Im Privaten Rundfunk und der Filmwirtschaft entscheidet sich ein Stück Zukunft der Mediengewerkschaft
Teil I
Die IG Medien tut sich noch immer schwer mit ihren neuen Zielgruppen. Die Beschäftigten im privaten Rundfunk und der AV-produzierenden Wirtschaft haben zwar ähnliche Probleme (flexible Arbeitszeiten, Digitalisierung, Reorganisation der Betriebe nach neuen Managementmethoden Outsourcing etc.) wie ihre Kolleginnen und Kollegen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Ihr gewerkschaftliches Feeling und ihre Erwartungen sind dennoch völlig anders ausgeprägt. Nicht selten fühlen sie sich durch die Gewerkschaft in ihrer Bedeutung nicht richtig erkannt, weil in den medienpolitischen Erklärungen der IG Medien eindeutige Positionen für die Sender und Programme der Plogs, Scharfs und Pleitgens eingenommen werden, und kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in aller Öffentlichkeit auf die Thomas, Koflers und Kirchs eingedroschen wird. Kann die IG Medien den Spagat zwischen ihren medienpolitischen Grundsatzpositionen und den Bedürfnissen ihrer Mitglieder in der Privatwirtschaftsszene, die sich mit ihren Produkten natürlich auch identifizieren, nach sozialem Schutz und Service aushalten?
Sie muß, denn während sich kluge Köpfe in der IG Medien neue Kommunikations- und Betreuungsstrukturen für die Branche ausdenken, steht der Gewerkschaft schon die nächste „Science-fiction-Zielgruppe“, die Multimediabeschäftigten ins Haus. Seit zwei Jahren sind verschiedene Aktivitäten in Projektform angelaufen, um aus dem Umgang mit den Neuen Schlüsse für die Zukunft gewerkschaftlicher Organisationsformen zu ziehen. Auf diesem Feld, das ist den ehren- wie hauptamtlichen Akteuren klar, entscheidet sich die Zukunft der Mediengewerkschaft. Nur wenn es gelingt, die festen und vielen freien Beschäftigten an die IG Medien zu binden, wird es gelingen, als medien-, tarif- und betriebspolitischer Partnern auf Dauer ernst genommen zu werden.
Zwar hat die IG Medien von Anfang an recht erfolgreich Tarifpolitik für die Privaten gemacht (seit 1990 gibt es Bundesflächentarifverträge für die großen Fernseh- und Hörfunkbetriebe sowie Länderflächentarifverträge für die regionalen und lokalen Hörfunkanbieter) und ein attraktives Bildungs- und Kommunikationsangebot für Betriebsräte entwickelt. Doch der Organisationsgrad blieb eher bescheiden. Grund genug, eine Schwerpunktaktion privater Rundfunk/Filmwirtschaft ins Leben zu rufen, die mittlerweile an Kontur und Boden gewinnt. Zielgruppenorientierung, Koordinierungs-, Projekt- und Teamarbeit sollen dabei Vorrang vor Gremien-Pflichtübungen und verbalen Kraftakten haben.
„Rundum-Sorglos-Paket“ der IG Medien eingefordert
Was unterscheidet die Privatfunk- und Filmbeschäftigten eigentlich von traditionellen Medienbeschäftigten? Ein Brainstorming mit Privatfunkaktivisten der ersten Stunde im barocken Fulda sollte Aufschluß über diese wichtige Frage geben. Eindeutige Quintessenz des zweitägigen Workshops: Die IG Medien soll sich gefälligst um die Bedürfnis- und Betriebsstrukturen ihrer neuen Mitglieder kümmern, eine entideologisierte Analyse vornehmen und ein „Rundum-Sorglos-Paket“ für die streßgeplagten Mitarbeiter schnüren. Einer der Kernsätze auf Metaplankärtchen: „Die IG Medien muß die Wirkung des ADAC-Systems auf die Gewerkschaftsarbeit übertragen“.
Ein empörter Aufschrei über dieses vermeintlich konsumorientierte und wenig klassenkämpferische Denken, wie er bei einer Demonstration der Brainstorming-Ergebnisse im Kreise von Funktionären zu hören war, führt das neue Denken in die falsche Richtung. Richtig ist vielmehr, daß die Kolleginnen und Kollegen dieser Branche nicht nur im Arbeitsprozeß, sondern auch bei offenem gewerkschaftlichen Engagement persönlich stark unter Druck stehen. Geschäftsführer wie Thoma bei RTL und Kofler bei Pro 7 haben es offenbar par excellence geschafft, im Rahmen ihrer Corporate-identity-Strategien ihren Mitarbeitern verlockendere Beteiligungsformen anzubieten, als dies die Gewerkschaft heute tut. Deshalb stehen hinter dem Ruf nach mehr Service nicht nur persönliche Bereicherungsgelüste, sondern glasklare Forderungen nach mehr Professionalität der IG Medien bei der individuellen und kollektiven Betreuung ihrer Mitglieder im privaten Rundfunk und der Filmwirtschaft.
