Ein Fernsehpreis für Widersteher gegen den breiten Konsens wäre gefordert
Der Dokumentarfilm ist groß im Kommen. Diesen Schluss legt jedenfalls die Verleihung des 36. Grimme-Preises nahe, der wegen seiner demokratischen und transparenten Auswahlkriterien als der bedeutendste Fernsehpreis der Republik gilt. Im Bereich „Information und Kultur“ gab es dieses Mal gleich soviel Preiswürdiges auszuzeichnen, dass wir einen Preis mehr als gewöhnlich vergeben haben“, freut sich der verantwortliche Referent des Marler Grimme-Instituts, Uli Spies. Eine mutige Entscheidung – haben sich doch die Programmmacher entschlossen, gesellschaftspolitisch relevante und kritische Dokumentarfilme in Programm-Nischen nach 23.00 Uhr verschwinden zu lassen, so dass vom Fernsehzuschauer nicht nachzuvollziehen ist, was bei den Juroren Begeisterung auslöst.
Der Dokumentarfilm ist groß im Kommen. Diesen Schluss legt jedenfalls die Verleihung des 36. Grimme-Preises nahe, der wegen seiner demokratischen und transparenten Auswahlkriterien als der bedeutendste Fernsehpreis der Republik gilt. Im Bereich „Information und Kultur“ gab es dieses Mal gleich soviel Preiswürdiges auszuzeichnen, dass wir einen Preis mehr als gewöhnlich vergeben haben“, freut sich der verantwortliche Referent des Marler Grimme-Instituts, Uli Spies. Eine mutige Entscheidung – haben sich doch die Programmmacher entschlossen, gesellschaftspolitisch relevante und kritische Dokumentarfilme in Programm-Nischen nach 23.00 Uhr verschwinden zu lassen, so dass vom Fernsehzuschauer nicht nachzuvollziehen ist, was bei den Juroren Begeisterung auslöst.
Bei genauerem Hinschauen ist der Jubel jedoch wohl eher durch den Mangel bestimmt. Eine Ochsentour sei es gewesen, sich durch die Filme im Unterhaltungsbereich zu quälen, so der Fernsehkritiker und Jury-Präsident „Fiktion und Unterhaltung“ Manfred Riepe entnervt. Ein Zeichen habe man setzen wollen, indem man einen Film weniger prämierte, der dann von der Jury „Information und Kultur“ übernommen wurde. Selbst die wenigen Highlights seien von den Kritikern, Medienwissenschaftlern und Publizisten nicht einhellig als innovatives und besonderes Fernseherlebnis eingestuft worden. Weit vom Gold entfernt, stöhnt Riepe. Katzenjammer bei Grimme nach einem verkaterten Fernsehjahr?
Nun aber zur eigentlich drängenden Frage: Was ist am Dokumentarfilm neuerlich so spannend? Oder war die Jury einfach besser aufgelegt? Gold gab es auch hier nicht. Vorausgeschickt: Guido Knopps konventionelle und Obrigkeitskeits-faszinierte Geschichtschroniken (ZDF) mochte erst gar keiner nominieren. Von den filmischen Kurz-Essays in Kulturzeit (3sat) „100 Wörter des Jahrhunderts“ nahm man im Vorfeld Abstand, weil die „wichtigsten“ Wörter, die da bebildert wurden, durch eine siebenköpfige – mit einer Ausnahme – maskulin besetzte Jury ausgewählt waren. Wörter wie „Frauenbewegung“ schien diese gar nicht zu kennen, unter Emanzipation wurde die des Bürgertums verstanden, ansonsten wurden „Bikini“ und „Reißverschluss“ als die wirklich die Republik erschütternden Phänomene angesehen.
Ob allerdings die von der Jury mit einem Preis gewürdigte dokumentarische Serie „Abnehmen in Essen“, eine Soap über fröhliches Diäten einer Frauenclique, neueste frauenpolitische Trends aufspürt, darf bezweifelt werden. Und nichts gegen Gerhard Delling und Günter Netzer, die im Wettbewerb „Spezial“ für ihre Präsentation der Fußball-Länderspiele (NDR) ausgezeichnet wurden – aber als besonders wagemutig sind solche Preisverleihungen nicht zu bezeichnen. Drängende gesellschaftliche Probleme werden hier nicht thematisiert.
