Die Journalistin und frühere stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer wird neue Intendantin der Rundfunk Berlin-Brandenburg. Nach einigen Turbulenzen erhielt sie am frühen Abend des 16. Juni im dritten Wahlgang die nötige Zweidrittelmehrheit. Die einzige verbliebene Konkurrentin , die ehemalige Vodafone-Managerin Heide Baumann, hatte nach den ersten beiden Wahlgängen ihre Kandidatur zurückgezogen. Die 50jährige Demmer soll ihr Amt spätestens zum 15. September antreten.
Die Wahl erfolgte exakt ein Jahr nach den ersten Enthüllungen des Springer-Magazins „Medieninsider“ über Vetternwirtschaft und die Verschwendungspraxis der früheren Intendantin Patricia Schlesinger. Nicht zur Wahl stand Interimsintendantin Katrin Vernau, die erst im September 2022 angetreten war – als Krisenmanagerin für zunächst maximal ein Jahr. Nach eigenem Bekunden wäre sie gern Intendantin geblieben. Überraschenderweise stellte sie sich aber nicht dem Bewerbungsverfahren für eine neue reguläre Amtszeit. Ihr Kalkül, außerhalb des regulären Verfahrens vom Rundfunkrat auf die Kandidatenliste gesetzt zu werden, ging jedoch nicht auf. Ihre in letzter Minute eingebrachte Bewerbung wurde abgeschmettert.
Es habe ein „klares, demokratisches und transparentes Verfahren“ gegeben, sogar eines „mit unmittelbarer Beteiligung der Beschäftigten“ durch die Einbeziehung von Personalrat und Freienvertretung, hatte Oliver Bürgel, in Personalunion Ratsvorsitzender und Leiter der sechsköpfigen Findungskommission vor der Wahl konstatiert.
Noch drei Tage vor der Wahl hatten vier im regulären Verfahren ausgewählten Bewerber*innen den Kandidat*innenkreis gebildet. Heide Baumann, Ulrike Demmer, Juliane Leopold und Jan Weyrauch. Alle vier hatten sich am 8. Juni dem Wahlgremium und am 12. Juni der Belegschaft vorgestellt. Ex-Vodafone-Vorstandsfrau Heide Baumann wurden zunächst mangels ausreichender Kenntnisse öffentlich-rechtlicher Senderstrukturen allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt.
Mehr traute man Ulrike Demmer zu, die auf eine solide journalistische Karriere zurückblicken kann: mit Stationen bei ZDF, „Spiegel“, „Focus“ und – bis 2016 – als Leiterin des Hauptstadtbüros vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (Madsack). Von 2016 bis 2021 hatte sie als stellvertretende Regierungssprecherin in der von Angela Merkel geführten Großen Koalition agiert, außerdem als Vize-Chefin des Bundespresseamtes und Stellvertreterin von Steffen Seibert. Sie werde sich „mit breitem Kreuz vor den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den RBB stellen“, hatte Demmer zu Beginn der Wahlsitzung gesagt.
Rückzug der Kandidaten
Juliane Leopold, derzeit Chefredakteurin Digitales von ARD, hatte überraschend am 13. Juni ihre Kandidatur zurückgezogen. Zur Begründung äußerte sie, gegenüber ihrem Kernangebot, der digitalen Transformation des Journalismus, stünden im RBB gerade andere Fragen „mit größerer Priorität“ im Fokus „als manches, was in die programmliche Zukunft des RBB weist“.
Um den einzigen männlichen Bewerber Jan Weyrauch hatte es im Verfahren eine Kontroverse gegeben. Er war zwischenzeitlich aus dem Kandidatenkreis „aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die Vertragskonditionen ausgeschieden“, hieß es in einer Mitteilung der Geschäftsstelle des RBB-Rundfunkrats. Offenbar ging es dabei – vor dem Hintergrund der Sparzwänge im RBB – um eine mögliche Beschränkung des künftigen Intendantengehaltes. RBB-Verwaltungsratsvorsitzender Benjamin Ehlers hatte dem Vernehmen nach eine unverbindliche diskutierte „Spannbreite“ zwischen 180.000 und 230.000 Euro ins Gespräch gebracht. Interimsintendantin Vernau kassiert nach RBB-Angaben ein Jahresgehalt von 295.000 Euro.
