Unsichtbare Kunst sichtbar machen

„film+“: Forum für Filmschnitt und Montagekunst

Der Filmschnitt, die schöpferische Leistung der Cutter/innen, neuerdings Editoren/innen genannt, wird selten gewürdigt. Das Kölner Festival „film+“ widmet sich als einziges seiner Art seit vier Jahren ausschließlich Filmschnitt und Montagekunst, prämiert den Schnitt eines Spielfilms und, erstmalig 2004, den eines Dokumentarfilmes.

Je fünf deutsche Spiel- und Dokumentarfilmproduktionen aus den letzten 12 Monate hatte eine aus Editor/innen bestehende Vorjury ausgewählt, an drei Tagen wurden sie öffentlich gespielt, zwei Jurys aus Filmexpert/innen kürten dann die beiden besten Editorenleistungen: Ein transparentes Verfahren für das weniger an ein Festival als an eine konzentrierte, aber sinnliche Fachtagung erinnernde Branchenforum. „Jenseits der roten Teppiche“ benannte Oliver Baumgarten vom Filmmagazin „Schnitt“, dem Erfinder und Veranstalter von „film+“ das Motto. Jenseits der roten Teppiche erzählten die Hautpersonen: 200 Stunden Filmmaterial bekam Mona Bräuer, Editorin von „Höllentour“, der die Tour de France dokumentiert, von Regisseur Pepe Dankwarth auf den Schneidetisch. Wie viele ihrer Kollegen/innen liebt sie den Dokumentarfilmschnitt: „Ohne Drehbuch hat man viel mehr gestalterische Freiheit, der Film entsteht beim Schnitt.“ „7 Brüder“ ist ein ähnlich eindrückliches Beispiel für die Bedeutung des Schnitts: Im Film von Sebastian Winkels erzählen sieben Brüder ihr Leben, jeder alleine acht Stunden an einem Tag, alle im selben Raum, auf dem selben Stuhl, mit denselben acht Kameraeinstellungen. Für Editorin Valérie Smith waren das 56 Stunden Material für letztlich 86 Minuten und sechs Monate Arbeit, bei der es vor allem darauf ankam, „ein fragiles Gleichgewicht“ zwischen den sieben Protagonisten herzustellen und „kleine Überraschungen einzubauen, damit es nicht langweilig wird“. Der Rhythmus und die Geschwindigkeit eines Filmes, die Dramaturgie und ihre Entwicklung, raffinierte oder originelle Montagen, das sind Kriterien für die Beurteilung einer Schnittleistung. Diese Phänomene als eigenen Beitrag der Editor/innen zu erkennen war Aufgabe der Jury.

Das Forum diente auch dem Erfahrungsaustausch, der Diskussion und dem Lernen. So probierten sich im „Nachwuchsforum“ Studierende der einschlägigen Hochschulen aus Köln, Babelsberg und Ludwigsburg gleichzeitig am selben Ausgangsmaterial und die Vorführung ihrer höchst unterschiedlichen Werke geriet zu einer Lehrstunde in Sachen Schnitt. Dass Editoren/innen die Filmerzählung beeinflussen, die Dramaturgie durch eine bestimmte Schnittfolge völlig verändern oder sogar für einen Nachdreh sorgen, weil sie den Regisseur davon überzeugen können, dass „es nicht zu schneiden ist“, lernte der Nachwuchs zudem anhand von Beispielen im Werkstattgepräch „Die Cleaner – Problemlösung im Schneideraum“.

Welchen Einfluss herausragende Editor/innen haben können, zeigte die diesjährige Hommage: Das von der Filmstiftung NRW und der Stadt Köln geförderte Forum ehrte Thea Eymèsz für ihre Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder und später Erwin Leiser. „Angst essen Seele auf“ und „Faustrecht der Freiheit“ heißen zwei jener 18 Filme, die Eymèsz für Fassbinder in acht Jahren seit 1968 schnitt, im Rohschnitt stets ohne den Regisseur und ohne das Drehbuch vorher zu lesen.

Handwerkliche und inhaltlich-ästhetische Diskussionen ließen wenig Raum, über die Bedingungen auf dem freien Markt der freien Editoren/innen zu sprechen. Ein Trend: Filmschnitt ist kein reiner Frauenberuf mehr. Seitdem am Computer gearbeitet wird, gibt es immer mehr männliche Cutter. Der Dokumentarfilm aber ist noch weitgehend in weiblicher Hand: Dort wird schlechter bezahlt.
Infos: www.filmpluskoeln.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Innovatives Arbeiten im Journalismus

Flache Hierarchien, flexible Workflows und rollenbasierte Teamarbeit sind Kernelemente von agilem Arbeiten. Das Konzept stammt aus der Softwareentwicklung und hält inzwischen auch im Journalismus Einzug. Die Studie „Agiles Arbeiten im Journalismus: Einführung, Anwendung und Effekte von agilen Methoden in deutschen Medienhäusern“ untersucht, wie deutsche Medienhäuser agile Arbeitsmethoden in den redaktionellen Arbeitsalltag integrieren.
mehr »

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »

Nachrichtenvermeidung nimmt zu

Der „Reuters Digital News Report“ stellt fest:  Zwei Drittel der Deutschen vermeiden es inzwischen mindestens gelegentlich, sich mit aktuellen Nachrichten zu beschäftigen. Gleichzeitig wollen viele wissen, was los ist. Was da scheinbar nicht zusammenpasst, stellt sich angesichts der Nachrichteninhalte in Teilen nachvollziehbar dar - ein genauerer Blick auf den Bericht.
mehr »

Zeichnen heißt Leben: Safaa Odah

Im politisch aufgeladenen Kontext des Gaza-Krieges ist die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Umso bemerkenswerter sind die Versuche von Autor*innen, den Fokus mit journalistischen Mitteln auf das Leid der Menschen zu lenken. Neben dem Westjordanland zeichnen auch in Gaza Künstler*innen Cartoons und Karikaturen gegen den Krieg. Zum Beispiel die junge Zeichnerin Safaa Odah. Martin Gerner hat sie online getroffen.
mehr »