Online-Zusammenarbeit von Verlagen mit ARD und ZDF birgt mehr offene Fragen als Antworten
Es ist eine Premiere: Erstmals will ein öffentlich-rechtlicher Sender Teile seiner Fernsehbilder auf dem Online-Portal eines Zeitungsverlages ausstrahlen. Da geht zusammen, was bisher nicht zusammen gehörte: Öffentlich-rechtliche und Private machen gewissermaßen gemeinsam Programm. Nicht nur, dass mit der Digitalisierung alle Medien – ob Fernsehen, Print, Radio oder Internet – miteinander verschmelzen; erleben wir nun auch eine Vereinigung von öffentlich-rechtlich und privat? Fakt ist: die WDR-WAZ-Vereinbarung, die am 11. März 2008 öffentlich gemacht wurde, sorgt für Aufregung und wirft jede Menge Fragen auf, zumal sie Nachahmer finden soll.
„11 Uhr. Es ruckelt schon gewaltig in der Kabine. Sturmtief Kirsten kündigt sich bei Kranführer Manfred Pollotschek an, der die Container von den Schiffen auf die Hafenanlage ablädt…“ Ein Ausschnitt aus einem Fernsehbericht des WDR, der in der Online-Mediathek des Senders abgerufen werden kann. Ähnliches soll in Zukunft auch auf dem Internetportal der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) „DerWesten.de“ zu sehen sein, denn täglich kann die WAZ neun Beiträge aus der WDR-Regionalberichterstattung in ihr Onlineangebot übernehmen. So sieht es der Kooperationsvertrag zwischen WDR und WAZ vor, der ausgerechnet in der Düsseldorfer Staatskanzlei vorgestellt wurde – in Anwesenheit von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, WDR-Intendantin Monika Piel und Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe.
Lange vor der Pressekonferenz im März waren Beobachter gespannt, wie die Kooperationspartner ihren Vertrag genau ausgestalten. Fragen zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit gab es genug. Angefangen bei der Präsentation der öffentlich-rechtlichen Inhalte – schließlich sind Verlegerauftritte kommerzielle Angebote und von denen muss sich der gebührenfinanzierte Rundfunk abgrenzen können. „Unsere Grenzen sehen wir dort, wo unsere Marken nicht mehr erkennbar bleiben, wo das, was wir an publizistischen Inhalten anbieten, andere verändern könnten. Wir sehen unsere Grenzen auch dort, wo zum Beispiel Werbung in unser Angebot herüber strahlen würde“, hatte der ARD-Vorsitzende Fritz Raff bereits Anfang des Jahres erklärt. Das Problem scheint gelöst. Die Übernahme der WDR-Bilder erfolgt unverändert und mit dem Logo des Senders, so dass der öffentlich-rechtliche Urheber für die Nutzer erkennbar bleibt. Ebenso werden die Beiträge nicht mit Werbung versehen sein.
Private schauen genau hin
Wichtig auch: Der WDR wird seine Inhalte nicht kostenlos abgeben. Die WAZ zahle für die Videos einen „marktüblichen“, aber vorerst unbekannten Preis, heißt es. Damit werden auch Ängste entkräftet, andere Anbieter von Videomaterial könnten angesichts der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz das Nachsehen haben. „Diese Gefahr sehe ich derzeit überhaupt nicht“, so der ARD-Vorsitzende Fritz Raff, „weil die ARD nur bereit ist, echte Qualitätsangebote ins Netz zu stellen. Und die kosten Geld. Wir werden also nicht antreten, um Geschäftsmodelle privater Agenturen kaputt zu machen, sondern wir werden dort bereit sein zu einer Kooperation, wo auch unsere Kosten akzeptiert und dementsprechende Preise bezahlt werden.“
All das will sich die die private Konkurrenz nun genauer anschauen. Dabei interessiert nicht nur, ob die Preise marktkonform sind. Für RTL-Mann Tobias Schmid, Vizepräsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, VPRT e.V., ist entscheidend, ob die Kooperation der Öffentlich-rechtlichen mit den Verlagen durch und durch wirtschaftlich und damit wettbewerbsrechtlich unbedenklich ist. Für Schmid entscheidend: „Wie ist die Finanzierungsstruktur?“ „Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es nicht untersagt, Online-Aktivitäten zu machen, sondern es ist immer wieder die Frage, welcher Teil davon über Gebühren finanziert werden darf, und welcher wirtschaftlich autark bestehen können muss.“ Sprich: die Geschäfte müssen ARD und ZDF über Tochterfirmen abwickeln, was auch geschieht. Die Lizenzierung der Beiträge an die WAZ etwa erfolgt durch die 100prozentige Tochtergesellschaft WDR mediagroup. Allerdings will Schmid ganz genau wissen, ob diese Tochterfirmen auch wirklich wirtschaftlich selbständig sind.
