Überzeugen durch Qualität

ARD-Vorsitzender Fritz Raff zu den öffentlich-rechtlichen Programmstrategien für die digitale Zukunft

M | Die ARD war im Jahr 2006 Marktführer mit 14,2. Prozent. Wie wollen Sie diese Position behaupten? Nicht jedes Jahr findet eine Fußball-WM statt …

FRITZ RAFF | Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Position überhaupt halten müssen. Wir müssen durch Qualität überzeugen. Die Marktführerschaft ist etwas Angenehmes, aber sie ist nicht das oberste Ziel eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

M | 2007 gilt als Jahr der medienpolitischen Entscheidungen. Das Brüsseler Beihilfeverfahren, das aufgrund der Beschwerde des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien VPRT gegen die Öffentlich-Rechtlichen angestrengt wurde, ist gerade für ARD und ZDF einigermaßen glimpflich ausgegangen. Können Sie mit dem Ergebnis leben?

RAFF | Glimpflich trifft den Sachverhalt ganz gut. Es wird Veränderungen geben, auch mehr Bürokratie. Aber ich denke, wenn die Länder das, was jetzt in Brüssel entschieden wird, fair umsetzen, dann können wir damit leben. Bedauerlich ist, dass sich die Kommission letztendlich nicht vom Begriff der Beihilfe verabschiedet hat. Was sie uns jedoch ins Stammbuch, sprich in den nächsten Staatsvertrag schreiben will, etwa die stärkere Gremienmitsprache, die Weitergabe von Sportrechten an Dritte oder stärkere Transparenz bei unseren Tochterunternehmen, ist teilweise schon gängige Praxis bei uns.

M | Zu den positiven Ergebnissen zählt, dass die deutsche Rundfunkgebühr von der EU-Kommission nicht mehr als unerlaubte Beihilfe bewertet wird. Aber ARD und ZDF müssen künftig für mehr Transparenz bei ihren kommerziellen Töchtern sorgen. Und neue Kanal-Planungen unterliegen einem strengeren Prüfverfahren. Stört Sie das?

RAFF | Natürlich steckt noch eine gewisse Gefahr in der Frage, wie es zur Genehmigung neuer Projekte kommt. Da müssen wir abwarten, wie die Bundesländer die EU-Vorgaben in nationales Recht umsetzen und inwieweit wir dann davon ausgehen können, dass die Staatsferne des Rundfunks in Deutschland auch in Zukunft garantiert ist. Die Kommission ist – plakativ gesagt – entweder für kommerziellen Rundfunk oder aber für Staatsrundfunk. Für das spezifische System in der Bundesrepublik fehlt es dem Einen oder Anderen in Brüssel an Sensibilität. Aber die Länder haben vorzüglich gekämpft. Ich denke, es wird ihnen gelingen, die Brüsseler Entscheidung so in nationales Recht umzusetzen, dass wir damit leben können.

M | Zugleich stehen die Beratungen zum nächsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag an. Neben einer Reform der Rund­funkaufsicht ist zu erwarten, dass für die Öffentlich-Rechtlichen die Begrenzung der Online-Ausgaben auf 0,75 Prozent der Gebühreneinnahmen fällt. Sehen Sie das auch so?

RAFF | Auch in der Politik ist das Einsehen gewachsen, dass diese Deckelung keinen Sinn mehr macht. Eingeführt wurde sie in der Zeit des Übergangs von der analogen in die digitale Welt mit dem Ziel, eine Ausuferung bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten zu verhindern. Für unsere Zuschauer und Nutzer ist es jedoch wichtig, dass sie sich unsere Angebote überall, zu jeder Zeit und über alle Wege verfügbar machen können. Deshalb müssen auch wir alle technischen Möglichkeiten der digitalen Welt ausschöpfen dürfen. Die Gefahr, dass wir zu viele Mittel in unsere Online-Aktivitäten verlagern, ist nicht gegeben. Wir müssen unsere klassischen Medien weiter bedienen, und zugleich die mobilen Empfangsgeräte sowie unsere digitalen Kanäle qualitativ aus­bauen. Dies alles vor dem Hintergrund einer sehr moderaten Anmeldung des Finanzbedarfs ab 2009, also einer hoffentlich zustande kommenden Gebühren­erhöhung ab 1.1.2009. Unsere KEF-Anmeldung orientiert sich an der erwarteten Preissteigerungsrate. Das wird unsere Möglichkeiten automatisch begrenzen.

M | Anfang Mai steht auch die Beratung des Bundesverfassungsgerichts über die Klage der öffentlich-rechtlichen Anstalten gegen die Gebührenentscheidung von 2004 an. Was erwarten Sie von den Karlsruher Richtern?

RAFF | Wir erhoffen vom Gericht Klarstellungen mit Blick auf das Gebührenfestsetzungsverfahren. Wir erwarten ja nicht, dass der Gebührenbetrag für die aktuelle Gebührenperiode angehoben wird. Das Gericht sollte die Klage zum Anlass nehmen, in Fortentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung beiden Seiten – den Ländern und den Rundfunkanstalten – Hinweise zu geben, wie dieses Gebührenfestsetzungsverfahren in Zukunft ausgestaltet und dann gehandhabt werden soll.