Was sich die Privaten alles wünschen
Was sich die Kolleginnen und Kollegen wirklich wünschen, sollen die nachstehenden ausgewählten Nennungen verdeutlichen. Auf die Frage „Welche Zielsetzungen sollte die Schwerpunktaktion privater Rundfunk/Filmwirtschaft der IG Medien haben?“, antworteten die Beteiligten u.a.: Mitgliedergewinnung, Entideologisierung/mehr Realitätsbezug, Bedürfnisanalyse der Beschäftigten, Kennenlernen der Betriebe und ihrer Strukturen, Informationsdienstleistungen anbieten, Zweckorientierung der Gewerkschaftsarbeit (Herausstellung der Leistungen der IG Medien – Warum ist die IG Medien wichtig?), Aufbau betrieblicher Gewerkschaftsstrukturen, Kompetenz der Betreuer etc.
Und das „Rundum-Sorglos-Paket“ definierten sie so: IG Medien-Card, Rechtsschutz im Arbeitsbereich, Unternehmerberatung (Scheinselbständige/Freie), Steuerberatung, Freizeitunfallversicherung, Presseausweis, Preisvorteile/Versicherungen, Programme „Fit for Job“, Hotline-Kommunikation, Arbeitnehmerberatung (individuell/kollektiv), Tarife, Job-shop, Publikationen (Job-Börse, Klatsch und Tratsch, berufsgruppenbezogene Rubriken zu technischer Entwicklung/Rechts-tips/Quellenservice), Mitgliederwerbung mit Kultprämien, „Goldene Serie“ von Musterbriefen für Betriebsräte, Journalisten etc., elektronische Vernetzung der Akteure.
Basiserhebung brachte Aufschluß über Bedeutung der Branche
Neben diesen subjektiven Erkenntnissen galt es für die IG Medien auch, den objektiven Blick auf die Zielgruppe zu stärken. Deshalb hat die IG Medien im vergangenen Jahr eine „Basiserhebung der Branche des privaten Rundfunks und der Filmbranche“ durchgeführt. Die von dem Leipziger Politikstudenten Wolfgang Pleyer erhobenen harten Fakten und weichen Erkenntnisse machen deutlich, daß sich für die IG Medien in der Wachstumsbranche des privaten Rundfunk und der Filmwirtschaft ein Stück Zukunft entscheidet. Allein an den Hauptmedienstandorten Berlin, Hamburg, Köln und München tummeln sich 1499 Betriebe der AV-produzierenden Wirtschaft mit insgesamt rund 40000 festen und arbeitnehmerähnlichen freien Beschäftigten, zu denen die IG Medien bisher nur bescheidenen Zugang erreicht hat.
In der gesamten Bundesrepublik gibt es darüber hinaus 444 Privatfunkbetriebe mit ca. 20000 Beschäftigten mit einem ähnlich geringen gewerkschaftlichen „Durchdringungsgrad“. In der Filmwirtschaft wurden von 1499 Betrieben bisher nur in rund 40 Betriebsräte gewählt. In die Untersuchung wurden folgende Betriebskategorien einbezogen: Bundesweites Fernsehen, regionales und lokales Fernsehen, bundesweiter, landesweiter, regionaler und lokaler Hörfunk, AV-Dienstleister, Film- und Fernsehproduzenten, Kopierwerke, Filmverleihfirmen und sonstige AV-Medienbetriebe. Erfaßt wurden der Betrieb, die Anzahl der Beschäftigten – aufgeschlüsselt nach Festen und Freien, davon Journalisten und Volontäre, die IG Medien-Mitglieder, die Verflechtungen des Betriebs, sowie die Betriebsräte. Mit Hilfe dieser Angaben wurde den IG-Medien-Landesbezirken eine standortbezogene „Betreuungsdatei“ zur Verfügung gestellt, die sie für die „Erschließungsarbeit“ verwenden können.
Schlechte Betreuung beklagt
Am Rande der Basiserhebung führte Wolfgang Pleyer eine stichprobenartige Bedürfnisanalyse der Beschäftigten durch. In die Befragung wurden auch Nichtmitglieder einbezogen. Sie bestätigten zwar nicht repräsentativ, aber im Trend die Ergebnisse des Brainstormings. So gab es auf die Frage „Welche künftigen Erwartungen stellen Sie an die IG Medien?“ folgende Hauptnennungen: Mehr politisches und soziales Engagement, mehr Information, mehr Service, mehr Interesse am privaten Rundfunk. Auf die Frage „Wo sollte die IG Medien deutlichere Schwerpunkte setzen?“ forderten 58 Prozent Rechtsberatung, 46 Prozent Tarifverträge, 41 Prozent Bildungsangebote und 40 Prozent Medienpolitik.
Auf die Frage „Wo liegen nach Ihrer Meinung die Gründe für den geringen Grad der gewerkschaftlichen Organisation?“ waren die meistgenannten Antworten: schlechte Betreuung, praxisferne Beratung, kein gewerkschaftliches Bewußtsein, Angst vor Nachteilen am Arbeitsplatz und schlechtes Image der IG Medien. 55 Prozent der Befragten verlangen auf die Frage „Welchen Service, welche Dienstleistungen soll die IG Medien anbieten?“ mehr Hilfe, Betreuung und Beratung, 28 Prozent mehr Information und 12 Prozent ein gewerkschaftliches Angebot zur Stellenvermittlung. l
Fortsetzung im nächsten Heft