Über Gebühr wichtig

„ver.di im Gespräch“ mit Politikern zum Rundfunkurteil

Über Gebühr wichtig – das galt gleich im doppelten Sinn für eine Veranstaltung, zu der die ver.di-Betriebsgruppe im ZDF gemeinsam mit dem Institut für Europäisches Medienrecht am 31. Oktober eingeladen hatte. Einen ganzen Tag nahmen sich Politiker, Medienrechtler und Journalisten Zeit, um das neuste Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts zu analysieren. Eigentlich urteilte Karlsruhe nur über die Gebühr, genauer darum, ob das Verfahren zur Festsetzung verfassungsgemäß war. Nein hatten die Richter gesagt. (siehe Punktsieg für die Rundfunkfreiheit M 10/2007) Und dann hatte das höchste Gericht über die Gebühr hinaus der Politik wie den Rundfunkanstalten medienpolitische Hausaufgaben gestellt. Erstmals erläuterten in Mainz bei der Diskussionsreihe „ver.di im Gespräch“ zwei maßgebliche Medienpolitiker, der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger und Martin Stadelmeier, Chef der Mainzer Staatskanzlei, welche Schlussfolgerungen die Große Koalition der in Karlsruhe Unterlegenen aus dem Urteil ziehen will. „Medienpolitik wird durch ein Nadelöhr gehen müssen“ beschrieb CDU-Mann Oettinger die Aufgabe an die Politik. An diesem Nadelöhr hatten nicht nur die Karlsruher Richter gebastelt, sondern auch die Brüsseler EU-Kommission, die beide nach seiner Auffassung eine Konkretisierung des öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrags durch die Politik und eine wirksamere Kontrolle der Rundfunkanstalten durch die Aufsichtsgremien gefordert hätten. Zum Nadelöhr werde sich zudem die Gebührenfrage entwickeln, auch wenn Oettinger den Länderparlamenten empfahl, den vorliegenden Gebührenvorschlag der KEF einfach „durchzuwinken“. Doch dann sei Schluss mit der herkömmlichen Gebühr, die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen sei besser durch eine Haushaltsabgabe zu gewährleisten.
Sein SPD-Pendant Martin Stadelmeier machte deutlich, dass sich die Politik keineswegs als Verlierer des Karlsruher Urteils sah, denn: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann nicht machen, was er will“. Es seien vielmehr die Länderparlamente gefordert, ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen und mit dem Funktionsauftrag sowohl Umfang wie auch Aufgabenbereich von ARD und ZDF genau zu definieren. In der Gebührenmodelldiskussion trat Stadelmeier auf die Euphoriebremse: „In den diskutierten Modellalternativen sind noch viele Detailfragen offen.“
ZDF-Justitiar Prof. Carl-Eugen Eberle mahnte bei seiner Analyse des Urteils zum Verzicht auf konfrontative Konzepte: „Es geht um den schonenden Ausgleich zwischen staatlichem Gestaltungsinteresse einerseits und Wahrung der Autonomie des Rundfunks andererseits.“ Die Selbstverpflichtung der Rundfunkanstalten, einen Drei-Stufen-Test bei der Prüfung neuer Digitalvorhaben umzusetzen, ohne dazu vom Gesetzgeber verpflichtet zu sein, nannte er als Beispiel für die konstruktive Haltung von ARD und ZDF. Letztlich war vor allem eines klar: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als die Medienpolitiker noch einmal nach Karlsruhe.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Breiter Protest für Rundfunkfinanzierung

Anlässlich der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten (MPK) in Leipzig fordert ver.di die Fortführung des Reformdiskurses über die Zukunft öffentlich-rechtlicher Medienangebote und über die Strukturen der Rundfunkanstalten. Die notwendige Debatte darf die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten jedoch nicht daran hindern, ihren vom Bundesverfassungsgericht zuletzt im Jahr 2021 klargestellten Auftrag auszuführen: Sie müssen im Konsens die verfassungsmäßige Rundfunkfinanzierung freigeben.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »