„Wir wenden uns mit einem Brandbrief an euch alle, weil wir dringend auf eure Unterstützung angewiesen sind. 101 zeilenfreie Mitarbeiter der MoPo-Lokalanzeiger sollen am Ostermontag nicht mehr weiterbeschäftigt werden, weil sie sich weigern, einen vom Ullstein-Verlag angebotenen Vertrag zu unterschreiben, der das Total Buy Out sämtlicher Offline- und Online-Texte beinhaltet. Zusätzlich weigert sich der Verlag, uns die Nennung der Autorennamen zu garantieren.“ Diesen Hilferuf sendeten wenige Tage vor Ostern die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Berliner Morgenpost“ in die Republik. Zu dem Zeitpunkt hatte sich ein Konflikt zugespitzt, der bereits seit einigen Monaten schwelte: Die MoPo hatte ihren Freien nicht nur mitgeteilt, dass deren Texte künftig auch in im Berlin-Teil der „Welt“ erscheinen werde – für ein läppisches Zusatzhonorar von 20 Pfennig pro Zeile und 15 Mark pro Foto – sondern forderte von ihnen den totalen Ausverkauf der Verwertungsrechte. Die Aufforderung der Gewerkschaft, sich zumindest an die erheblich höheren Honorarsätze für eine Zweitverwertung laut Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Freie an Tageszeitungen zu halten, beschieden die Arbeitgeber mit dem lapidaren Hinweis, bei der MoPo gäbe es keine Arbeitnehmerähnlichen. Ergo gelte der Tarifvertrag für sie nicht.
Nur wenig später zogen die Arbeitgeber denn doch genau diesen Tarifvertrag als Argumentationshilfe aus der Tasche: Bei der „Welt“ handele es sich um eine „angeschlossene Zeitung“ im Sinne dieses Tarifvertrages. Also müsse nicht für eine Zweitverwertung , sondern lediglich für eine erhöhte Auflage gezahlt werden. „Das ist natürlich Quatsch“, so Andreas Köhn, stellvertretender Landesvorsitzender der IG Medien in Berlin-Brandenburg, „eine überregionale Zeitung wie die ,Welt‘ kann schlicht keine angeschlossene Zeitung einer Lokalzeitung sein.“
Mit Argumenten, so kristallisierte sich heraus, war der Verlag nur schwerlich zum Einlenken zu bewegen. Gesprächsangebote der Gewerkschaften nahm die Geschäftsleitung nicht an. Auch Einwände der Redakteurinnen und Redakteure, die inzwischen angewiesen worden waren, nur noch Freie zu beschäftigen, die die Bedingungen des Hauses schluckten, wurden von Chefredakteur Herbert Wessels abgebügelt: . „… erwarte ich von Ihnen, den fest angestellten Redakteuren, dass Sie die Haltung und die Vorgehensweise des Verlages mittragen und umsetzen, statt Solidaritätsadressen zu formulieren“.
Den Freien, die sich vor Ort auf Versammlungen und bundesweit über eine E-Mail-Liste eng miteinander vernetzt hatten, blieb nur die Flucht nach vorn – in die Öffentlichkeit. 80 Kolleginnen und Kollegen versammelten sich zu einer Kundgebung (Fotos davon auf Seite 3!). Mit einem Aufruf „Please help the Berliner Morgenpost freelancers“ wandten sie sich an die Internationale Journalistenföderation, die diesen Aufruf unter der Adresse www.authorsrights.org weltweit verbreiteten. Mit einem offenen Brief wandten sie sich an die fest angestellten Kolleginnen und Kollegen im Mutterhaus des Axel-Springer-Verlags: „Unser Weg hierher ist auch ein Zeichen unserer Angst. Niemandem von uns fällt es leicht, sich so in den Wind zu stellen. Doch wir müssen. Wenn wir nämlich nicht mehr für die Morgenpost arbeiten, stirbt das Herzstück einer Zeitung, für die auch Sie mit Ihrem Namen stehen“. Und noch einmal planten sie eine Kundgebung – für den Karfreitag. Dazu kam es nicht mehr. Der Verlag zeigte sich plötzlich gesprächsbereit – und vereinbarte einen Tag vor der geplanten Aktion mit den Freien folgende Eckpunkte: Auf dem Ullstein-Portal Berlin 1 werden künftig die Autorennamen genannt. Die Einigung über eine Honorierung der Zulieferung von Texten für Welt wird ausgesetzt und auf eine Regelung zwischen Gewerkschaften und Verlegerverband gewartet. Der Vertrag wird um einen Anhang ergänzt, in dem sich die Autoren vorbehalten, bei einer neuen Rechtslage durch das Urheberrecht wieder in Verhandlungen einzutreten. Die Honorierung für weiterverwertete Offline-Texte wird garantiert.
„Wir haben hart verhandelt“, so die Vertreter der Freien „und glauben, so einen tragbaren Kompromiss gefunden zu haben. Wer immer uns unterstützt hat, dem sei vielen Dank gesagt.“