M | Ist die gerätebezogene Gebühr passé?

RAFF | Da bin ich mir nicht sicher. Wir beobachten die Beratungen der Länder sehr aufmerksam. Wir stellen fest, dass bei vielen Alternativmodellen letztendlich mehr Probleme als Lösungen auftauchen. Im Moment ist eher die Tendenz zu erkennen, die gerätebasierte Gebühr nochmals auf den Prüfstand zu stellen und in bestimmten Einzelfragen zu Neujustierungen zu kommen. Aber das ist Sache der Länder. Wir sind offen für andere Lösungen, wenn sie praktikabel, sozial gerecht, europakompatibel und aufkommensneutral sind.

M | Medienstaatsminister Bernd Neumann gibt sich optimistisch, bis Mitte des Jahres die Novellierung der EU-TV-Richtlinie unter Dach und Fach zu bringen. ARD und ZDF haben nach den Skandalen um unerlaubtes Product Placement weitgehende Selbstverpflichtungen abgegeben. Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass die EU-Kommission die Regelungen für Produktplatzierungen liberalisieren will?

RAFF | Wir werden diese Regelungen nicht zum Anlass nehmen, unser eigenes Regelwerk zu verändern. Wir wollen kein Product Placement, wir wollen keine Schleichwerbung. Wir werden unsere Produktionen nach unserem Regelwerk erstellen. Für ausländische Produktionen, die wir bringen, das räume ich allerdings ein, gilt dann ein anderes. Man wird sehen müssen, wie man damit in der Praxis umgeht.

M | Wie sieht ihre Programmstrategie für die digitale Zukunft aus?

RAFF | Wir werden unsere bereits vorhandenen digitalen Angebote – Eins Extra, Eins Festival, Eins Plus – ausbauen und qualitativ weiter verbessern. Bislang liefen diese Angebote weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber im Zuge der auf den Markt kommenden neuen digitalen Empfangsgeräte dürfte auch das Interesse an diesen Angeboten wachsen. Wir müssen auch auf ein sich veränderndes Nutzungsverhalten Rücksicht nehmen. Es kann nicht sein, dass wir unsere hervorragenden Inhalte nicht noch besser präsentieren, als das heute schon der Fall ist.

M | Sie haben unlängst einen digitalen Info-Kanal angekündigt. Was schwebt Ihnen da vor?

RAFF | Ich habe mit Blick auf Eins Extra auf unsere Programmleitlinien der letzten Jahre hingewiesen und deutlich gemacht, dass wir unser Informationsangebot im digitalen Bouquet weiter verbessern wollen. Die Weichenstellungen wollen wir – nach entsprechenden Beratungen der Gremienvorsitzenden – voraussichtlich auf der Intendantensitzung am 17. / 18. Juni beschließen.

M | Der Trend geht – vor allem beim jungen Publikum – hin zur zeit- und ortsunabhängigen Nutzung der Medien. Das ZDF will ab der nächsten Internationalen Funkausstellung bereits 50 Prozent des Programms jeweils sieben Tage lang kostenlos per Video on Demand anbieten. Das Erste scheint noch nicht ganz so weit zu sein …

RAFF | Wenn wir als ARD über Video on Demand reden, dann reden wir nicht nur über ein Fernsehprogramm wie etwa das ZDF, sondern neben unserem Ersten gleichzeitig über alle Dritten Programme. Wir werden voraussichtlich im zweiten Halbjahr ebenfalls ein solches Angebot parat haben. Es kommt beim Umfang der Offerte allerdings darauf an, für möglichst große Nutzerfreundlichkeit zu sorgen. Wenn es, um dieses Ziel zu erreichen, zu Verzögerungen käme, wäre das nicht weiter tragisch.

M | Wie positioniert sich die ARD gegenüber den neuen digitalen Playern? Die BBC geht ja derzeit Kooperationen mit Google und You­Tube ein, um auf diesem Weg eigene Inhalte zu verbreiten. Kommt für die ARD etwas Vergleichbares in Frage?

RAFF | Im Moment sehe ich noch nicht, dass wir das anstreben. Wir sind da etwas zurückhaltender als andere Mitspieler. Auf dem Gebiet herrscht nach wie vor eine große Rechtsunsicherheit, etwa in Sachen Urheberrecht. Was die Plattformen für DVB-H-Angebote angeht, so warten wir erst mal ab, wie dieses Phänomen juris­tisch ausgestaltet wird. Gilt als Plattform ein technischer Dienstleister, oder eine Instanz, die Programme zusammen stellt? Da gibt es noch viele offene Rechtsfragen. Die ARD begleitet diesen Prozess konstruktiv. Wer unsere Forderung nach barrierefreiem Zugang erfüllt, den unterstützen wir, wenn es darum geht, für mobile Empfangsgeräte unsere Programme anzubieten.

