Stabwechsel im WDR

Intendantin Monika Piel über Digitalisierung und Pogrammanspruch

Fritz Pleitgen geht, Monika Piel kommt: Ab April übernimmt die ehemalige Hörfunkdirektorin der größten Landesrundfunkanstalt den Chefsessel. Der Rundfunkrat hatte die 55-Jährige im November 2006 mit großer Mehrheit als Intendantin gewählt. Schon während ihres Studiums hat Piel im internationalen Frühschoppen erste Erfahrungen gesammelt und hält dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) seit 26 Jahren die Treue. Jetzt muss sie die Digitalisierung vorantreiben.


M |
 Frau Piel, in der 50-jährigen Geschichte des WDR haben Sie als erste Frau die Spitzenposition erobert und sind jetzt neben Dagmar Reim vom RBB die zweite Frau in der ARD-Intendantenrunde. Bringen Sie einen anderen Blickwinkel mit als Ihre männlichen Kollegen?

MONIKA PIEL |
 Ich sehe mich in dieser Position weniger als erste Frau als unter dem Gesichtspunkt der Kompetenz. Aber natürlich kenne ich auch die Statistik. Mir ist durch die Wahl nochmals bewusst geworden, wie wichtig solch positive Signale für die Frauen sind in dem Sinn: Hängt Euch rein. Es ist zu schaffen.

M | Der WDR hat sich Frauenförderung explizit auf die Fahne geschrieben. Ist die Frauenquote für Sie ein Thema?

PIEL |
 Ich suche die Besten – egal ob Mann oder Frau. Mir fallen Frauen aber wahrscheinlich eher auf, als sie Männern auffallen. Es ist ja immer noch so, dass sie meistens weniger Wind um sich machen als ihre männlichen Kollegen und glauben, es würde auch so bemerkt, dass sie gut arbeiten. Da habe ich Frauen wohl besser im Blick, auch wenn sie sich nicht in den Vordergrund drängen. Im WDR sind wir auf einem guten Weg mit einem hohen Frauenanteil auch in Führungspositionen, zum Beispiel im Hörfunk. In WDR 2 und WDR 4 haben wir eine Programmchefin und eine Chefredakteurin. Und mit Verena Kulenkampff als neuer Fernseh­direktorin ist die gesamte Geschäftsleitung des WDR – mich mitgerechnet – genau zur Hälfte mit Frauen besetzt.

M | Worin sehen Sie die größte Herausforderung in Ihrer Amtszeit?

PIEL | In der Digitalisierung, die auch die Inhalte verändern wird. Der technische Fortschritt eröffnet immer neue Vertriebswege. Wir bekommen zunehmend Konkurrenz von Anbietern wie Telekommunikationsunternehmen, die nicht zu den klassischen Medien gehören. Bei unseren starken finanziellen Beschränkungen müssen wir genau abwägen, wie weit wir wo einsteigen wollen, um uns keine Entwick­lungsmöglichkeiten zu verbauen. Dazu kommt die Digitalisierung der Arbeitsplätze. Im Hörfunk ist sie abgeschlossen. Im Fernsehen wird das noch vier, fünf Jahre dauern. Das bringt Veränderungen in den Berufsbildern mit sich, die ich im Auge behalten möchte, aber auch Veränderungen im Angebot.

M | Wie will sich der WDR im Dschungel der Informations- und Unterhaltungskanäle behaupten?

PIEL | Die permanent wachsende Konkurrenz sehe ich nicht nur als Schwierigkeit, sondern auch als Chance: dass wir eine Leuchtturmfunktion haben für das Publikum als zuverlässiger Informationssender. Wir wollen ihnen weder etwas verkaufen noch ein Werberahmenprogramm schaffen und bieten ihnen eine unabhängige Plattform für den gesellschaftlichen Dis­kurs. Ich bin sicher, dass es vielen Menschen irgendwann zu viel wird, sich ständig aus allen möglichen Quellen mehr oder weniger seriöse Informationen zusammen zu suchen. Die meisten möchten nicht ihr eigener Programmdirektor sein, sondern auf vertrauenswürdige Informationen zurückgreifen können. Ich finde es deshalb auch richtig, im WDR Fernsehen ganz stark auf Servicesendungen zu setzen zum Thema Gesundheit, Finanzen usw. Damit leistet der WDR in der immer komplizierter werdenden Welt ein Stück Lebenshilfe.

M | In den Marktanteilen spiegelt sich die Leuchtturmfunktion nur bedingt wieder. Dem WDR Fernsehen fehlen die jüngeren Zuschauer, und die Radionutzung ist bundesweit weiter zurückgegangen. Welche Rollen spielen die verschiedenen Medien künftig?

