Verfassungswidrig

Richter rügen politische Ränkespiele im ZDF und zwingen zu Veränderung

Der ZDF-Staatsvertrag ist verfassungswidrig, der staatliche Einfluss auf den Sender zu hoch. Mit deutlichen Worten hat das Bundesverfassungsgericht die politischen Ränkespiele in den ZDF-Gremien kritisiert und einen neuen Meilenstein in seiner Rundfunk-Rechtsprechung gesetzt. Dennoch bleibt einiges vage, ein weitergehendes Urteil wäre wünschenswert gewesen.

Schauen wir kurz zurück in das Jahr 2009. Damals stand eine eher routinemäßige Entscheidung des ZDF-Verwaltungsrates an: die Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender. So hatte es der damalige Intendant des Senders, Markus Schächter, dem Aufsichtsgremium vorgeschlagen. Doch dann passierte, was der damalige hessische Ministerpräsident und das Verwaltungsratsmitglied Roland Koch bereits in der Öffentlichkeit angekündigt hatte: Brender konnte nicht bleiben. Im November 2009 votierte die CDU-nahe Mehrheit des Verwaltungsrates gegen den amtierenden Chefredakteur.

Brender, Schächter, Koch – keiner ist noch in seinem Amt. Dennoch hat das Machtspiel massiv nachgewirkt. Die Debatte über die offensichtlich politisch motivierte Absetzung eines Chefredakteurs einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt förderte zu Tage, welche Einflüsse im ZDF herrschen und, dass das allseits gepredigte Gebot der Staatsferne längst ad absurdum geführt war. Auch ver.di kritisierte die Vorgänge im Sender damals massiv und als nicht vereinbar mit der Rundfunkfreiheit. Doch trotz breiter Kritik in Öffentlichkeit und Politik fand sich im Bundestag kein Viertel der Abgeordneten zusammen, das für die Einreichung einer Normenkontrollklage notwendig ist. Dies scheiterte vor allem an der SPD-Fraktion, die sich Grünen und Linken nicht anschließen wollte. Nach einigem Ringen aber waren es letztlich die SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz und Hamburg, die im Januar 2011 Antrag auf Normenkontrolle in Karlsruhe stellten.

Neue Grenzen gezogen

Was lange währt, kann also gut werden. Ende März erklärte das Bundesverfassungsgericht die Normenkontrollanträge als überwiegend erfolgreich und formulierte in eindringlichem Richterdeutsch: „Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss dem Gebot der Staatsferne genügen. (…) Danach hat der Staat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwar zu organisieren und dessen Auftrag durch eigene Anstalten zu erfüllen, muss dabei aber Sorge tragen, dass die Gestaltung des Programms und dessen konkrete Inhalte nicht in die allgemeine staatliche Aufgabenwahrnehmung eingebunden werden.“ Kurzum: ein staatlich beauftragter öffentlich-rechtlicher Rundfunk ja, staatliche Einflussnahme nein.

Dabei wird das Gericht auch konkret: Künftig muss in den Aufsichtsgremien des ZDF der Anteil der staatlichen oder staatsnahen Mitglieder auf ein Drittel der Mitglieder beschränkt sein. Derzeit stellen im Fernsehrat die Vertreter der Länder, des Bundes, der Kommunen und von politischen Parteien allein 44 Prozent und damit nahezu die Hälfte der Mitglieder. Bei wichtigen Entscheidungen verfügen diese zudem über eine Sperrminorität. Im Verwaltungsrat sieht es nicht viel anders aus. Die Konsequenz der Richter: Der staatliche Einfluss ist zu hoch, die Regelungen des Staatsvertrages sind daher verfassungswidrig.

Konsequentere Vorgaben verfehlt

Warum Karlsruhe jedoch den Politikereinfluss als Gefahr erkennt und ihn „deckelt“, zugleich aber weiterhin Vertreter von Landesregierungen und Bundesregierung in den Gremien billigt, erschließt sich nicht. So können also auch künftig Ministerpräsidenten oder Kabinettsmitglieder der Bundesregierung das ZDF beaufsichtigen. Eine neue „Causa Brender“ ist zugegebenermaßen unwahrscheinlicher geworden. Dennoch hätte das Urteil mit dem expliziten Ausschluss von Vertretern der Exekutive, wie auch ver.di es gefordert hatte, an Klarheit und Stringenz gewinnen können. Ähnlich formuliert es auch Verfassungsrichter Andreas Paulus in seinem Sondervotum: „Das Urteil setzt seinen eigenen Ansatz nur zum Teil um.“ Dabei habe sich längst gezeigt, dass sich die Gremien und damit die Anstalten der Politik anpassten, nicht die Politik den Aufgaben der Gremien. Vor allem für den Verwaltungsrat „führen die vagen Vorgaben des Urteils für die Pluralität der Staatsvertreter kaum eine wirksame Vielfaltsicherung herbei“.

Auch bei der Benennung der Fernsehratsmitglieder hätte das Gericht ein stärkeres Signal senden können. Bisher haben die entsendenden Institutionen lediglich ein Vorschlagsrecht für ihre Vertreter, die Berufung obliegt den Ministerpräsidenten. Nach Ansicht des Gerichts sollen diese künftig „keinen bestimmenden Einfluss“ mehr auf die Benennung haben und nur in Ausnahmefällen und bei besonderen rechtlichen Gründen Vertreter zurückweisen können – was auch immer das bedeutet. ver.di hatte hier ein direktes Benennungsrecht gefordert, wie es bei den ARD-Anstalten üblich ist. Das hätte Staatsferne eher garantiert. Vage bleiben die Verfassungsrichter auch bei der Frage der Gremienbesetzung und der Vielfalt der vertretenen gesellschaftlich relevanten Gruppen. Sie befürchten eine „Dominanz von Mehrheitsperspektiven“ und eine „Versteinerung der Zusammensetzung“ und fordern deshalb, dass leisere Stimmen mehr Gehör finden. Untereinander wechselnd müssten auch kleinere Gruppierungen abgebildet werden. Wie dies umzusetzen ist, lassen sie offen.

Doch trotz aller Einwände im Detail kann der Richterspruch als weiterer Meilenstein verstanden werden, der über das ZDF hinaus ausstrahlen und auch bei so mancher ARD-Anstalt zu einer Neuordnung führen könnte. Zunächst aber sind die Länder aufgefordert, einen ZDF-Staatsvertrag zu beschließen, der es mit der Staatsferne ernst meint. Bis 30. Juni 2015 haben sie Zeit dazu.

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