tageszeitung setzt sich mit Initiative für Mahnmal durch

Die zum Abriss vorgesehene Bremer Niederlassung der Spedition Kühne + Nagel (K + N) in der Martinistraße an der Weser.
Foto: Eckhard Stengel

Dass eine Zeitungskampagne in einen Parlamentsbeschluss mündet, kommt nicht alle Tage vor. Der „tageszeitung“ („taz“) ist das jetzt gelungen: Ihre Initiative für ein „Arisierungs“-Mahnmal in Bremen wurde vom Stadtparlament aufgegriffen. Mit breiter Mehrheit brachte die Bremische Stadtbürgerschaft in ihrer jüngsten Sitzung den Bau eines solchen Denkmals auf den Weg. Es soll an das Ausrauben jüdischer Haushalte durch die Nazis erinnern – und an die Mitwirkung der alteingesessenen Bremer Spedition Kühne + Nagel.

„Aktion M“: So nannten die Nazis die Ausplünderung von Juden in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Das „M“ stand für „Möbel“, meinte aber mehr, nämlich den ganzen Hausstand von geflüchteten oder deportierten Juden. Von 1942 bis 1944 wurden fast 70.000 Wohnungen in besetzten Gebieten ausgeraubt. Speditionen transportierten das Hab und Gut nach Deutschland, wo es dann versteigert oder an Ausgebombte verteilt wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei Kühne + Nagel (K + N), wie Historiker inzwischen belegen können.

Die 1890 in Bremen gegründete Spedition, inzwischen einer der größten Logistikkonzerne der Welt mit Hauptsitz in der Schweiz, hatte ihre Rolle zunächst verschwiegen und später relativiert. Das wurmte die Bremer „taz“-Lokalredaktion und besonders ihren Kulturredakteur Henning Bleyl so sehr, dass die Zeitung eine Kampagne startete: Sie wollte der Stadt vier Quadratmeter städtischen Bodens abkaufen, direkt am geplanten Neubau der Bremer K+N-Niederlassung. Dort sollte dann ein Mahnmal aufgestellt werden. Innerhalb von drei Wochen sammelte die Zeitung dafür 26.000 Euro Spenden aus ihrer Leserschaft. Doch die Stadt wollte die vier Quadratmeter nicht verkaufen.

Die “taz” ließ sich jedoch nicht entmutigen und startete einen Ideenwettbewerb für die Gestaltung des gewünschten Mahnmals. Bald fand sie Mitstreiter_innen in der Politik. Die Zeitung durfte einige der eingereichten Ideen im Haus der Bürgerschaft ausstellen und veranstaltete dort später auch ein Symposium „Über den Umgang mit dem Unrechts-Erbe“, gemeinsam mit dem Bremer Parlament und dem Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen.

Doch damit nicht genug: Die rot-grüne Bürgerschaftskoalition reichte gemeinsam mit der Linksfraktion einen Parlamentsantrag ein, der sich für ein öffentlich und privat finanziertes Mahnmal ausspricht. Bei der Debatte – zufällig am Vorabend des 9. November und damit fast genau 78 Jahre nach der Reichspogromnacht – zeigte sich, dass grundsätzlich auch CDU und FDP eine Erinnerung an die Juden-Ausplünderung befürworten. Strittig blieb vor allem der Standort: Der rot-rot-grüne Antrag favorisierte einen Ort im Umfeld des Bremer Firmenneubaus und wollte zudem eine finanzielle Beteiligung von K + N einwerben; die CDU würde zunächst lieber einen breiten Ideenwettbewerb über Art und Ort des Denkmals starten, scheiterte mit diesem Antrag aber ebenso wie die FDP mit ihrem Vorschlag, gleich mehrere Denkorte zu schaffen.

Einig waren sich die Redner_innen darin, dass neben K + N auch andere Firmen bei der „Aktion M“ und früheren Enteignungen mitgemacht hätten. Viele nicht-jüdische Familien, auch das wurde deutlich, profitierten davon und besitzen noch heute Möbel- oder Wäschestücke aus jüdischem Besitz.

Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) nahm den Auftrag des Parlaments gerne an und sagte: „Wir werden dafür sorgen, dass dieses Mahnmal errichtet werden kann.“ Erst sollen aber noch Institutionen wie der Bremer „Landesbeirat für Kunst im öffentlichen Raum“ eingeschaltet werden.

Mehrere Debattenredner_innen appellierten an die Firmenspitze und den Mehrheitseigner Klaus-Michael Kühne, die Vergangenheit des Unternehmens endlich aufzuarbeiten. Doch daraus wird wohl nichts. Eine Konzernsprecherin kommentierte den Mahnmal-Vorstoß des Parlaments mit den Worten, K + N habe schon mehrfach Bedauern über die „dem Unternehmen zur Last gelegten Vorkommnisse im Dritten Reich“ geäußert, verwahre sich aber gegen eine räumliche Nähe des geplanten Denkmals zum Bremer Firmensitz und gegen „die Herstellung eines direkten Zusammenhangs mit unserem Unternehmen“.

Henning Bleyl, der „taz“-Redakteur, der alles in Gang gebracht hatte, wurde für sein Engagement inzwischen mit dem Alternativen Medienpreis 2016 ausgezeichnet. Und in der Bremer Parlamentsdebatte dankten mehrere Redner_innen ihm persönlich oder der Zeitung als solcher für den Diskussionsanstoß. Die Leserinnen und Leser werden seinen Namen künftig aber nur noch selten in der „taz“ finden: Der 47-jährige Kulturwissenschaftler hat zum 1. November eine Drei-Viertel-Stelle bei der grünen Heinrich-Böll-Stiftung angetreten und wird bei der „taz“ nur noch mit einem Teil seiner Arbeitskraft die Mahnmal-Realisierung begleiten.

 

 

 

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