Wie deutsch ist die Deutsche Welle?

Diskussionsveranstaltung "Wie deutsch ist die Deutsche Welle?" in der ver.di MedienGalerie in Berlin: Christian Mihr, Alex Mänz, Alexander Klatt, Ayse Tekin (v.l.n.r)
Foto: Christian von Polentz

Verfügt die Deutsche Welle noch über ausreichende Mittel, um ihrer Aufgabe nachzukommen, »Deutschland als europäisch gewachsene Kulturnation und freiheitlich verfassten demokratischen Rechtsstaat verständlich zu machen“? Reicht die finanzielle Ausstattung, um mit BBC, CNN, Al Jazeera oder Russia Today konkurrieren zu können? Um diesen und weiteren Fragen nachzugehen, trafen sich in der ver.di MedienGalerie in Berlin ROG-Geschäftsführer Christian Mihr, die Vorsitzende des Gesamtpersonalrats der Deutschen Welle, Ayse Tekin, und Alex Mänz, Leiter Medienpolitik und Public Affairs bei der Deutschen Welle, zu einer von Thomas Klatt moderierten Diskussionsrunde.

Wie deutsch ist die Deutsche Welle? Wenig deutsch, wenn man vom Stellenwert der deutschen Sprache im DW-Angebot ausgeht. Denn die mache darin nur einen kleinen Teil aus, so Mänz. Hauptaufgabe des deutschen Auslandssenders sei es, über Deutschland zu berichten, deutsche Positionen zum Weltgeschehen zu transportieren. Das sei zwar einmal anders gewesen, damals in den 50er Jahren, als die Deutsche Welle als Stimme der Heimat im Ausland gegründet worden ist. Doch diese Aufgabe werde heute von ARD und ZDF übernommen, die im Zeitalter der Digitalisierung ohnehin in der ganzen Welt empfangbar seien. Damit sei dieses Alleinstellungsmerkmal der Deutschen Welle verloren gegangen, die Hauptzielgruppe sei heute nicht mehr der im Ausland lebende Deutsche, sondern der an Deutschland interessierte Ausländer. Deshalb stünde es auch nicht zur Debatte, die Spar-Axt bei den Sendesprachen anzusetzen und gar einzelne Sprachen aus dem Angebot zu streichen.

In diesem Zusammenhang war es unter der Intendanz Peter Limbourgs in den vergangenen Jahren wiederholt zu Protesten der DW-Mitarbeiter_innen gekommen. Limbourgs Linie sah die Optimierung des englischen Fernsehkanals vor, um die Deutsche Welle international sichtbarer zu machen und mehr Publikum zu erreichen. Befürchtet wurden im Gegenzug Sparmaßnahmen bei den übrigen mittlerweile 30 Sendesprachen. Doch sei es gerade die Vielsprachigkeit und deren demokratiefördernde Wirkung, so Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, welche die Rolle der Deutschen Welle im Ausland stärke. In Mazedonien oder der Ukraine etwa, wo die englische Sprache einen sehr geringen Stellenwert habe, seien DW-Angebote in der Landessprache oft die einzige Möglichkeit für die Bewohner_innen, an unabhängige Informationen zu gelangen. Und ist Mazedonien auch nur ein kleines Land, so sei eine Einschaltquote von einer Million bei einer Einwohnerzahl von zwei Millionen eine nicht zu unterschätzende Größe für die Deutsche Welle. Dennoch: Wie Ayse Tekin moniert, setzt sich die Redaktion für Mazedonien aus anderthalb Planstellen zusammen, das Programm wird von freien Mitarbeiter_innen bestritten. Für den Personalrat sei es ein stetig währender Kampf um mehr Festanstellungen, schon alleine weil freie Mitarbeiter_innen viel stärker um ihrer Sicherheit im Land fürchten müssten. Solche Festanstellungen seien jedoch über das normale Budget gar nicht finanzierbar, sondern müssten durch kurzfristige Projektmittel, etwa vom Auswärtigen Amt, getragen werden.

Von solchen kurzfristigen Projektmitteln will sich Mänz allerdings lösen. Mehr Engagement der Deutschen Welle auf dem Balkan oder in der Ukraine etwa, wo man auch gegen die Konkurrenz von Russia Today ankommen müsse, sei nur durch langfristig planbare Mittel möglich. Hier spielt Mänz die Karte an die Bundesregierung weiter. Denn anders als die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender von ARD und ZDF wird die Deutsche Welle aus Steuermitteln finanziert. Was für ARD und ZDF das Schreckgespenst KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs) sei, sei für die DW der Bundesrechnungshof, scherzen Moderator Klatt und Mänz. Im Jahr 2015 konnte die Deutsche Welle inklusive gesonderter Projektgelder vom Auswärtigen Amt und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über einen Gesamtetat von 294,5 Mio Euro verfügen. Doch allein der französische Auslandssender habe ein Budget von 350 Millionen Euro, ganz zu schweigen von der BBC oder gar den russischen oder chinesischen Sendern, von denen letztere sich besonders in Afrika auf hartem Expansionskurs befinden würden.

Besonders erfolgreich sei der deutsche Auslandssender zwar im arabischsprachigen Raum, vor allem mit dem wöchentlichen, interaktiven Talkformat „Shabab Talk“, einer politischen Diskussionssendung, die im Zuge des Arabischen Frühlings entstanden war. Doch um ihrer Aufgabe, sich auch für Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit einzusetzen, nachkommen zu können, fehlten in vielen Regionen, wie etwa der Türkei oder der Ukraine, wo das DW-Angebot dennoch ständig vervielfacht wird, schlichtweg die finanziellen und personellen Mittel. So beklagt Tekin die enorm gewachsene Arbeitsbelastung in der türkischen Redaktion und einen erheblichen Personalmangel. Überhaupt sei die Arbeitsbelastung seit Beginn des Sparprogramms in der DW insgesamt massiv angestiegen. Limbourgs Vorgabe, 150 Millionen Rezipienten pro Woche zu erreichen, habe man mit aktuell 135 Millionen zwar fast erreicht, dies sei jedoch nur dem unermüdlichen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken. Einen solchen Rhythmus könne man auf Dauer nicht mehr akzeptieren, warnt Tekin, es müssten mehr Gelder bereitgestellt werden, damit die Beschäftigten der Deutschen Welle die Aufgaben des Auslandssenders auch unter normalen Arbeitsbedingungen umsetzen könnten.

Ob diese Gelder fließen werden, entscheidet sich am kommenden 10. November auf der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags. Eine Entscheidung, so Tekin, die vor allem auch für die weitere Arbeit des Auslandssenders in der Türkei von großer Bedeutung sein werde.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Komplett-Verweigerung der Rundfunkpolitik

Nachdem die Ministerpräsident*innen am heutigen Donnerstag zur Rundfunkpolitik beraten haben, zeichnet sich ein düsteres Bild für die öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Angebote und die dort Beschäftigten ab. Beschlossen haben die Ministerpräsident*innen eine Auftrags- und Strukturreform und einen ab 2027 geltenden neuer Mechanismus zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Nicht verabschiedet wurde jedoch der fällige Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende

Eine erneut alarmierende Bilanz zieht die internationale Organisation Reporters Sans Frontiers (RSF), die weltweit Angriffe und Gewalttaten gegen Journalist*innen und damit gegen die Pressefreiheit dokumentiert: 55 getötete, 550 inhaftierte, 55 in Geiselhaft genommene und 95 unter unklaren Umständen vermisste Medienschaffende sind bis Anfang Dezember für dieses Jahr zu beklagen.
mehr »