PIEL | Mit der Akzeptanz des WDR Fern­sehens bin ich grundsätzlich zufrieden. Bei den Altersgruppen sind wir nicht weit von RTL oder Sat.1 entfernt und wollen uns auch nicht nur auf die unter 50-Jährigen konzentrieren: Das sind Kategorien der Werbewirtschaft. Das nachwachsende Publikum möchten wir natürlich auch an uns binden. Aber junge Leute sind heute anders mediensozialisiert, das gleiche Problem haben auch Tageszeitungen und Kultureinrichtungen. Um das Radio ist mir nicht bange: Mit 1Live machen wir das erfolgreichste junge Programm von ganz Deutschland und haben auch insgesamt die meisten Hörer. Selbst das reine Wortprogramm auf WDR 5 findet jedes Jahr mehr Hörer. Eine Schwerpunktaufgabe ist dieses Jahr der Aufbau einer Multimediaredaktion, in der Redakteurinnen und Redakteure vom Hörfunk, Fernsehen und Internet gemeinsam überlegen, wie sich die Sendeinhalte noch einmal für das Internet verwenden lassen. Zum Beispiel haben wir jetzt ein großes Schulportal ­eröffnet für Schüler, Lehrer und Eltern, in dem wir Inhalte bündeln und zum Download zum zeitunabhängigen Hören anbieten. Das könnte ich mir auch für andere Bereiche vorstellen. In Fragen der Urheberrechte zum zeitunabhängigen Nutzen und zum downloading verhandeln wir noch mit den Gewerkschaften.

M | Durch die Digitalisierung verschwimmen auch die Berufsgrenzen. Wenn Redakteure im Newsroom O-Töne und Bilder aus dem Speicher selber am PC zusammenmixen oder Videojournalisten als „Ein-Mann-Team“ ohne Kameramann und Tontechniker unterwegs sind, verschwinden dann bald ganze Berufsgruppen?

PIEL | Wir haben den Hörfunk ja schon komplett digitalisiert. Da gab es von Seiten der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten d. Red.) die Erwartung, dass viele Stellen frei werden, weil der Redakteur alles selbst machen kann. Das ist absolut nicht eingetroffen. Durch die digitalen Möglichkeiten verändert sich auch das Programm: Die Kapazitäten, die wir durch Synergieeffekte eingespart haben, brauchen wir für die inhaltliche Verbesserung des Programms und neue Aufgaben. Es ist alles viel schneller geworden. Jetzt können wir beispielsweise von vier Beiträgen in einer Stunde noch einmal eine kleine Zusammenfassung machen. Die neue Technik hat das Programm verändert und zusätzliche Aufgaben geschaffen. Wenn der Redakteur die einfachen Schnitte selber macht, hat der Techniker außerdem Zeit, an der Nachkritik in der Redaktionskonferenz teilzunehmen. Keinesfalls sollen Redakteure ganze Feature selber schneiden oder Magazinsendungen selber fahren.

M | Durch die Synergieeffekte sind bisher noch keine Stellen weggefallen?

PIEL | Bei uns absolut nicht. Wir haben es einmal ausgerechnet: Wir haben in den letzten Jahren durch Synergien knapp 300 Stellen im Haus frei gemacht, die aber sofort gebraucht wurden für zusätzliche Aufgaben, die wir vor zehn Jahren noch nicht hatten. Das Internet zum Beispiel, neue Lokalzeiten oder zahlreiche Veranstaltungen im Land; das musste alles mit dem gleichen Personalbestand bewältigt werden. Wir bekommen ja keine neuen Stellen, obwohl wir Arbeit genug haben.

M | Sind die neuen Aufgaben überhaupt noch kompatibel mit den alten Berufsbildern?

PIEL | Wir haben einen riesigen Fortbildungsbedarf. Die Leute sind natürlich alle geschult worden. Das Berufsbild der Re­dakteure, der Techniker, auch der Sekretärinnen hat sich sehr verändert. Die haben völlig andere Aufgaben als früher. Für mich ist ganz wichtig – egal ob das Hörfunk oder Fernsehen betrifft – dass weiterhin eine klare Trennung zwischen Redaktion und Technik besteht. Auch wenn die Redaktion mit der Technik umgehen können muss: Für mich bleiben Redakteure und Redakteurinnen die Spezialisten für die Inhalte! Die sollen den Kopf frei haben für intelligente Fragen. Da wird für mich auch bei den Videojournalisten eine Grenze sein.

