Immer wieder wurde Journalist*innen in der Pandemie vorgeworfen, sie berichteten zu unkritisch über die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen. Eine Studie von Forschern aus Mainz und München, die die Rudolf-Augstein-Stiftung nun veröffentlicht hat, zeigt: Tatsächlich war die Berichterstattung der großen deutschen Nachrichtenmedien vor allem zu Beginn der Pandemie eher maßnahmenfreundlich, nicht aber unkritisch.
Am 8. November wurden in Berlin Ergebnisse zweier Studien zur Rolle der Medien in der Pandemie vorgestellt. Bei einer Veranstaltung der Rudolf Augstein Stiftung „Follow the Science – aber wohin: Welche Schlüsse ziehen Medien, Wissenschaft & Politik aus der Corona-Krise“ diskutierten Jakob und Franziska Augstein mit Gästen und den Machern der Studien.
Positivismus oder Distanz
Der mit einem Augenzwinkern gewählte Titel soll offenbar die Distanz der Stiftung zur Wissenschaft ausdrücken. So hatte Jakob Augstein, Eigentümer, Geschäftsführer, Verleger und Chefredakteur des „Freitag“ sowie Vorstandsmitglied der Rudolf Augstein Stiftung, bereits vorab im Podcast „Medienwoche“ seine Meinung dazu dargelegt. Es gebe einen „merkwürdigen Naturwissenschafts-Positivismus“. Und es sei nicht Aufgabe der Wissenschaft, den Menschen zu sagen, wie sie zu leben haben.
Auch Medienschelte äußerte er in seiner eigenen Zeitung: Erstes Opfer des Virus seien die Journalisten gewesen. „Beim besten Willen kann niemand der Ansicht sein, die Mehrzahl der deutschen Qualitätsmedien habe im vergangenen Jahr unvoreingenommen über die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise berichtet. Es galt im Gegenteil das unausgesprochene Motto: Erst schließen, dann fragen.“
Dies galt es nun zu überprüfen. Die erste empirische Untersuchung mit dem Titel: „Einseitig, unkritisch, regierungsnah?“ kommt von Forschern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie untersuchten darin die Qualität der journalistischen Berichterstattung in rund 5.100 Nachrichtenbeiträgen über Corona-Themen aus elf Leitmedien, die zwischen Januar 2020 und April 2021 erschienen sind. Einbezogen wurden die Online-Auftritte von „FAZ“, „SZ“, „Bild“, „Spiegel“, „Welt“, „Focus“ und „t-online“. Hinzu kamen die „Tagesschau“ der ARD, die „heute“-Nachrichten des ZDF, „RTL aktuell“ und die Schwerpunktsendungen „ARD Extra“ zur Corona-Pandemie.
Kein Mangel an Kritik
Insgesamt stellten dabei 26 Prozent der Beiträge die ergriffenen Corona-Maßnahmen als zu weitgehend dar, 31 Prozent hingegen als nicht ausreichend. „Kritik an den Maßnahmen kam dabei in etwa gleichem Umfang von beiden Seiten: denen, die die Maßnahmen für zu weitreichend und denen, die sie für nicht weitreichend genug hielten“, bilanzieren die Autoren. Harsch und ab Oktober 2020 zunehmend harscher seien die Urteile über die wichtigsten politischen Akteure und ihre Kompetenzen ausgefallen, während die Wissenschaft eher gleichbleibend positiv beurteilt wurde. Bei den in der Berichterstattung erwähnten Akteuren zeige sich eine starke Konzentration auf Politiker*innen und mit einigem Abstand Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen, während von der Infektion Betroffene und so genannte Corona-Skeptiker*innen kaum vorkamen. Die meisten Medien berichteten über Prognosen so, als würden sie sicher eintreten. Dabei seien diese immer von Unsicherheiten behaftet. Nur bei etwa 20 Prozent der Beiträge „war die Unsicherheit der Prognosen“ erkennbar, heißt es in der Studie.
Talkshows mit Überhang
Die zweite Studie der Freien Universität Berlin und der australischen Victoria University of Wellington mit dem Titel „Corona-Sprechstunde mit Maybrit Illner, Anne Will & Frank Plasberg“ widmet sich den Talkshows. Per Inhaltsanalyse sollte herausgefunden werden, ob ausgewählte Polit-Talkshows „parteilich und oberflächlich oder ausgewogen und informativ“ waren. Untersucht wurde der Zeitraum Januar 2020 bis Juli 2021. Auch hier ergab sich im Teilnehmerfeld ein offensichtliches Übergewicht an Politiker*innen, die direkt auf Bundes- oder Landesebene Entscheidungen treffen. So ließe sich auch erklären, warum die Corona-Maßnahmen in den betrachteten Polit-Talks zu 68 Prozent positiv bewertet wurden – obgleich auch hier mit abfallender Tendenz, wie FU-Wissenschaftler Thorsten Faas referierte.
Thesen auch mal überprüfen
Obwohl beide Studien von der Jakob-Augstein-Stiftung in Auftrag gegeben waren, vermittelte sich der Eindruck, dass sie im Ergebnis nicht ganz dem Wunsch der Vorstandsgeschwister entsprachen. Als Jakob Augstein auf dem ersten Podium Wissenschaftsjournalistinnen von FAZ und „Spiegel“ fragte, weshalb in der Pandemie so unkritisch berichtet würde, verwiesen diese auf die Ergebnisse der Studien. Derartiges hätten die schließlich nicht belegt. Doch Augstein insistierte weiter: Er habe die Berichterstattung aber schon sehr unkritisch in Erinnerung. Der Münchner Kommunikationwissenschaftler Carsten Reinemann konnte sich da ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die Erinnerung trüge wohl einfach manchmal. Woraufhin sich Augstein zurücklehnte und süffisant entgegnete: Fünf Leute, fünf Erinnerungen.
Franziska Augstein jedenfalls kommentiert seit Beginn der Pandemie kritisch. In ihrer „Spiegel“-Kolumne macht sie keinen Hehl aus ihrer Haltung. Die Mehrheit der Bundesbürger finde es völlig in Ordnung, dass Grundrechte über die Köpfe ihrer Abgeordneten im Bundestag hinweg außer Kraft gesetzt würden, dass also die deutsche Demokratie partiell ausgesetzt würde, behauptete sie im Januar und fragte: „Wie kann ausgerechnet in Deutschland, das mit Diktaturen schlimme Erfahrungen gemacht hat, so etwas passieren?“ Den Vorwurf, Deutschland sei eine Diktatur, kennen wir inzwischen gut von Querdenker*innen und Neonazis. Und auch eine Medienschelte, die Journalist*innen Kumpanei mit einer vermeintlichen wissenschaftlichen Elite vorwirft, düngt eher den Boden, der Verschwörungsideologien sprießen lässt.