Schade eigentlich, weil dies der vielbeschworenen Grimme-Tradition, sich „an der politisch-kulturellen sowie gesellschaftlichen Verantwortung der Medien“ orientieren zu wollen, nicht entspricht, wenn es nach Seife riecht. Schade auch deshalb, weil Filme, die sich an solchen Maßstäben tatsächlich messen lassen, zu kurz kommen: Etwa das nominierte Gesamtwerk der engagierten Reportagen über die Anti-AKW-Bewegung von Roswitha Ziegler, die mit bemerkenswert respektvoller Kamera von den Widerständigen in der Republik erzählt. Oder jener wunderbar phantasievolle Film von Peter Brosens Dorijkhandyn Turmunnkh, der menschliche Armut und Entfremdung in der postsowjetischen Mongolei aus einer ungewöhnlichen Perspektive betrachtet. Hungrige Hundeaugen eines erschossenen Straßenköters, dessen Seele wandert, künden von der Entwicklung poetischer und zärtlicher Menschen zu betriebsamen Stadtneurotikern.
In einer Zeit, in der es nur wenige Fernsehautoren noch wagen, kritische und unbequeme Themen den Fernsehredaktionen überhaupt vorzuschlagen, ist der Grimme-Preis nicht nur als ästhetischer Wertmaßstab sondern auch als sozialpolitisches Korrektiv wichtig. Immerhin wurde mit Mischka Popps und Thomas Bergmanns „Kopfleuchten“ (ZDF), ein Film ausgezeichnet, der behinderte Menschen auf faszinierende Weise ins rechte Licht rückt. Und mit dem Dokumentarfilm des polnischen Regisseurs Dariusz Jablonski „Der Fotograf“ (arte/mdr) ist eine Vergangenheitsbewältigung gewürdigt worden, die von der zynischen Sichtweise eines Nazi-Bürokraten und Schreibtischtäters handelt. Wenn die Jurys, die den altehrwürdigen Grimme-Preis vergeben, nun auch noch auf glitschigem Seifenschaum ausrutschen – das wäre ja auch nicht auszudenken.
Der Preis spiegelt die Realität des Fernsehens wider, bestenfalls beeinflusst er sie sogar. Deshalb ist es nicht sinnvoll, wenn Juroren sich von dem Ist-Zustand des Fernsehens treiben lassen und sich auf den Trend einlassen, dass nun auch der Dokumentarfilm zunehmend auf kleine Lacher und Gags setzt. Dies hat einen unerwünschten Nebeneffekt: Seriöse Dokumentarfilmerinnen und -filmer, die gesellschaftspolitische Debatten fordern und fördern möchten, verschwinden auf diese Weise immer mehr in die Programm-Nischen kurz vor Mitternacht.
Ein Beispiel: Thomas Berndt, Ilka Brecht und Mathis Feldhoff wurden für die Realisierung der Panorama-Sendung „Kosovo – die Medien und der Krieg“ (NDR) nominiert. Ebenso wie Phillip Engels Redaktion für die kontinuierliche, unkonventionelle Berichterstattung über den Krieg im Balkan im Hessenfernsehen, „Dienstag, Das starke Stück der Woche“. In beiden Sendeformaten wurde das Thema – so ganz ohne die Kriegstrommeln für die Nato zu schlagen – erfrischend kritisch beleuchtet. Doch einen Preis gab es am Ende nicht. Ja, müssen sich dann nicht die Programm-Verantwortlichen in den Sendern sagen: Wenn wir auch mit Einschaltquoten-starkem Unterhaltungsfirlefanz Preise holen können – warum sollten wir dann auf gesellschaftskritisches Bildungs- und Informationsfernsehen setzen?