Doch die Kritiker beim VPRT, wie auch beim Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V. und dem Bundesverband deutscher Zeitungsverleger e.V. (BDZV) stellen noch weitere Fragen. Zwar begrüßt BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff grundsätzlich eine Zusammenarbeit von Verlagen und den Öffentlich-rechtlichen, denn „hier gehen Qualitätsmedien aufeinander zu und schauen, wo sie miteinander kooperieren können und das ist zunächst einmal eine durchaus begrüßenswerte Angelegenheit.“ Dennoch hat er Bedenken, ob sich alles im vorgegebenen Rechtsrahmen bewegt – ganz besonders dann, wenn es um eine Zusammenarbeit im lokalen Bereich geht, wie es WDR und WAZ vorhaben. Man müsse jeden Einzelfall prüfen, so Wolff. „Die Weitergabe von Bewegtbildern im Lokalbereich hielten wir schon für problematisch“, erklärt der gelernte Jurist, „denn es steht im Maßnahmenkatalog der EU-Kommission vom vergangenen Sommer, dass eine flächendeckende Lokalberichterstattung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht geleistet werden soll.“ Genau so argumentiert auch der VPRT. Allerdings sei es noch zu früh, um etwas zu rechtlichen Schritten zu sagen, heißt es aus der dortigen Pressestelle. Erst müsse man noch Genaueres über die Ausgestaltung der Kooperation wissen, bislang seien nur sehr allgemeine Informationen im Umlauf.
Bleiben weitere Fragen. Stichwort Meinungsvielfalt. Zwar werden alle Beiträge, die der WDR an die WAZ verkauft, mit dem WDR-Logo versehen sein, womit es optisch eine strikte Trennung zwischen WAZ- und WDR-Inhalten geben wird. Dennoch: Wenn der größte ARD-Sender mit Deutschlands drittgrößtem Zeitungsverlag kooperiert, fürchten Kritiker eine Machtkonzentration. „Man muss zumindest mal darauf achten, ob das nicht unter Umständen dazu führt, dass man eine neue Art von Monopolstruktur von Information herstellt, die jedenfalls, wären es rein privatwirtschaftliche Unternehmen, nicht zulässig wäre“, moniert denn auch VPRT-Vize Tobias Schmid.
Nichtsdestotrotz: Die Befürworter der Kooperation jubeln. Sie diene dem Qualitätsjournalismus und sei „Dienst am Kunden“, verlautet es in einer WAZ-Pressemitteilung. „Geburtshelfer“ Jürgen Rüttgers, der beim Medienforum NRW 2007 die Zusammenarbeit von WRD und WAZ angeregt hatte, wünscht sich denn auch Nachahmer. „Mir ist wichtig, dass dieses Angebot auch für weitere Verlage offen steht und ich ermuntere ausdrücklich zu weiteren Gesprächen“, so der NRW-Ministerpräsident. Der WDR jedenfalls will seine Inhalte auch anderen Zeitungshäusern anbieten und die WAZ könnte sich auch vorstellen, von RTL Bilder zu kaufen.
Weitere Kooperationen sollen denn auch folgen. Der SWR etwa ist im Gespräch mit regionalen Zeitungshäusern, außerdem ist die Rede von Verhandlungen des Bayrischen Rundfunks mit dem Focus. Lange war auch eine Zusammenarbeit des ZDF mit der Süddeutschen Zeitung im Gespräch, bis Anfang April überraschend vermeldet wurde, dass die eigentlich schon als sicher geltende Online-Kooperation geplatzt sei. Nun wird mit anderen Verlagen verhandelt, heißt es aus dem ZDF. Die Vorfreude auf eine Zusammenarbeit ist bei ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender jetzt schon groß. „Wir profitieren ja auch davon, wenn die Marke „heute“ oder andere Marken wie „Frontal 21“ in Zeitungen erwähnt werden.“ Das sei genau das gleiche, als wenn sie im Internetumfeld auch platziert würden, begründet er seine Begeisterung. „Das ist eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Zeitungen und dem öffentlich-rechtlichen System und warum soll das nicht funktionieren?“
Auch ver.di steht der Zusammenarbeit positiv gegenüber – vorausgesetzt, dass dabei die Interessen der Urheberinnen und Urheber beachtet werden, sprich: der Urhebertarifvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingehalten wird. „Publizistisch begrüßen wir die Kooperation, weil sich die beiden Angebote entsprechen und ergänzen“, erklärt Martin Dieckmann, medienpolitischer Referent von ver.di. Ebenso freut ihn, dass damit die Front der Verleger gegen die Digitalisierungsstrategien der Sender zu bröckeln beginnt.
