Wille zur Aufklärung

Beim Leipziger MDR herrscht Aufbruchstimmung. Dass der Rundfunkrat bei der Intendantenwahl zunächst Bernd Hilder durchfallen ließ, hat das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter enorm gesteigert. Wo sich angesichts des von der Politik vorgegebenen Kandidaten schon Resignation breit gemacht hatte, weil offenbar alles so weitergehen würde wie bisher, ist ein regelrechter Ruck durch den Sender gegangen. „Diese Personalie wäre auch dem eigenen Lebenslauf nicht zumutbar gewesen“, heißt es aus dem Umfeld des Gremiums, das dem Favoriten der sächsischen Staatskanzlei die Mehrheit der Stimmen versagte. Umso besser kann man offenbar mit Karola Wille leben, die zur neuen Intendantin gekürt worden ist. Mit der Justiziarin wird die Hoffnung verknüpft, dass nach zwanzig Jahren voller undurchsichtiger Geschäfte, diverser Skandale und einer gewissen Selbstherrlichkeit endlich eine neue Zeitrechnung beginnt.
Allerdings gab und gibt es auch Vorbehalte. Wille ist seit 1991 beim MDR und gehört seit 15 Jahren als Juristische Direktorin zum leitenden Personal. 2003 ernannte Gründungsintendant Udo Reiter sie zu seiner Stellvertreterin. Die Juristin, die auch innerhalb der ARD großen Respekt genießt, bringt also einerseits den im Haus so dringend gewünschten Stallgeruch mit sich. Andererseits wird sie aber auch in Sippenhaft genommen, weil die Führungsriege des Senders bei den Skandalen nicht eingeschritten ist, obwohl es schon vor Jahren die ersten Hinweise gegeben hat.
Die Betrugsaffäre beim Kika, die eigentümlichen Finanzierungsmethoden des Unterhaltungs-Chefs Udo Foht, dazu die Nachwehen dubioser Geldgeschäfte aus den Gründerjahren: Es gibt viel zu tun für Karola Wille. Unter den Mitarbeitern wird nicht daran gezweifelt, dass ihr das zuzutrauen ist, zumal sie bereits eine Schlüsselrolle bei der Aufdeckung der jüngsten Ereignisse gespielt hat. Als ihre männlichen Kollegen die Foht-Affäre nach gewohnter Tradition unter den Teppich kehren wollten, bestand sie auf Aufklärung. Für einen Neuanfang spricht auch der Umstand, dass es bis Ende des Jahres einen kompletten Wechsel auf Direktionsebene geben wird. Und doch ist die derzeitige Aufbruchstimmung vor allem Karola Willes Verdienst. Sie will durch einen transparenten, nachhaltigen Prozess dafür sorgen, dass alle Skandale rückhaltlos aufgeklärt werden. Außerdem wird sie sämtliche Ressourcen und Produktionsweisen auf den Prüfstand stellen. Und weil alle guter Dinge sind, sorgte es nur kurz für Irritation, dass auch Udo Reiter aus dem Urlaub sein Wohlwollen signalisierte.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Breiter Protest für Rundfunkfinanzierung

Anlässlich der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten (MPK) in Leipzig fordert ver.di die Fortführung des Reformdiskurses über die Zukunft öffentlich-rechtlicher Medienangebote und über die Strukturen der Rundfunkanstalten. Die notwendige Debatte darf die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten jedoch nicht daran hindern, ihren vom Bundesverfassungsgericht zuletzt im Jahr 2021 klargestellten Auftrag auszuführen: Sie müssen im Konsens die verfassungsmäßige Rundfunkfinanzierung freigeben.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

Mit Perspektiven gegen soziale Spaltung

Die Berichterstattung über den Nahostkrieg zwischen Staatsräson und Menschenrechten ist heikel, denn die Verengung des Diskurses begünstigt einen Vertrauensverlust der Medien und die soziale Spaltung in Deutschland. Beides wird durch den politischen Rechtsruck befeuert. Grund genug, den medialen Diskurs genauer unter die Lupe zu nehmen.
mehr »