Jahrestag des Kosovo-Krieges – verpasste Gelegenheit
In der Tat widmete sich das Fernsehen am Jahrestag des Kosovo-Kriegs hauptsächlich anderen Dingen – statt kritisch zu reflektieren, was dieser Krieg, der in seinen Anfängen medial gerechtfertigt wurde, in der Krisenregion Kosovo bewirkt hat. Einzig dem ZDF war es eine halbe Stunde wert, zu dokumentieren, dass mit dem militärischen Einsatz der Nato, dem Töten aus der Luft, kein Frieden erreicht wurde. Der Film „Dach überm Kopf“ machte deutlich, wie alleingelassen sich die UN-Verwalter Tom Koenigs und Volmar von Bieberstein fühlen. Klartext: Für den Krieg gab es ein breites Engagement, für den Frieden interessiert sich derzeit offenbar kaum jemand.
Meinung wird mitunter auch durch Auslassung von Berichten gemacht. Es hat eine symbolische Bedeutung, wenn im Gegensatz zu Themen wie „Galtür“ und „Eschede“ der Kosovo-Krieg am Jahrestag so dürftig abgehandelt wird. So bleiben die heroischen Bilder der Generäle und Nato-Sprecher im Kopf, die diese Schlacht aus der Luft, bei der auch unbeteiligte Menschen starben, vor einem Jahr als gerechten Krieg verkauften. Es klingt noch in den Ohren wie Moderatoren sich als Sprachrohr für Nato-Interessen missbrauchen ließen: Die Bundeswehr wurde als der verlängerte Arm von amnesty international umdefiniert, in ARD-Brennpunkten wurde damals ultimativ der „Point of no return“ eingeläutet, für die Nato gebe es kein Zurück mehr. Das Massenmedium berichtete nicht über den Krieg, es mischte mit.
Noch eine Ausnahme gab es zum 1. Jahrestag des Kriegsbeginns: Beim „Phoenix“-Talk „Kosovo-Krieg ein Jahr danach“ diskutierte Martina Sagurna – allerdings mit einer allzu konsensträchtigen Runde. Es klang geradezu, als seien hier Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums versammelt, um diesen Krieg im Nachhinein für sinnvoll zu erklären. Einzig der aus Pristina zugeschaltete Altmeister Peter Scholl-Latour gab zu bedenken, ob sich die politisch Verantwortlichen eigentlich bewusst seien, dass derzeit spätkolonialistische Systeme auf europäischem Boden etabliert würden. Protest kam noch von anderer Seite: Den zugeschalteten Zuschauern war der Ärger über die einseitige Berichterstattung deutlich anzumerken.
Wo aber bleiben die Fernsehpreise für diejenigen Dokumentarfilmer, die es wagten, diesen eisernen Konsens zu durchbrechen?
Jene, die man mühsam wie Stecknadeln in einem Heuhaufen zwischen Volksmusik-Schlagerparaden, amerikanischen Mafia-Serien wie „Die Sopranos“, „Big Brother“ und „Dr. Stefan Frank – der Arzt dem die Frauen vertrauen“ suchen muss: Weil sowohl die privaten als auch öffentlich-rechtlichen Sender – deren expliziter Auftrag es doch eigentlich ist, unabhängig zu informieren – in ihrer Öffent-lichkeitsarbeit am liebsten quotenträchtige Scherzartikel hochjubeln, die auch der Werbeindustrie gefallen könnten. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass im Grimme-Institut eigens ein Preis ausgelobt wird, der speziell jene journalistische Zivilcourage auszeichnet, die den Zeitgeist durchbricht – wider Staatsräson und kommerzielle Zwänge.
- Gitta Düperthal, Jahrgang 1956, lebt in Frankfurt, hat in Berlin Soziologie studiert, arbeitet seit rund 15 Jahren als freie Journalistin, unter anderem als Fernsehkritikerin für die „Frankfurter Rundschau“ und die „Berliner Zeitung“. Sie ist in der Journalisten-Aus- und Fortbildung tätig und hält medien-politische Vorträge (über Themen wie „Der Kosovo-Krieg und die Medien“ oder „Krankenpflege im Fernsehen und in der Realität“).