Und wieder einmal droht der Untergang des Abendlandes

Verleger und PC-Hersteller machen gegen Urhebervergütungen mobil
Eine Gegen-Polemik von Rüdiger Lühr

Nein, es ist nicht überraschend. Dass derjenige, der bisher allein kassiert, auch wenn es zu Unrecht ist, aufschreit, wenn er abgeben soll, verwundert nicht. Bewundert werden kann allenfalls der Ideenreichtum, mit dem die Alleinkassierer wortgewaltig aufschreien. Und das beim Urheberrecht, einem Thema, das so trocken ist, dass sich meist auch die betroffenen Künstler und Journalisten kaum damit auseinander setzen mögen. Was ist geschehen?

In langen Kohl-Jahren bewegte sich kaum etwas im Urheberrecht, während ringsum eine neue Medienwelt entstand. Mit hehren Motiven („um dabei zu sein“ oder „um den Anschluss nicht zu verpassen“) machten sich auch die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage daran, als Service die Menschheit mit Internet-Ausgaben, kompletten Online-Archiven wie Genios oder Jahrgang-CD-ROMs zu beglücken. Die Inhalte gab es ja. Artikel und Fotos brauchten nur noch (technisch) an die neuen Medien angepasst zu werden.

Diebstahl als Gewohnheitsrecht?

Echte Pioniere fragen nicht, sondern handeln. Die Zustimmung von Autoren und Fotografen zur kostenlosen digitalen Nutzung galt meist als stillschweigend vorausgesetzt. Wo juristische Bedenken auftauchten, wurden umfängliche AGBs (Allgemeine Geschäftsbedingungen) erstellt und unterschriebene Revers eingefordert. Und wer als Freier auf sein Recht pochte, ward auch schon mal mit Einmalzahlung und künftigem Auftragentzug abgefunden.

So wurden Fakten geschaffen, die anfängliche Investitionen erträglicher, schwarze Zahlen früher erreichbar und heute meist schon Gewinne höher ausfallen lassen. Diese Geschäftspraktiken ehrbarer Kaufleute schienen soweit Usus zu sein, dass daraus fast schon Gewohnheitsrecht wurde, auf dem man weitere Geschäftsfelder erschließen konnte – wie die Presse Monitor GmbH (PMG) der Verleger, die am 1. Januar 2001 mit elektronischen Pressespiegeln auf den Markt drängen will.

Doch bald könnte die herrliche Zeit zu Ende gehen, in der die Mitnahme einer Zeitung aus dem Verkaufsständer ohne Bezahlung als Diebstahl bestraft wird, die unbezahlte Digitalverwertung geistigen Eigentums aber die Regel ist. Die gesetzliche Festschreibung einer „angemessenen Vergütung“ für jede Nutzungsform ist der Kernpunkt eines Entwurfes für ein Urhebervertragsrecht, den fünf renommierte Experten für das Bundesjustizministerium erarbeitet haben (siehe M 7 und 8-9/2000). Ministerin Herta Däubler-Gmelin beabsichtigt nicht nur dies durchzusetzen, sondern ebenso die vorgeschlagenen erzwingbaren „Gesamtverträge“. Damit könnten Urheberverbände wie die IG Medien – analog zu den Tarifverträgen für Arbeitnehmer – Kollektivvereinbarungen für ihre freiberuflichen Mitglieder über Urhebervergütungen abschließen, beispielsweise über Mindesthonorare für Zweitverwertung in Online-Zeitungen.

Damit solle die Medienwirtschaft „zwangskollektiviert“ werden, tönen die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger BDZV und VDZ in ihrer Stellungnahme, in der sie den Gesetzesvorschlag als „insgesamt untauglich“ ablehnen. Sie behaupten nicht nur die „Unvereinbarkeit mit Marktwirtschaft und Vertragsfreiheit“ und eine Gefährdung des Medienstandortes Deutschland, wenn die Vorschläge verwirklicht würden, sondern rücken sie in die Nähe verfassungsfeindlicher Bestrebungen – mit Verweis auf „die berufs- und eigentumsrechtlichen Positionen der Verleger aus Artikel 5 (Pressefreiheit, speziell: Sicherung ihrer wirtschaftlichen Grundlagen), 12 (Freiheit der Berufsausübung) und 14 (Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) GG“.