Aufwertung der Online-Auftritte
Für Beobachter kommt dieses Bröckeln nicht überraschend, auch wenn in den vergangenen Jahren die Zeitungen eher auf Konfrontationskurs mit den Sendern gegangen sind. Schließlich gab es auf Verlegerseite schon immer unterschiedliche Strömungen und die WAZ-Gruppe gehörte noch nie zu denen, die den Öffentlich-rechtlichen besonders kritisch gegenüberstanden. Zudem spricht für eine Zusammenarbeit, dass die Verlage mit den Bewegtbildern ihre Online-Auftritte aufwerten können, denn selbst haben sie noch nicht das Know-how und die Kapazität, eigene Bilder zu produzieren. WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach hatte schon im vergangenen Jahr bekundet, selbst Fernsehen machen zu wollen. Im Februar dieses Jahres erhielt die WAZ-Mediengruppe neben weiteren Antragstellern die Lizenz für das Ruhrgebietsfernsehen. Ursprünglich wollte man bereits in der ersten Jahreshälfte 2008 auf Sendung gehen, doch diese Planung wird man nicht einhalten können. Vor diesem Hintergrund kann die – ohnehin auf ein Jahr befristete – WDR-WAZ-Kooperation auch als eine Art „Überbrücker“ gesehen werden, bis das Verlagshaus eigene Bilder ins Laufen bringt. Eine Vermutung, die WAZ-Unternehmenssprecher Paul Binder allerdings ausdrücklich dementiert.
Für ein „Übergangsmodell“ hält auch Marc Jan Eumann, Mitglied des WDR-Rundfunkrates und Vorsitzender der Medienkommission beim SPD-Parteivorstand Bewegtbild-Kooperationen zwischen Verlagen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dennoch plädiert er dafür, „dass wir in Zeiten der Medienkonvergenz flexibel und offen sind für Experimente, wenn sie sich im rechtlichen Rahmen bewegen.“ Gleichzeitig verweist Eumann auf eine inzwischen 18jährige Tradition der Zusammenarbeit von Privaten und Öffentlich-Rechtlichen – bei Radio NRW, wo neben Zeitungsverlagen unter anderem auch der WDR einen 24,9%igen Anteil hält. Dies stelle die aktuelle WDR-WAZ-Kooperation noch einmal in ein anderes Licht.
Allerdings gibt es auch Stimmen, die das Ganze als eine Art „Stillhalteabkommen“ bezeichnen. Der WDR tausche Inhalte gegen medienpolitische Zugeständnisse, munkelt man. „In der Tat ist das öffentlich-rechtliche Onlineengagement in hohem Maße umstritten und wir stehen kurz vor Verhandlungen um einen Staatsvertrag, bei dem es genau um diese Frage gehen soll. Und da die Verleger hier eine sehr kritische Position eingenommen haben, sind Kooperationen ein guter Weg, ein Stück weit den Wind aus den Segeln der Kritik zu nehmen“, bringt Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg gegenüber DeutschlandRadio Kultur diese Vorbehalte auf den Punkt.
Wie dem auch sei, Diskussionsbedarf gibt es für die Zukunft in jedem Fall – bei allem Für und Wider. „Alles, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk einnimmt, trägt letzten Endes dazu bei, dass die Gebühren nicht so hoch sein müssen“, räumt Schulz ein. „Aber insgesamt ist die Frage zu stellen, ob nicht mit einer solchen Kooperation das Signal gesetzt wird, dass dieses Material etwas eigentlich kommerziell zu Verwertendes ist. Und ob es wirklich zum Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten gehört, es in solcher nichtkommerziellen Weise zur Verfügung zu stellen. Insofern ist zu diskutieren, ob das die grundsätzliche Strategie sein kann außerhalb eines Einzelfalls.“