Wer im Schatten lebt

Initiative „Integration und Fernsehen“ will Ausländern Gehör verschaffen und zur Integration beitragen

Nach dem Mord an dem Niederländer Theo van Gogh gab es auch in Deutschland Dis­kussionen über die so genannte Parallelgesellschaft: vermeintlich integrierte Einwandererfamilien, die bloß deshalb nicht weiter auffallen, weil sie unter sich bleiben. Schon im vergangenen Jahr hatte der Bremer Bürgermeister Henning Scherf daher ein „Ausländerfernsehen“ gefordert: ein Programm, dass sich ähnlich wie „Radio Multikulti“ vom RBB oder „Funkhaus Europa“ (WDR) mit wechselnden Angeboten an die verschiedenen Nationalitäten richtet.

Scherf erhoffte sich von diesem Programm eine bessere Integration der Ausländer. Tatsächlich spielen Migranten und die für sie relevanten Themen im Fernsehalltag praktisch keine Rolle. Ausnahmen wie der Komiker Kaya Yanar („Was guckst du?!“, Sat.1), der mit seiner Form von „Ethno-Comedy“ sogar ein eigenes Genre entwickelt hat, bestätigen die Regel. Der Versuch, mit „König von Kreuzberg“ (auch Sat.1) eine Sitcom im türkischen Milieu anzusiedeln, war ein völliger Flop. Wenn sich ARD oder ZDF mal explizit der Migrationsproblematik annehmen (etwa der WDR mit dem Zweiteiler „Zeit der Wünsche“), fällt das Ergebnis in der Regel didaktisch und entsprechend schwerfällig aus.

Trotzdem haben sich Experten gegen Scherfs Vision vom Ausländerfernsehen ausgesprochen. Medienforscher Bernd Schorb (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Leipzig) würde es zwar begrüßen, „wenn ein TV-Programm gezielt die Integrationsanstrengungen der wichtigsten Ausländergruppen unterstützen“ würde. Er ist aber skeptisch, ob dies einem öffentlich-rechtlichen Sender gelingen könne. Ein eigenes Programm würde Schorb ohnehin als „Medienghetto für Ausländer“ empfinden. Andere Wissenschaftler haben grundsätzliche Zweifel an der These, Medien könnten signifikant zur Integration von Ausländern beitragen. „Nur in ganz bescheidenem Maß“, glaubt Beate Schneider (Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Hannover). Immerhin haben ihre Studien ergeben: „Wer viel deutsche Medien rezipiert, ist ein bisschen besser integriert und hat ein größeres Interessen an Information“.

Deshalb reagieren die Experten recht reserviert auf einen neuen Vorstoß: Im Sommer wurde im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) die „Bundesinitiative Integration und Fernsehen“ gegründet. Nach dem Willen von Andreas Renner, dessen Ministerium für Arbeit und Soziales den Anstoß gab, soll die Aktion „Film- und Fernsehschaffende, Medienforscher und kulturschaffende Migranten“ zusammenführen.

Einzigartig in Europa

Die Plattform, einzigartig in Europa, „soll nachhaltig die mit Bildung und Integration verbundenen Themen im Fernsehen verankern“. Renner betrachtet die Initiative als „großen Schritt in die richtige Richtung: Das Fernsehen hat viele Möglichkeiten, Anregungen und Vorbilder durch Unterhaltungssendungen und ohne belehrenden Zeigefinger zu vermitteln“. Konkret sollen Migranten „eine stärkere personelle Präsenz in den Sach- und Unterhaltungsformaten erhalten und dabei auch exponierte und positiv besetzte Rollen einnehmen“ sowie von Anfang an in die Produktion miteinbezogen werden.

Schorb bleibt skeptisch: „Ich begrüße die Initiative und würde mich ihr auch anschließen, denn die Inhalte und Forderungen kann ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus nur unterstützen“. Seine Vorbehalte: Öffentlich-rechtliche Sender würden nur mitmachen, wenn ihnen keine Wahl bleibe, kommerzielle Sender nur dann, wenn es Quote bringe.