Nach einem Einspruch des Personalrates gegen Weyrauchs Ausschluss kehrte dieser zunächst in den Bewerberkreis zurück. Der gebürtige Berliner, seit 2011 Programmdirektor von Radio Bremen, galt aufgrund seiner nahtlosen öffentlich-rechtlichen Karriere denn auch als Favorit der Belegschaft und von Teilen der lokalen Medien. In den Augen vieler wisse er „besser als die Konkurrenz, was die öffentlich-rechtliche Seele umtreibt“, hieß es etwa mit unfreiwilliger Komik im „Tagesspiegel“.
Umso größer die Verwirrung, als Weyrauch am Vorabend der Wahl abermals von der Kandidatur zurücktrat. Hauptgrund dürfte der öffentlich ventilierte Streit um das Intendantengehalt gewesen sein. „Selbstverständlich“, so schrieb er in einer Erklärung“, sei er zu Abstrichen im Vergleich zum bisherigen Intendant*innengehalt bereit gewesen. Allerdings seien zuletzt Vorstellungen ins Spiel gebracht worden, bei denen er „auch aus strategischen Überlegungen für die Folgewirkung auf das gesamte Gehaltsgefüge im RBB“ nicht mitgehen könne – „bei allem Verständnis für den sorgsamen und sparsamen Umgang mit Beitragsgeldern“. Offenbar wollte Weyrauch diesen Konflikt nicht nach der Wahl austragen. Würde ein gewählter Intendant sein Amt nicht antreten, weil keine Einigung über seinen Vertrag zu erzielen sei, wäre der Schaden für den RBB, für seine Gremien und nicht zuletzt auch für den Kandidaten in der Öffentlichkeit „riesig und kaum erklärbar“.
„Beträchtlicher Schaden“
Zumindest für die Vorsitzenden der RBB-Gremien ist der entstandene Schaden schon jetzt beträchtlich. Personalratsvorsitzende Sabine Jauer hatte nach dem Rücktritt Weyrauchs „großes Unverständnis über die mangelhafte Professionalität“ des Vorsitzenden der Prüfungskommission Bürgel geäußert. Er sei offensichtlich nicht in der Lage gewesen, „mit den Kandidaten und Kandidatinnen zu kommunizieren, sodass nun 50 Prozent der von uns ausgewählten Kandidaten auf der Strecke geblieben sind“. Noch härter ging sie mit dem Verwaltungsratschef Benjamin Ehlers ins Gericht. Dieser habe sich in das Wahlverfahren „unangemessen eingemischt“.
Vorgeworfen wurde Ehlers in diesem Zusammenhang in der Frage der Gehaltsdeckelung eine Art Kotau vor der Landespolitik. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte in der Wahlwoche den Verwaltungsrat in einem Brief gebeten, die kürzlich von den Rechnungshöfen aufgestellten Empfehlungen für Gehaltsobergrenzen bereits bei den Verträgen für die neue Senderleitung zu berücksichtigen. Daraufhin hatte Ehlers unabgesprochen in der Öffentlichkeit über mögliche Gehaltskorridore spekuliert. Ein Vorgang, der von Teilen des Rundfunkrats heftig kritisiert worden war.
Eine Stunde vor dem Beginn der entscheidenden Wahlsitzung des Rundfunkrates hatten Personalrat und Freienvertretung eine Stellungnahme an die Medien verschickt. Unter der Überschrift „Gremienvorsitzende lösen Wahlchaos aus“ forderten sie eine „Neuaufsetzung des Bewerberverfahrens“. Durch das Agieren von Bürgel und Ehlers sei dem RBB „ein neuerlicher Imageschaden“ zugefügt worden. Bei der Neuauflage des Verfahrens dürften diese „keine herausragende Rolle mehr spielen“. Angesichts der Perspektive eines Schreckens ohne Ende entschied sich der Rundfunkrat offenbar lieber für ein Ende mit Schrecken.
