Verfassungswidrig

Niedersächsisches Mediengesetz vor Gericht durchgefallen

Eine schwere Niederlage erlitt die Niedersächsische Landesregierung vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg. Teile des nach heftigen Diskussionen im Landtag von CDU und FDP verabschiedeten novellierten Mediengesetzes sind laut Gerichtsurteil verfassungswidrig. Sie verstoßen gegen Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit regelt.

Geklagt gegen die Neufassung des Landesmediengesetzes hatten die Mitglieder der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag. Die Klage bezieht sich auf einen Passus des Gesetzes, mit dem Unternehmen, an denen eine politische Partei beteiligt ist, der Betrieb von Radiosendern verboten wird. Und zwar schon dann, wenn auf mindestens einer Stufe einer Kettenbeteiligung von der Partei bis zum Sender ein Anteil von zehn Prozent überschritten wird. Davon betroffen ist allein die SPD. Über ihre Medienholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (ddvg) ist sie mit rund 20 Prozent an der hannoverschen Verlagsgesellschaft Madsack (Hannoversche Allgemeine, Neue Presse) beteiligt. Madsack wiederum hält Minderheits-Beteiligungen an den privaten Radiosendern ffn, Hitradio Antenne und Radio 21.

In der Urteilsbegründung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 6. September heißt es: „Zwar stellt ein beherrschender Einfluss politischer Parteien sowie der von politischen Parteien abhängigen Unternehmen auf den privaten Rundfunk eine Gefahr für dessen Unabhängigkeit dar, doch rechtfertigt dies nicht den generellen Ausschluss der politischen Parteien vom Grundrecht der Rundfunkfreiheit. Die Annahme der funktionellen Inkompatibilität von Rundfunk und politischen Parteien ist mit deren Aufgaben in der parlamentarischen Demokratie nicht vereinbar. (…) Das Grundgesetz hat ihnen durch Artikel 21 Absatz 1 die Aufgabe zugewiesen, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.“ Allerdings handele es sich bei der Novellierung des Mediengesetzes nicht um eine „Lex SPD“, also um ein verbotenes Einzelfallgesetz, betonte Gerichtspräsident Manfred-Carl Schinkel. Der Staatsgerichtshof nahm vielmehr daran Anstoß, dass nach den vorgesehenen Regelungen an keiner Stelle einer Kettenbeteiligung der Anteil der Muttergesellschaft an der Tochter mehr als zehn Prozent betragen durfte. Nach dieser Regel nämlich wäre bereits ein tatsächlicher Parteien-Anteil an einem Sender von nur 0,1 Prozent verboten. Das Gericht gab nun den Hinweis an den Gesetzgeber, dass die Beteiligung einer Partei an einem Rundfunksender insgesamt bis zu zehn Prozent betragen dürfe.

Der frühere Fraktionsvorsitzende der SPD im Niedersächsischen Landtag, Sigmar Gabriel, wertet die Entscheidung als Erfolg für seine Partei: „Und es ist eine Ohrfeige für die Art und Weise gewesen, wie CDU und FDP im Landtag versuchen, nach Gutsherrenart Gesetze durchzupeitschen.“ Die Leiterin der Niedersächsischen Staatskanzlei, Gabriele Wurzel, sieht mit dem Urteil dagegen das medienpolitische Ziel der Regierung Wulff bestätigt, die Rundfunkfreiheit vor politischer Einflussnahme zu schützen: „Die Niedersächsische Landesregierung wird jetzt prüfen, wie eine vom Gericht grundsätzlich für zulässig erachtete Begrenzung ausgestaltet werden kann und diese dem Landtag vorlegen.“ Damit beweist die Staatskanzlei allerdings eine erstaunliche Resistenz gegenüber Niederlagen in Verfassungsfragen. Wurde doch bereits die von Schwarz-Gelb verordnete vorbeugende Telefonüberwachung im Niedersächsischen Polizeigesetz vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig zurück gewiesen.

Im Falle des Mediengesetzes vermutet die Bundesschatzmeisterin der SPD, Inge Wettig-Danielmeier, jedenfalls sachfremde Gründe: „Seit dem Parteispendenskandal der CDU haben wir es mit dem Versuch der Union und der FDP zu tun, der SPD gravierenden wirtschaftlichen Schaden zuzufügen und sie damit auch in ihrer politischen Arbeit zu beeinträchtigen.“ Die Medien-Beteiligungen seien ein kleiner Ausgleich für die immensen Spenden an CDU und FDP aus der Wirtschaft. Pro Jahr flössen rund sechs Millionen Euro aus den Einnahmen der ddvg in die Parteikassen. Wettig-Danielmeier verweist in diesem Zusammenhang auch auf das ebenfalls von Schwarz-Gelb in Hessen verabschiedete Mediengesetz, das mit dem völligen Ausschluss der Beteiligung von Parteien am privaten Rundfunk noch viel rigider in die Rundfunkfreiheit eingreift. Das Niedersächsische Urteil wird präjudizierende Auswirkungen auf die Normenkontrollklage mehrerer SPD-Bundestagsabgeordneter vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Passus des Hessischen Mediengesetzes haben.

Weitere aktuelle Beiträge

Weimer, ein konservativer Kulturkämpfer

Der neue Staatsminister und Bundesbeauftragter für Kultur und Medien Wolfram Weimer gilt politisch als Vertreter des liberal-konservativen Spektrums. Als ausgewiesener Kenner der Kulturpolitik war er bis zu seiner überraschenden Berufung im Mai nicht aufgefallen. Dagegen kann er aufgrund seiner vielfältigen Erfahrungen als Chefredakteur diverser Blätter (Welt, Cicero, Focus) sowie als Verleger des Magazins The European im Medienbereich eine beachtliche Expertise vorweisen.
mehr »

Rechte Gratiszeitungen machen Meinung

In Ostdeutschland verbreiten kostenlose Anzeigenblätter zunehmend rechte Narrative – etwa der Hauke-Verlag in Brandenburg. Unter dem Deckmantel von Lokaljournalismus mischen sich Werbung, Verschwörungserzählungen und AfD-Propaganda. Möglich wird das auch wegen der Krise des Lokaljournalismus: Wo es kaum noch Medienvielfalt gibt, füllen rechte Angebote die Lücken.
mehr »

dju: Kritik an Anti-SLAPP-Entwurf

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert Nachbesserungen am Referentenentwurf für ein Anti-SLAPP-Gesetz. Mit dem Gesetz soll das Problem der strategischen Einschüchterungsklagen gegen kritische Berichte von Journalist*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen eingedämmt werden. Die dju kritisiert die im Entwurf bestehenden juristischen Schlupflöcher.
mehr »

Palantir nicht mit EU-Recht vereinbar

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di hält den Einsatz der Analysesoftware Palantir durch die Polizei für nicht mit EU-Recht vereinbar. Hintergrund ist die Ankündigung von Innenminister Dobrindt, einen flächendeckenden Einsatz von Palantir prüfen zu lassen. Baden-Württemberg hat als inzwischen viertes Bundesland den Weg zum Einsatz der Analysesoftware durch seine Landespolizei freigemacht.
mehr »