleich, wie legal sie dann wäre, ausschließen. Schluss wäre zudem nicht nur mit den unerträglichen Gewinnspielen im Rahmen von Fußballübertragungen, die ohnehin eine Beleidigung der Intelligenz darstellen, sondern auch mit dem längst grassierenden Sponsoring („diese Sendung wird präsentiert von…“).
Selbstredend würden ARD und ZDF diesem Szenario nur bei entsprechendem Gebührenausgleich zustimmen. Allerdings wäre die Abwesenheit jeglicher Reklame wohl nur wenigen Gebührenzahlern einen zusätzlichen Euro wert; Kulturpessimisten haben die Hoffnung auf richtig gutes Fernsehen ohnehin längst aufgegeben.