ver.di-Preis für Israelin

Dokumentarfilm-Festival in Leipzig ohne Zukunft?

Das 46. Leipziger Festival brachte mehr Erfreuliches als Ärgernisse. Gab es im Vorfeld und auch während der sechstägigen traditionellen Veranstaltung viel Geraune um ihre Zukunft, so überzeugten doch die üppigen Filmtage von der Attraktivität und Kreativität der 1955 begründeten Filmwoche.

Der Vertrag von Festivalchef Fred Gehler, der in der brisanten Nachwendezeit die gestandene Woche in die Neuzeit rettete, läuft aus – und keine gleichwertige Nachfolge ist in Sicht. Natürlich ist da Gehler jedwede ideelle wie materielle Unterstützung „seines“ Festivals und dessen Zukunft willkommen, darunter der seit 1992 vergebene und mit 1.500 Euros dotierte ver.di-Preis. Der professionellen Jury, die über die Vergabe von Leipzigs Goldenen und Silbernen Tauben befindet, gehörte der Vorjahressieger Michael Gaumitz an, der für „Exil in Sedan“ die ver.di-Trophäre erhalten hatte. Neben dem obligaten Wettbewerb der Dokumentar- und Animationsfilme gab es ein lukratives Rahmenprogramm. Dazu zählten die beiden Retrospektiven „Peter Schamoni Filmstücke“, gewidmet einem der namhaftesten bundesdeutschen Filmemacher, und „Blick / Gegenblick“ mit Zelluloidarbeiten aus der einstigen Sowjetunion und über sie. Und da sich naturgemäß auf einem Festival die Angebote überlappen, hatten die ver.di-Juroren die Qual der Wahl, wobei alle vier Kollegen aus dem mitteldeutschen Raum stets pünktlich in den Dokumentarfilm-Wettbewerbsvorführungen saßen. Denn aus diesen 16 Wettbewerbsbeiträgen mit einer Laufzeit zwischen 6 und 133 Minuten war der Preisträger zu ermitteln. Nach bislang kaum gekannten kontroversen Debatten in einer ver.di-Jury angesichts eines ausgewogenen und mehrfach preiswürdigen Programms hieß die Preisträgerin: Tam Wishnitzer-Haviv. Die 33jährige israelische Regisseurin, studierte Psychologin und Filmwissenschaftlerin, legte mit ihrem knapp einstündigen „Leben für Land“ ihren ersten Dokumentarfilm vor. Und der ist – laut einhelliger Meinung der ver.di-Jury – sogleich ein rundum gelungenes Debüt. Die Regisseurin fuhr mit ihrem Team auf einen israelischen, von pälestinensischen Orten umgebenen Hügel. Sie wollte dort einen Film über beide Seiten drehen, doch die Palästinenser verweigerten sich ihr. Sie stieß auf eine israelische Siedlerfamilie, deren Sohn von der anderen Seite erschossen wurde. Der Vater war und wurde zunehmend zu einem Ultra, doch die Witwe und Schwiegertochter verweigerte sich dem Mythos um den Getöteten. Sie verließ schließlich mit ihren vier Kindern den brisanten Landstrich.

Die in einem berührenden, vielschichtigen und differenzierten Frauenporträt, zudem in eindringlichen Bildern vorgetragene Botschaft für Toleranz und Verständnis überzeugte die ver.di-Jury, und so bekam dieser Film ihren Preis. Als Tamar Wishnitzer-Haviv bei der Preisvergabe die Bühne betrat, gab sie sich überrascht und schüchtern – und war sichtlich überwältigt, auf diesem internationalen Festival gewürdigt zu werden. Vielleicht mit der Aussicht, im kommenden Jahr der „großen“ Jury anzugehören. Falls es diese Leipziger Institution noch gibt …

 

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