Verfassungsbruch

ver.di-Vize Frank Werneke fordert auch künftig einen Höchstgrad an Staatsferne

M | Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Politik ihre medienpolitischen Ziele nicht durch eine Intervention in den Prozess der Gebührenfindung durchsetzen kann. Kehrt mit diesem Urteil jetzt Ruhe an der medienpolitischen Front ein?


FRANK WERNEKE | Ganz und gar nicht, aber das Gericht hat deutlich gemacht, wo die Medienpolitik ihren Platz hat: in der gesetzgeberischen Aufgabe, den Rundfunkauftrag zu definieren, aber nicht hinterrücks über die Gebührenfestsetzung. Die Finanzierung muss Bestand und Entwicklungsfähigkeit garantieren, sie darf nicht missbraucht werden zur politischen Einflussnahme. So war es zuletzt der Fall, das war der Verfassungsbruch – und das Urteil kommt damit einer Abstrafung der damaligen Interventionen von Steinbrück, Milbradt und Stoiber gleich. Insofern wurden beide Seiten durch das Urteil gestärkt – die Rundfunkanstalten einerseits, der Gesetzgeber, also die Landesparlamente andererseits.

M | Inwieweit ist eine Präzisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags nötig? Könnte die demnächst fällige Einführung eines obligatorischen Public Value Tests für neue Angebote nicht zu einer Einschränkung der Entwicklungschancen von ARD, ZDF und Deutschlandradio führen?

WERNEKE | Das Gericht hat sowohl die Rolle des Gesetzgebers als auch des Rundfunkauftrags hervorgehoben. Daher stärkt das Rundfunkurteil auch diejenigen, die einen kritischen Blick auf das Verhältnis von Qualität und Quote haben. Jetzt muss der EU-Kompromiss in neue Verfahren zur Ausgestaltung des Rundfunkauftrags eingearbeitet werden – wobei gerade hier das Karlsruher Urteil hilfreich ist. Es setzt der Wettbewerbslogik der EU deutlich Grenzen. Karlsruhe hat klar die Entwicklungsfähigkeit im Bereich neuer Dienste und Formate verlangt – allerdings nicht für jede Spielerei, sondern in Bezug auf den Auftrag, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu erfüllen hat.

M |
 Das Gericht hat Alternativen zum gegenwärtigen Gebührenverfahren – zum Beispiel eine mögliche Indexierung – nur angedeutet. Unter welchen Prämissen könnte sich ver.di eine Reform der Rundfunkfinanzierung vorstellen?

WERNEKE |
 Eine Reform des Rundfunkfinanzierungsverfahrens – das ja nichts mit dem Gebührensystem, also der GEZ-Gebühr, zu tun hat – braucht einen Höchstgrad an sogenannter Staatsferne. Man könnte dies etwa über den reinen Verordnungsweg, den das Gericht für möglich hält, gewährleisten. Diese Alternative hatte ja auch ver.di in der mündlichen Verhandlung mit vorgeschlagen. So eng aber, wie das Gericht jetzt das bisherige Verfahren ausgelegt hat, wurde es für gut befunden. Von der Gebührenempfehlung der KEF können die Parlamente jetzt nur noch abweichen, wenn sie dies auch wirklich nachvollziehbar begründen. Und der Hinweis des Gerichtes, die Einbindung der Parlamente würde die Akzeptanz der Gebührenfestsetzung stärken, ist sehr ernst zu nehmen.

Das Gespräch führte Günter Herkel

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