Michael Mangold, Leiter des Instituts für Medien und Wirtschaft im ZKM, lässt sich nicht beirren. Für ihn steht außer Frage, dass gerade das Fernsehen eine Menge zur Integration beitragen könne. Filme und Serien seien ja ohnehin ein Zerrspiegel der Wirklichkeit, weil sie große Teile der Erwerbstätigkeit, etwa den industriellen Bereich, nahezu komplett ausklammerten. Bei Ausländern sei das Zerrbild noch ausgeprägter. Sie tauchten zum Beispiel nur selten in „positiv attribuierten Berufen“ auf, also etwa als Arzt oder Rechtsanwalt. Mangold denkt nicht nur ans deutsche Publikum, bei dem sich Klischees verfestigten, sondern auch an die ausländischen Zuschauer. So wie sich Mädchen am Frauenbild aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ orientierten, müsse man auch jungen Türken Vorbilder anbieten: „Ich finde es höchst kritisch, dass Türken immer bloß in Döner-Buden arbeiten“. Auch für die Sender werde sich die Entdeckung der Zielgruppe als vorteilhaft erweisen: ARD und ZDF könnten ein ganz neues Publikum ansprechen, RTL & Co. das Werbepotenzial der Migranten nutzen.

Mangold hat diverse Fürsprecher gefunden, die die Initiative unterstützen, darunter auch prominente Migranten. Für Tayfun Bademsoy, 1969 als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus der Türkei eingewandert und seit Jahren einer der meist beschäftigten türkischstämmigen Schauspieler („Süpersex“, „Ein starkes Team“), steht das Wirkungspotenzial des Fernsehens außer Frage. Zu Beginn der 90er Jahre hat er mit Horst Janson für die ARD „Zwei Schlitzohren in Antalya“ gedreht. Die Serie, erinnert er sich, habe „die Sicht vieler Deutschen auf die Türken verändert: weil es hier der Deutsche war, der im Ausland lebte“. Zum ersten mal hätten Arbeiter „ihren Kollegen Hassan überhaupt zur Kenntnis genommen“. Bademsoy weist auf einen weiteren Missstand hin: „Ausländische Darsteller sind traditionell schlechter bezahlt worden als Deutsche“. Um sich gegen diese Form von „inneren Rassismus“ zu wehren, hat er vor sechs Jahren die Agentur „foreign faces“ (später „International Actors“) gegründet, die ausnahmslos ausländische Schauspieler vertritt. Seither habe sich einiges bewegt, zumal die dritte Migrantengeneration mittlerweile in die Medienbranche und damit auch in die Redaktionen dränge.

Mario Giordano, der als Autor des Romans „Black Box“ die Vorlage für den Kinofilm „Das Experiment“ lieferte, ist nach eigener Einschätzung eher Experte für Kriminalprävention, Aggression und Gehorsam, zählt aber dennoch zu den Unterstützern der Initiative. In seiner Biografie gebe es zwar keinen ausgeprägten Migrationshintergrund, doch dank seines italienischen Namens sei ihm die Problematik durchaus vertraut. Auch Giordano fordert vom Fernsehen eine authentischere Abbildung der Lebenswirklichkeit, „dramatisiert und zugespitzt zwar, aber eben auch realistisch mit allen Konflikten und mit ihrer ganzen Komik“. Seine Erwartungen konzentrieren sich allerdings auf die Privatsender, „weil die einfach mehr Mut zeigen“. Trotzdem sieht er auch bei ARD und ZDF positive Ansätze. Gemeinsam mit Andreas Schlüter, seinem Ko-Autor für den Zweiteiler „Kika-Krimi.de“, eine Art „Tatort“ für Kinder, bereitet er derzeit einen Jugendfilm über eine gemischte Hauptschulklasse vor. Wie Bademsoy glaubt auch Giordano, dass die jüngste Generation von Migrantenkindern viel bewirken werde. Dass Fatih Akin („Denk ich an Deutschland“, „Solino“, „Gegen die Wand“) im Filmgeschäft nun der „Vorzeige-Türke“ ist, hält er nicht für problematisch: „Wer im Schatten lebt, muss sich Gehör verschaffen; egal wie.“

 

Infos unter http://www.bun­desinitiative.org/

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