M | In den Regionalstudios sind sie bereits im Einsatz.

PIEL | Ich gehe da unideologisch ran: In vielen Einsatzgebieten macht es auch Sinn: zum Beispiel wo viel Nähe erforderlich ist, um ein gutes Stück zu machen. Wir haben gerade einen Preis gewonnen für die Begleitung von Obdachlosen. Das ist natürlich was ganz anderes, ob da nur einer dabei ist oder die ganze Crew rumrennt. Auch bei kleinen Nachrichtenfilmen sehe ich kein Hindernis. Ich möchte aber nicht, dass Journalisten bei einer Pressekonferenz nicht richtig zuhören, weil sie mit Kamera und Ton beschäftigt sind. Das muss mit Produktion und Redaktion noch gemeinsam definiert werden: Wo brauchen wir ein Team, und wo ist das auch aus Kostengründen nicht erforderlich? Aber noch mal: Wir wollen Leuchttürme bleiben und hohe Qualität liefern. Und das kann man nur, wenn man die Zeit hat, hinzuhören und zu recherchieren, ehe man irgend etwas auf Sendung bringt. Auch wenn der Zeitdruck und Arbeitsverdichtung immer höher wird in den aktuellen Redaktionen. Da will ich nicht drum rum reden.

M | Im WDR arbeiten außer den 4.539 Festangestellten auch 1.843 „Freie“ regelmäßig für Funk und Fernsehen, unter ihnen viele Journalisten. Dazu kommt eine erheblich höhere Anzahl, die dem WDR nur gelegentlich Beiträge anbieten. In den letzten Jahren hört man immer wieder Klagen über Honorar­kürzungen oder Zuschläge, die nicht gezahlt werden.

PIEL | Um Missverständnisse auszuschließen: Bei uns sitzt keiner der Freien im Haus und macht acht Stunden Redaktionsdienste wie in einigen anderen Sendern! Im Übrigen sind manche Festan­gestellte ziemlich frustriert über die Honorare von freien Moderatoren: Jemand, der acht Mal im Monat bei uns eine Sendung moderiert, verdient deutlich mehr als ein Redakteur, der acht Stunden pro Tag seine Sendung plant und verantwortet.

M | Als Galionsfiguren der Sender haben freie Moderatoren sicherlich andere Honorarsätze als Journalisten, die obendrein ihren Arbeitsplatz selber finanzieren müssen.

PIEL | Das gilt auch für freie Autoren. Was mich richtig verbittert: Wir haben eine sehr gute, teure Volontärsausbildung. Und wir können dankbar sein, wenn wir 50 Prozent der Ausgebildeten bei uns fest anstellen können. Viele sagen: Ich mache jetzt erst mal ein paar Jahre freie Mitarbeit. Uns entgehen dadurch exzellent ausge­bildete festangestellte Redakteure. In der ARD zahlen wir die höchsten Honorare. Aber angesichts der Tatsache, dass wir auch sparen müssen, haben wir eine Übersicht gemacht im Hörfunk, um festzu­stellen: Sind die Honorare auch gerecht verteilt? Zahlen wir für Beiträge mit der gleichen Arbeitsleistung in verschiedenen Redaktionen auch die gleichen Honorare? Da hat es sicherlich Anpassungen ge­geben. Traditionell ist es ja so, dass im Kulturprogramm höhere Honorare gezahlt werden als im Aktuellen. Das haben wir harmonisiert.

M | Hat die Angleichung vor allem nach unten stattgefunden?

PIEL | Das kann ich momentan nicht sagen, ob sie sich nicht auch in manchen Bereichen nach oben entwickelt hat. Es gab nur die Vorgabe: Die Honorare müssen vergleichbar und gerecht verteilt sein, damit manche Autoren nicht bestimmte Programme bevorzugen. Außerdem ar­beiten wir nur auf der Grundlage von Tarifverträgen. Es muss also mit den Tarifpartnern so ausgehandelt worden und nachvollziehbar sein.

Amtseinführung

Nach 44 Berufsjahren beim WDR – davon 12 Jahre als Intendant – übergibt Fitz Pleitgen am 31. März 2007 sein Amt an Monika Piel. Die bisherige Hörfunkdirektorin ist ab dem 1. April 2007 neue Intendantin des WDR. Zum Festakt im Klaus-von-Bismarck-Saal des Funkhauses in Köln werden Ansprachen erwartet vom NRW-Ministerpräsidenten Dr. Jürgen Rüttgers, dem Vorsitzenden des Rundfunk­rates Reinhard Grätz und dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates Dr. Ludwig Jörder.

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