Vergiftete Luft

Konflikt um eine Dokumentation entzweit WDR und Autor

Ab wann ging es bergab mit der Zusammenarbeit zwischen dem freien Journalisten Tim van Beveren und der WDR-Redaktion „Die Story” bei der Doku über vergiftete Luft in Verkehrsflugzeugen? War es schon, als im September 2013 der WDR-Redakteur Roman Stumpf sein Coautor wurde („Unter Druck, und um die Produktion nicht zu gefährden”, sagt van Beveren. „Einvernehmlich”, sagt der WDR)? Oder war es im Februar 2014, als die Redaktion sich in einer Mail an die Lufthansa-Pressestelle ohne sein Wissen von ihm distanzierte, ihn zum „fachkundigen Co-Autor” degradierte, „redaktionell” ohne Einfluss neben einem „Filmautor Dr. Roman Stumpf”?

Foto: Tim van Beveren

Es sei der Redaktion um „Schadensbegrenzung” gegangen, schreibt der WDR im Oktober. Van Beveren hatte auf seiner nichtöffentlichen facebook-Präsenz unter anderem ein Foto von seinen Recherchen, eine Frau mit Atemmaske auf einem Lufthansa-Flug (siehe Bild), sowie eine spöttische Bemerkung über Luftfahrtpressestellen gepostet. Die Lufthansa-Pressestelle erfuhr davon und nahm es zum Anlass, van Beveren Voreingenommenheit zu unterstellen und eine in Aussicht gestellte Kooperation bei den Dreharbeiten zurückzuziehen. Van Beveren sagt, es sei ihm auf facebook um „Vertrauensbildung” bei der „Betroffenenszene” gegangen. Er glaube, die Lufthansa hätte ohnehin nie vorgehabt zu kooperieren.
Fortan, so wies die Redaktion ihn laut einer E-Mail an, solle nur noch Stumpf bei Dreharbeiten im Bild zu sehen sein. Und später hieß es mal kurz in einer ARD-Programmankündigung des Films, angeblich versehentlich: „Ein Film von Roman Stumpf. Mitarbeit Tim van Beveren”.

Da haben sie noch zusammen gearbeitet: Tim van Beveren (l.), Roman Stumpf mit dem Wissenschaftler Christiaan van Netten (r.) bei den Dreharbeiten. Foto: Tim van Beveren
Da haben sie noch zusammen gearbeitet: Tim van Beveren (l.), Roman Stumpf mit dem Wissenschaftler Christiaan van Netten (r.) bei den Dreharbeiten.
Foto: Tim van Beveren