Auf die künftige RBB-Geschäftsführung wartet eine schwierige Aufgabe. Mit einem knallharten Sparprogramm – 49 Millionen Euro sowie Abbau von 100 Stellen bis Ende 2024 – hat Interimsintendantin Vernau die Grundlagen auch für die weitere Sanierung des verschuldeten Senders gelegt. Der Spielraum für kreative Programmarbeit dürfte unter diesen Umständen denkbar gering ausfallen.
Sie scheide „zwar nicht fröhlich, aber ohne Groll“ aus dem Amt, hatte Vernau nach dem Negativvotum des Rundfunkrats bemerkt. Die für die Aufräumarbeiten in Berlin beurlaubte Wirtschaftsökonomin kehrt auf ihren Job als Verwaltungsdirektorin des Westdeutschen Rundfunks nach Köln zurück. Möglicherweise erweisen sich ihre Erfahrungen als RBB-Saniererin als hilfreich, wenn im WDR 2024 ein/e Nachfolger/in für den scheidenden Intendanten Tom Buhrow gesucht wird.
Rechnungshöfe mit klaren Empfehlungen
Erst vor wenigen Tagen hatten die Rechnungshöfe der Länder Berlin und Brandenburg dem RBB und seinem Finanzgebaren in der Ära Schlesinger seit 2017 ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Die Prüfungen erfolgten aufgrund der unter Schlesinger und dem früheren Chef des Verwaltungsrats Wolf-Dieter Wolf registrierten Fällen von Verschwendung und Irregularitäten der Geschäftsführung. Die gravierendsten Vorwürfe: Leistungen seien „ohne Wettbewerb und Preisvergleich“ vergeben, das vorgeschriebene Vier-Augen-Prinzip ignoriert worden. Verlangte Leistungen und Abrechnungen seien kaum kontrolliert worden, die Dokumentation, Organisation und Archivierung wichtiger Unterlagen „unzureichend“. Die Feststellung von derart „gravierenden Mängeln“ bei einer vergleichsweisen Stichprobe wecke schlimmste Befürchtungen über das ganze Ausmaß der Misswirtschaft, sagte Karin Klingen, Präsidentin des Berliner Rechnungshofs bei der Vorstellung des Berichts. Ihr Fazit: „Der Sender schob ein Liquiditätsdefizit wie eine Bugwelle vor sich her.“ Nur durch das von Vernau eingeleitet Sparprogramm habe die Zahlungsunfähigkeit vermieden werden können.
Entsprechend deutlich fallen die Empfehlungen der Rechnungshöfe aus. So schlagen sie eine Deckelung der Spitzengehälter vor, orientiert am Tarifgefüge im öffentlichen Dienst. Angemessen sei eine Gehaltsobergrenze von rund 180.000 Euro für Intendant*innen und 140.000 bis 180.000 für Direktor*innen. Schließlich seien die RBB-Führungskräfte anders als solche in der Privatwirtschaft keinem Wettbewerb ausgesetzt, hätten überdies normalerweise keine Kündigungen zu befürchten. Aus dem gleichen Grund und mit Blick auf die anwachsenden Ausgaben für Altersversorgung müsse auch über eine Limitierung der Gehälter für außertarifliche Kräfte diskutiert werden.
Für die Beschäftigten könnten harte Zeiten anbrechen. Einen klaren Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen hat die alte Geschäftsleitung nie erklärt. Seit Monaten stocken die Tarifverhandlungen für Gehälter und Honorare der rund 3.500 Beschäftigen, unter ihnen ca. 1.500 Feste Freie. Gleiches gilt für die Tarifverhandlungen über einen Bestandsschutz für langjährige Freie. Erst im Januar hatte die Belegschaft auf die Mauertaktik der Geschäftsleitung mit einem ganztägigen Streik reagiert.