Selbstverpflichtung?

Kontroverse über den Umfang von Nachrichten im Privatfunk

„www.fern-sehen.com. Die Aufgaben des Rundfunks im Wandel der Öffentlichkeit“ – Wie viel soll die Gesellschaft sich die Qualität ihrer Programme kosten lassen? – unter dieser Fragestellung diskutierten am 10. März in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin Medienmacher, Wissenschaftler und Politiker.

Wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten soll auch der Privatfunk hierzulande eine öffentliche Aufgabe erfüllen. Angesichts der Wirtschafts- und Werbekrise fällt es aber gerade den Privatsendern zunehmend schwer, Qualitätsprogramme auf dem Markt zu refinanzieren. Aktuelles Beispiel dafür ist die Debatte um N24, den Info-Kanal der ProSiebenSat.1-Gruppe. Der Sender soll entweder verkauft oder neu formatiert werden, was im Zweifel auf eine weitere Verringerung der Nachrichtenanteile hinauslaufen dürfte.

Schwindende Vermittlungsfunktion

„Der zeitliche Umfang von Nachrichten im privaten Fernsehen hat sich reduziert, sukzessiv, aber im Ergebnis über die Jahre zum Teil dramatisch“, zeichnete Thomas Langheinrich, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) ein düsteres Bild der Programmentwicklung im Privat-TV. Dazu komme die Tendenz, Nachrichten und Informationen auf wenig attraktive Sendeplätze zu schieben sowie „eine zunehmende Entpolitisierung der Nachrichten, die durch die Poolbildung der beiden großen Senderfamilien ProSiebenSat.1 und RTL noch prägnanter hervortrete“.
Für Viktor Mayer-Schönberger, Politikwissenschaftler an der National University of Singapore belegen solchen Entwicklungen exemplarisch den „fortschreitenden Verlust einer kritischen Öffentlichkeit beim Übergang von den klassischen Medien zum Internet“. Er äußerte Zweifel an der Fähigkeit des Netzes, diese gefährdete bürgerliche Öffentlichkeit neu zu konstituieren. Auch unter der Vielzahl der Blogger finde eine Konzentration der Meinungsbildung statt. Zudem veränderten sich diese neuen Informationsmittler ebenso rasch wie die konkreten Präferenzen ihres Publikums. „Wer als Blogger die Zeichen der Zeit missdeutet, verliert seine Leserschaft schneller als jeder schlechte Kabelkanal seine Zuschauer.“ Auch die von manchen beschworene „Weisheit der Vielen“, die unter Stichworten wie „Wikipedia“ oder Crowdsourcing diskutiert werde, könne die schwindende Vermittlungsfunktion der traditionellen Medien nicht ausgleichen. Einer staatlichen Regulierung, so Mayer-Schönberger, sei das Wirken dieser neuen Medienakteure ohnehin entzogen. Sein skeptischer Schluss: „Education is the new regulation.“
Über solche Appelle an die Adresse der Medienpädagogen kann ein hart gesottener Medienmanager wie Thomas Ebeling nur lächeln. Der Vorstandsvorsitzende der ProSiebenSat.1 Media AG, bestritt, dass es in den letzten Jahren in den Programmen seiner Senderfamilie eine Verringerung der News-Anteile gegeben habe. Der Nachrichtenumfang sei stabil geblieben, die Beiträge zur „Wissenspublizistik“ – gemeint sind populäre Magazine wie „Galileo“ – hätten sich sogar verfünffacht. Indiz dafür, dass die Sendergruppe sich „ihrer Verantwortung nicht entziehen“ wolle. Ansonsten halte er die „Diktatur der intellektuellen Elite bei der Qualitätsdebatte“ für „unerträglich“. Zur Frage eines möglichen Verkaufs oder einer Neuausrichtung von N24 bemerkte er, letztlich gehe es darum, wie viel Verlust ProSiebenSat.1 als Sendergruppe für ein Programm mit einem Prozent Marktanteil akzeptieren müsse. „Selbst wenn wir restrukturieren, werden Nachrichten für uns ein Zuschussgeschäft bleiben.“
Das lässt für die Zukunft von N24 wenig Gutes erwarten. Eine Selbstverpflichtung der Privaten zu mehr Nachrichten im Programm, wie sie die Landesmedienanstalten unlängst in einem Positionspapier angeregt hatten, wies Annette Kümmel, Direktorin Medienpolitik der ProSiebenSat.1 Media AG, vorsorglich zurück. Erst recht würde eine staatliche Regulierung dem aktuell geltenden Rundfunkrecht widersprechen. Die Staatsfreiheit des Rundfunks gebe es „nicht her, sowohl den Umfang als auch die Platzierung als auch die Art und Weise der Qualität einzelner Programminhalte zu gestalten“, sagte Kümmel. Denn Nachrichten kämen als vorgeschriebenes Programmformat im Rundfunkstaatsvertrag gar nicht vor. Der Gesetzgeber rede vielmehr allgemein von Information. Die aber sei definiert als Nachrichten, Zeitgeschehen und politische Information. Lauter Dinge, die in den Programmen der Privaten durchaus vorhanden seien.
Etwas konzilianter gab sich Tobias Schmid, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL-Deutschland. Er schlug ein abgestuftes System von Anreizen vor, nach dem bestimmte kostspielige Inhalte gefördert werden könnten – etwa die Flexibilisierung restriktiver Werberegeln oder eine günstige Platzierung einzelner Programme auf Elektronischen Programmführern bis hin zu konkreten Finanzhilfen. „Wir müssen neue Realitäten abbilden, was nicht bedeutet, dass bestimmte Inhalteanbieter besser gestellt werden“, sagte Schmid. Es bedeute lediglich, „dass die Inhalteanbieter, die sich bestimmten Inhalten stellen, nicht schlechter dastehen, nicht die Dummen sind“.

Mehr Qualität wagen

Eine Position, die durchaus den Beifall der Landesmedienanstalten findet. DLM-Vorsitzender Langheinrich erinnerte daran, dass es schon früher an bestimmte Bedingungen geknüpfte Regeln für die Vergabe terrestrischer Frequenzen oder Kabelplätze gegeben habe. „Public Value“ werde sich lohnen, versprach er. „Wir wollen, dass die Sender wieder mehr Qualität wagen.“
Im Gedächtnis haften blieb dagegen der Klartext von Thomas Ebeling. Alles, was er an allgemeinen Informationen benötige, hole er sich bei ARD und ZDF. Auch wenn er mehr Geld zur Verfügung hätte, so der ProSiebenSat.1-Vorstandschef, würde er es nicht für mehr Nachrichten ausgeben. Dies sei schließlich vorrangig Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Anstalten.

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