M |Zum ARD-Programm. In der letzten Zeit ergab sich der Eindruck einer gewissen Sprunghaftigkeit in der Programmplanung. Beim Gezerre um die Christiansen-Nachfolge sah es fast so aus, als stünde wegen einer Personalie das gesamte Abendprogrammschema zur Disposition …

RAFF | Ich finde es abenteuerlich, wie schnell der ARD Gezerre und Sprunghaftigkeit zugeschrieben wird. Nach der unerwarteten Absage von Günter Jauch haben wir uns auf der nächsten routinemäßigen Sitzung auf Anne Will als Nachfolgerin von Sabine Christiansen geeinigt. Gleichzeitig wurde entschieden, Plasberg im Ersten zu platzieren. Auch das hat den allermeisten gefallen. Es ging dann um die schwierige Entscheidung: Wo kann man 60 bis 90 Minuten Plasberg in einem dramaturgisch sehr dicht geknüpften Zeitrahmen unterbringen, ohne dass man andere Programmstrecken beschädigt? Etwas Neues hereinnehmen bedeutet immer auch etwas Anderes herausnehmen. Da stehen natürlich Interessen im Raum. Und es wurde dennoch zügig und fair entschieden. Jetzt haben wir 75 Minuten Plasberg zwischen „Tagesschau“ und „Tagesthemen“.

M | Mit dem Ergebnis, dass die „Tagesthemen“ an einem weiteren Wochentag nach hinten rutschen, die Wiederauffindbarkeit im Programmschema noch stärker leidet …

RAFF | Das kann man natürlich kritisieren. Auf der anderen Seite geht diesen „Tagesthemen“ eine gelungene Kombination aus politischer Information und Talksendung voraus. Dieser Mehrwert macht die Verschiebung der „Tagesthemen“ möglicherweise leichter hinnehmbar. Solche Verschiebungen gab es auch früher schon – etwa bei Fußballübertragungen. Dies soll keinesfalls der Einstieg in eine neuerliche Diskussion über die Anfangszeit der „Tagesthemen“ sein. Wir werden mit „Hart aber fair“ den Informationsanteil in der Hauptsendezeit weiter erhöhen. Im Übrigen waren die „Tagesthemen“ im vergangenen Jahr das einzige politische Nachrichten-Magazin, das Zuschauer dazu gewonnen hat. Mit unserer Grundsatz­entscheidung haben wir also tatsächlich mehr Zuschauer erreicht …

M | … zugleich aber ein Prozent Marktanteil verloren …

RAFF | … das stimmt, aber in absoluten Zahlen haben wir mehr erreicht, wenn auch nicht so viele, wie wir uns erhofft ­haben. Zugleich haben in diesem Jahr die politischen Magazine zugelegt. Aber es bleibt schon ein Problem, dass wir keine durchgängige Zeitschiene haben. Andererseits sind die Zuschauer wahrscheinlich dankbar, wenn sie eine Informations- und Talksendung wie die von Plasberg haben, die 75 Minuten lang ein Thema sehr grundsätzlich und mit Tiefgang aufarbeitet.

M | Es heißt, die Politmagazine hätten in der ARD keine sonderlich starke Lobby. Im letzten Jahr erfolgte die Kürzung um jeweils 15 auf jetzt 30 Minuten. Bleibt es dabei? Oder wird weiterhin erwogen, die Zahl der Magazine von jetzt sechs auf vier zu reduzieren und dafür die Sendezeit zu verlängern?

RAFF | Ich muss Sie korrigieren. Die politischen Magazine haben eine starke Lobby, sonst hätten wir nicht sechs davon, sonst hätte es vielleicht schon strukturelle Veränderungen gegeben …

M | Einspruch! Hängt die Zahl der Magazine nicht vielleicht eher mit dem ARD-Föderalismus zusammen, nach dem diverse regio­nale Interessen bedient werden müssen?

RAFF | Das stimmt, aber das zeigt ja gleichzeitig, dass sie in ihren Häusern stark verankert sind und jeweils als Flaggschiff für unverzichtbar gehalten werden. Ich sehe zu dieser Frage derzeit keine neue Diskussion aufkommen, erst recht nach der Entscheidung pro Plasberg. Die politischen Magazine tun möglicherweise gut daran, auch über ihre inhaltliche Struktur nachzudenken. Für mich ist es durchaus eine offene Frage, ob da nicht die eine oder andere Änderung zeitgemäß wäre. Vielleicht ließe sich doch ein jüngeres ­Publikum erreichen. Aber das ist Sache der zuständigen Redaktionen, und die denken schon längst an die Zukunft.

M | Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand um die Übertragungsrechte zur Fußball-EM 2008?

RAFF | Von den Millionen, die zwischen den Forderungen von Sportfive und dem Angebot von ARD und ZDF liegen, könnte ich sehr gut bis ans Ende meiner Tage leben. Wir verhandeln weiter, wir beabsichtigen nach wie vor, diese Rechte zu erwerben. Aber nicht um jeden Preis.

Das Gespräch führte Günter Herkel

 

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