Davon können andere nur träumen

Außerdem ist nach Verlegermeinung gegenwärtig schon alles zum Besten bestellt: Die Redakteure an Zeitschriften und Zeitungen hätten Arbeitsbedingungen, „von denen viele Arbeitnehmer in Deutschland nur träumen können.“ Und die freien Journalisten (fürwahr ein buntes Völkchen, „die Spannbreite reicht vom Ornithologen, der Berichte über heimische Vögel in der lokalen Tageszeitung veröffentlicht, über den Prominentenfotografen hin zur Spezialistin für ein bestimmtes Thema“) hätten bereits „im Jahr 1986 im Schnitt Umsätze von 123.000,00 DM jährlich erzielt“. Ein „höheres Niveau“ sei nicht drin. Das „würde im Ergebnis bestimmte Segmente der Presselandschaft in ihrer Existenz gefährden“ – wobei die Verleger insbesondere auf die marktbeherrschenden „Lokalzeitungen oder Kirchenblätter“ verweisen.

Doch sicher sind sich die Verlegerverbände nicht, dass ihre dramatischen Warnungen an der richtigen Stelle Gehör finden. Schließlich gilt Schröder als „Auto-Kanzler“ und hat bisher noch keine Maßnahmen ergriffen, um „Spiegel“ und „Stern“, die „Hannoversche Allgemeine“, WAZ und den „Schwarzwälder Boten“ von der Abwanderung ins Ausland abzuhalten. Deshalb wird neben der Standort-Keule auf Verzögerung gesetzt: Bevor irgendetwas beschlossen würde, sei eine „rechtstatsächliche Untersuchung“ erforderlich. Das brächte immerhin einige weitere Jahre des Alleinkassierens und Faktensetzens.

Horrormeldungen für PC-User

Auch den Informationstechnologie-Herstellern, selbst penibel bedacht auf den Schutz ihrer Urheber- und Patentrechte, droht Gewinnschmälerung durch die Urheber. Denn schon das gültige Urheberrechtsgesetz sieht Abgaben auf Geräte und Trägermedien vor, mit denen Urheberwerke vervielfältigt werden können. Diese Abgaben beispielsweise auf Kopier-, Tonband-, Video-, Faxgeräte und Scanner sowie Leerkassetten werden als Ausgleich für erlaubte private Kopien seit vielen Jahren erhoben und über die Verwertungsgesellschaften an die Urheber verteilt.

Nun sollen auch die heute gebräuchlichen Vervielfältigungsgeräte wie PCs einbezogen werden. Darüber wird bereits zwischen Verwertungsgesellschaften und Industrie verhandelt. Und dies empfiehlt auch der kürzlich von Ministerin Däubler-Gmelin vorgelegte „Zweite Vergütungsbericht“ (die erste dieser Erhebungen, die eigentlich alle drei Jahre erstellt werden sollen, stammt aus dem Jahr 1984). Das ist folgerichtig. Das weiß auch die Computerindustrie. Doch ein Aufschrei der Empörung gehört offensichtlich zum Geschäft. Das stärkt zumindest die Verhandlungsposition.

Und da man auch in vielen Redaktionen vom Urheberrecht wenig weiß, wurden die Meldung von der drohenden Preiserhöhung für PCs von „(bis zu) 30 Prozent“ meist ungeprüft verbreitet und teilweise sogar mit Schlagworten wie „PC-Steuer“ ausgeschmückt. Wenn’s denn so wäre, könnten besonders die freien Journalisten und Künstler jubilieren. Doch es geht um viel weniger. So werden heute etwa für Kassettenrecorder 2,50 Mark, für Videokameras 18 Mark oder für Telefaxgeräte und Scanner 37,50 Mark erhoben. Auch die längst überfällige PC-Abgabe wird sich im zweistelligen Bereich bewegen.

Immerhin sorgen die geplanten Gesetzesnovellen dafür, die rechtliche Situation und wirtschaftliche Teilhabe der Urheber im digitalen Zeitalter abzusichern. Wenn dies gelingt, wäre ein kleiner freudiger Aufschrei der Zufriedenheit durchaus angebracht. Doch im Selbstlauf, das zeigen die Reaktionen von Verlegern und PC-Herstellern, wird dies nicht geschehen.

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