Am Ende lag da ein Scherbenhaufen. Van Beverens derzeitiges Leib- und Magenthema lief am 7. Juli in der ARD ohne Nennung seines Namens. Er hatte seinen Autorennamen zurückgezogen – allerdings mit einem Zusatz, den der WDR in seinen Pressemitteilungen nicht erwähnt: „unter diesen Umständen”. Die Umstände waren: Trotz mehrfacher Aufforderung bekam er sein eigenes Werk vor der Ausstrahlung nicht zu sehen, das der WDR ohne seine Mitwirkung geändert hatte. Ob sein Redakteur Jo Angerer mittlerweile eine Liste gewünschter Änderungen berücksichtigt hatte, wusste er nicht. Seine Mängelliste hatte van Beveren am 24. Juni mit der Empfehlung beendet, die Ausstrahlung „sofort und ohne Gesichtsverluste zu verschieben.” Darauf reagierte die Redaktion nicht.
Die schließlich gesendete „Story” war sechs Minuten kürzer als möglich. Denn eine schwer erkrankte Condor-Flugbegleiterin hatte ihre Zustimmung zur Nutzung ihrer Aufnahmen zurückgezogen. Begründung ihres Rechtsvertreters Prof. Ronald Schmid: Wenn Tim van Beveren nichts mehr zu sagen habe, könne man sich auf Zusagen nicht mehr verlassen. Lange sträubte sich das WDR-Justiziariat dagegen – vergeblich. Schließlich war es offenbar zu spät, die entstehenden Leerstellen im Film zu füllen.
Die Aufnahmen mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern blieben gegen deren ausdrücklichen Protest im Film. Dies ist wohl der Grund dafür, dass der WDR die am 6. Oktober geplante Wiederholung des „Story”-Beitrags absetzen musste. Die Experten hatten untersucht, ob der Tod des britischen Piloten Richard Westgate durch Gift in der Kabinenluft verursacht wurde, und starke Indizien gefunden. Luftfahrtexperte van Beveren hatte sie schon früh davon überzeugt, exklusiv für die Doku bei Untersuchungen drehen und Interviews führen zu dürfen. Darüber schlossen er, die spätere WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich und die Wissenschaftler im Juni 2013 eine Vereinbarung. Nun, da van Beveren aus dem Spiel war, erklärte der Glasgower Anwalt Frank Cannon als Vertreter der Experten sowie der Hinterbliebenen des Piloten die Vereinbarung für nichtig und forderte den WDR auf, alle mit den Wissenschaftlern gedrehten Passagen zu entfernen. Begründung: Nur mit einem Filmautor van Beveren könne man sich darauf verlassen, dass ausschließlich autorisierte Aufnahmen verwendet würden. Die Autorisierung ist, so Cannon, für die Experten besonders wichtig, weil sie ihre Unabhängigkeit als Gutachter im Prozess um die Todesursache des Piloten nicht gefährden wollen.
Bis heute liegt Rechtsanwalt Cannon mit dem WDR im Streit. In einer umfangreichen Programmbeschwerde monierte er nicht nur eine unerlaubte Ausstrahlung der Aufnahmen. Ihn stören unter anderem auch unpräzise oder falsche Aussagen im Film (die auch schon van Beveren vor der Ausstrahlung moniert hatte) und das Verhalten des Coautors Roman Stumpf, der in dem Film als Fragesteller eingeschnitten war bei einer Antwort auf eine Frage im Interview mit Tim van Beveren. Bei Stumpf müsse man befürchten, dass sensible Informationen an die juristische Gegenseite gelangten, weil er als WDR-Redakteur parallel an der Berliner PR-Hochschule Quadriga „Networking/Lobbyismus” studiere, mit einem Stipendium der Industrie. Alle Punkte der Beschwerde wies WDR-Intendant Tom Buhrow am 9. Oktober zurück. Zur Gültigkeit des Vertrages zwischen Sonia Mikich, Tim van Beveren und den Wissenschaftlern verweist Buhrow auf semantische Feinheiten. Der „author” in der englischsprachigen Vereinbarung mit van Beveren sei mit „Urheber” zu übersetzen, nicht unbedingt mit „Autor”. Und Urheber sei van Beveren ja noch, die Vertragsgrundlage also nicht entfallen. Der Glasgower Rechtsanwalt findet dieses Argument des früheren USA-Korrespondenten einfältig („silly”) und unaufrichtig („disingenuous”) und kündigte gegenüber „M” an, den Rundfunkrat anzurufen.
Bis heute liegen das WDR-Justiziariat und van Beverens Rechtsanwalt Frank Fischer im Clinch. Ein Streitpunkt: Hat die Redaktion van Beveren aus dem Film gedrängt oder hat er sich selbst zurückgezogen? Zum Ende des Filmschnitts war es zum Bruch gekommen. Redakteur Jo Angerer habe einen dreitägigen Endspurt und eine Chefabnahme mit Sonia Mikich am 5. Juni verordnet, gegen seinen Widerspruch, sagt van Beveren. Was der Chefredakteurin gezeigt wurde, sah er anschließend nur als sehr verbesserungswürdige „Diskussionsgrundlage”. Van Beveren: „Stumpf und ich haben abwechselnd geschnitten und das gesamte Werk nie gemeinsam anschauen können.” Redakteur Angerer aber lehnt van Beverens Angebot ab, das Werk am eigenen Schnittplatz fertigzustellen und schickt ihn nach Hause.
Im Juni mailte van Beveren: „Hiermit sehe ich meine Verpflichtungen gegenüber dem WDR als erfüllt an. Weitere Tätigkeiten gerne, aber auf der Grundlage neuer … Vereinbarungen.” Kontext der Äußerung waren ausstehende Geldforderungen, was der WDR in sämtlichen Stellungnahmen verschweigt. Fest steht aber auch, dass Tim van Beveren sich danach noch vehement als Autor verhielt, Änderungen forderte, sich einmischen wollte. Warum hielt die Redaktion dennoch weiter daran fest, van Beveren selbst sei ausgestiegen? Die WDR-Pressestelle, an die die Redakteure verweisen, bleibt eine Antwort darauf schuldig. Van Beveren arbeitet mittlerweile an einer eigenen Fassung seines Werkes.

   Ulli Schauen

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Mediatheken löschen ihre Inhalte

In Zeiten von Video-on-demand, Streaming und Mediatheken haben sich Sehgewohnheiten verändert. Zuschauer*innen  gucken wie selbstverständlich Filme, Serien, Dokus oder Nachrichten online. Private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender pflegen daher inzwischen umfangreiche Mediatheken. Sendung verpasst? In den Online-Videotheken der TV-Anstalten gibt es nahezu alle Medieninhalte, um sie zu einem passenden Zeitpunkt anzuschauen, anzuhören oder nachzulesen. Irgendwann werden sie dann aber gelöscht.
mehr »

Neues vom Deutschlandfunk

Auch beim Deutschlandfunk wird an einer Programmreform gearbeitet. Es gehe etwa darum, „vertiefte Information und Hintergrund“ weiter auszubauen sowie „Radio und digitale Produkte zusammen zu denken“, erklärte ein Sprecher des Deutschlandradios auf Nachfrage. Damit wolle man auch „auf veränderte Hörgewohnheiten“ reagieren.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »